Von Frank Geilenkirchen
Angekommen am Bürgerbüro des SPD-Bundestagsmitglieds Swen Schulz plagt mich immer noch diese eine Fragen: Warum soll ich mich eigentlich für Politik interessieren? Versteht mich nicht falsch, ich weiß, Politik ist wichtig und so. Aber wenn Politiker im Bundestag nicht ihrer Meinung folgen, sondern der Vorgabe der Parteispitze oder noch besser: meistens gar nicht erst im Bundestag sitzen, wenn abgestimmt wird… wie soll ich mich da noch vertreten fühlen? Und mich sogar für Politik interessieren. Vielleicht finde ich hier meine Antwort, auf 45m² SPD-Teppichboden. Hmm, auf den ersten Blick finde ich hier aber nur Chaos.
Im Büro stapeln sich eng an eng Straßenplakate, Fahnen, Stühle und Flyer mit Aufschriften wie „Politik ist scheiße!“ Aha. Ich befürchte: Sogar Politiker interessieren sich vielleicht nicht für Politik. Für solche Gedankenspiele bleibt aber jetzt keine Zeit, denn da kommt auch schon Swen Schulz. Der Mann, der aussieht wie Batman-Bösewicht Cillian Murphy und gefühlte drei Meter hoch ist, demonstriert zunächst Anwesenheit und begrüßt seine Angestellten, dann uns. Hände schütteln lernt man im Wahlkampf. Reden auch. Nur worüber? Im Interviewzimmer seine erste Frage: Worum ging’s hier nochmal genau? Wir erklären, dass es sich darum handele, wie demokratisch es ist, wenn Politiker im Bundestag immer nur der Parteispitze alles nachreden. Provokante Formulierung, Schulz erinnert sich.
Das Interview beginnt. Meine Fragen hat Schulz offenbar schon mal gehört. Die Antworten zumindest sind wie abgelesen. Das klingt dann circa so: „Ja, eine sehr gute Frage, aber Politiker geben selbstverständlich immer ihr Bestes. Natürlich stimmt man WIE die Partei ab, sonst wäre man ja nicht IN der Partei.“ Logisch. Aber sind CDU-Mitglieder in Gorleben auch für Atomenergie? Sind FDP-HartzIV-Empfänger für HartzIV-Kürzungen? 100 Menschen aus 100 Städten sind nicht zwangsläufig einer Meinung, nur weil sie in einer Partei sind. Gerade in der SPD. Zwei Minuten und ein paar obligatorische Sticheleien gegen die Kanzlerin später dann meine nächste Frage: Ist es demokratisch, wenn Bundestagsmitglieder bei Abstimmungen nicht im Bundestag sitzen? Das Bild kennt man aus dem Fernsehen. Ja natürlich, erwidert Schulz, es sitzen dann immer nur die Experten zu den Themen im Bundestag und stimmen ab. So so, entgegne ich. Wenn also sogar im Bundestag immer nur die Experten abstimmen, sollen dann bei richtigen Wahlen besser auch nur Politikexperten wählen gehen? Kurze Stille. Es gibt keine perfekte Antwort auf diese Frage, aber viele falsche. Es geht um den Sinn von Wahlen, um den Sinn von Demokratie. Swen Schulz muss sich etwas einfallen lassen.
Eben saß er noch seelenruhig und sicher auf der Couch, jetzt endlich gestikuliert er, erzählt er von sich. Ein Gespräch wie unter Bekannten. Ein schöner Moment: Wenn ich Montagmorgen in den Bundestag gehe, beschreibt er, dann steht da 20 Meter lang Tisch an Tisch. Auf diesen Tischen stehen jeweils stapelweise Dokumente. Das kann KEIN MENSCH alles lesen! Das müsste man aber, wenn man zu jeder Abstimmung eine kluge Meinung parat haben soll. Swen Schulz hat recht. Kein Mensch kann Woche für Woche hunderte Seiten lesen und gleichzeitig an all den Sitzungen und Terminen eines Bundestagsmitglieds teilnehmen. Kein Politiker, kein Mensch kann für jedes Thema ein Experte sein. So fair muss jeder sein, das anzuerkennen.
Swen Schulz verteidigt die Arbeitsweise des Bundestags und wichtiger: Er glaubt an seine eigenen Argumente. Das gibt mir die Sicherheit, dass hinter all den möglicherweise nicht perfekten Entscheidungen und Arbeitsweisen im Bundestag, egal welcher Partei, kein böser Wille steckt. Abgeordnete wie er handeln vielleicht nicht perfekt, aber zumindest wie es im Gesetz steht, nach „bestem Wissen und Gewissen“. Ich könnte es wahrscheinlich selbst nicht besser. Das Gespräch ist vorbei. Habe ich meine Antwort bekommen?
Irgendwo zwischen den Sätzen von Swen Schulz und all diesen Flyern und Plakaten auf 45m²Teppichboden lag sie, die Erkenntnis, dass ich mich für Politik interessieren muss. Nicht nur, weil z.B. in Libyen und Syrien gerade Menschen sterben und kämpfen, nur um Mitspracherecht haben zu dürfen, darf ich hier in Deutschland mein Mitmach- und Wahlrecht nicht verschwenden, nein, auch weil Politiker ohne unsere Mitsprache gar nicht wissen, wie sie uns helfen können, denn das wollen die meisten, müssen wir uns einfach für Politik interessieren. Wie erleichternd. Jetzt plagt mich eigentlich nur noch eine Frage: Was denkt Ihr darüber?
Das Gespräch von Frank Geilenkirchen mit dem Berliner Bundestagsabgeordneten Swen Schulz: