Hätte man Sarah O´Neill vor einem halben Jahr gesagt, sie würde bald eine Internetplattform für politische Transparenz und Bürgerbeteiligung in Irland leiten - sie hätte es nicht geglaubt. Heute sitzt sie in unserem Hamburger Büro und trifft die letzten Vorbereitungen zum Start von Dáilwatch.ie, der irischen Version von abgeordnetenwatch.de, die im September online gehen soll ("Dáil" ist der Namen des irischen Parlaments). Im Interview erklärt Sarah, warum Irland mehr politische Teilhabe braucht und welchen Beitrag Dáilwatch.ie dazu leisten wird.
Sarah, warum braucht Irland eine Internetplattform wie Dáilwatch.ie für Transparenz und Bürgerbeteiligung in der Politik?
Sarah O'Neill: Die wirtschaftlichen Probleme Irlands haben bei den Bürgerinnen und Bürgern ein Gefühl der Enttäuschung und Ernüchterung hinsichtlich des politischen Systems hinterlassen. Für die meisten Menschen erscheinen viele der politischen Entscheidungsprozesse belanglos und realitätsfern. Ich denke, dass die Plattform Bürgern die Möglichkeit bietet ihren rechtmäßigen Platz im politischen Entscheidungsprozess zurückzuerlangen. Außerdem können die Nutzer ihre Politiker an deren Rechenschaftspflicht erinnern, schließlich treffen Politiker jeden Tag Entscheidungen im Namen der Bürgerinnen und Bürger. Eine große Chance und Stärke der Plattform liegt darin, dass sie es beiden Seiten, also auch den Politikern, ermöglicht, vom Austausch zu profitieren. Die Politiker sind zum Beispiel nicht mehr gänzlich auf die Vermittlung durch Dritte, zum Beispiel die Medien, angewiesen, sondern können sich den Wählern aus ihrem Wahlkreis direkt mitteilen.
Warum glaubst Du werden Menschen in Irland dafür empfänglich sein, ihre Politiker im Internet zu befragen?
Die bisherigen Resonanzen waren sehr positiv (Anmerkung der Red.: Mit candidatewatch.ie gab es schon zu den Irischen Parlamentswahlen 2011 eine von abgeordnetenwatch.de initiierte Plattform, auf der Bürgerinnen und Bürger ihre Kandidaten öffentlich befragen konnten). Ich bin mir sicher, dass es auch in Zukunft so sein wird. Die meisten Menschen wünschen sich mehr Mitsprache, allerdings wissen viele nicht wie sie sich selbst einbringen und mehr Einfluss nehmen können. Meines Erachtens nach wird die irische Politik durch die Plattform zugänglicher, außerdem unterstreicht sie die Bedeutung die von parlamentarischen Entscheidungen auf unser aller tägliches Leben ausgeht.
Wie glaubst Du werden die irischen Politiker reagieren, wenn sie künftig öffentlich im Internet befragbar sind?
Etwas Vergleichbares hat es in Irland nur einmal für kurze Zeit gegeben (Anm.: Die Rede ist von der bereits oben erwähnten Plattform candidatewatch.ie), daher wird der Prozess des öffentlichen Onlinedialogs vielen sehr neu erscheinen. Es würde mich also nicht wundern, wenn wir am Anfang ein wenig Widerstand von Seiten der Politiker erfahren. Ich bin mir aber sicher: Sobald sie sich mit Dáilwatch.ie vertraut gemacht haben, werden sie begreifen dass die Plattform beiden Seiten nützt. Deswegen werden sie den Bürgern auch Rede und Antwort stehen.
Welchen Beitrag kann eine Plattform wie Dáilwatch.ie in Irland leisten?
Ich bin fest überzeugt, dass Dáilwatch.ie das Potenzial hat einen Großteil derer, die sich vom politischen System und vergangenen Regierungen vernachlässigt und vergessen fühlen, wieder miteinzubinden. Auf der Plattform kann jeder Nutzer sich in den politischen Entscheidungsprozess einbringen, darüber hinaus ist es möglich Informationen über die Politiker abzurufen, etwa das Abstimmungsverhalten und die Ausschussmitgliedschaften. Ich glaube sogar, dass Dáilwatch.ie die Wahrnehmung des durchschnittlichen Bürgers in Bezug auf den politischen Prozess neu definieren könnte.
Wo könnte es nach dem Start der Plattform Anfangsschwierigkeiten geben? Und wie planst Du diese zu bewältigen?
Ich denke, dass es immer eine Herausforderung sein wird innovative Wege zu finden um neue Nutzer an Dáilwatch.ie heranzuführen. Ich bin mir allerdings sicher, dass Mundpropaganda, Medienberichte und Aktionen in der Öffentlichkeit dafür sorgen werden, dass Bürger auf die Plattform aufmerksam werden, diese nutzen und auch weiterempfehlen. Denkbar wäre sogar, dass die Plattform und ihre Nutzung auf bisher nicht beachtete Probleme aufmerksam machen – es könnte zum Beispiel sein, dass Gesetze geändert werden müssen um die Transparenz innerhalb der politischen Institutionen und Prozesse zu verbessern. Dann wäre es vielleicht sogar nötig eine vergleichbare Initiative wie die Volksinitiative zum Hamburger Transparenzgesetz anzustoßen - wer weiß.
___________________________ Sarah O´Neill, 22, studiert Politikwissenschaften und Philosophie im vierten Jahr an der Trinity Universität in Dublin, Irland. Als Projektleiterin von Dáilwatch.ie ist sie ab September unter anderem für den täglichen Betrieb der Plattform und die Schulung der Moderatoren zuständig. Finanziert wird Dáilwatch.ie von der britischen Stiftung Joseph Rowntree Charitable Trust.