Wer nicht fragt, bleibt dumm: Das weiß nicht nur jeder KIKA-Gucker, sondern das wissen sie auch in Niedersachsen. Dort hat man das Fragen deshalb nun zum Unterrichtsinhalt erklärt. "Frag' doch mal Deinen Abgeordneten!" werden die Schülerinnen und Schüler der Oberstufe in einem neuen Schulbuch ermuntert - und zwar auf abgeordnetenwatch.de. Der Schroedel-Verlag druckt in seinem aktuellen Lehrwerk „Mensch und Politik Niedersachsen“ unsere Projektbeschreibung als Anleitung zur direkten Kontaktaufnahme mit den Politikern. Doch deren Antworten, das zeigt die Erfahrung auf abgeordnetenwatch.de, können für die Schüler eine Lektion fürs Leben sein. Einige Beispiele, wie sich Schüler und Profi-Politiker auf abgeordnetenwatch.de begegnen:
Frage von Mona, Christin und Sandra an Andrea Nahles: "Was halten Sie vom Thema Laufzeitverlängerung?“
Antwort Andrea Nahles:
Bei Fragen, die Projekte in der Schule betreffen, bitte ich Sie, sich an mein Büro im SPD-Parteivorstand zu wenden...
(Mit dieser Auskunft vermochte Nahles den Schülerinnen immerhin noch mehr zu helfen als die ebenfalls befragten Sigmar Gabriel, Angelika Brunkhorst und Birgitt Bender: Sie antworteten gar nicht.)
Frage von André an Matthias Zimmer: „Haben Sie Faust gelesen? Und wenn ja: Warum?“
Antwort Matthias Zimmer:
Es ist die Häufung von Wissenslücken und Merkwürdigkeiten, die in mir den Verdacht aufkommen lässt, die Anfrage könnte nicht ernst gemeint sein oder zumindest, wenn sie es denn wäre, in mir den Verdacht aufkommen lässt, dass es für eine Faust-Lektüre vielleicht doch ein wenig zu früh für die Stufe 12 der Heinrich-Böll-Schule sein könnte. Sei´s drum, als einigermaßen literarisch interessierter und grundsätzlich auskunftsbereiter Zeitgenosse will ich denn auch diese Fragen beantworten...
Frage von Maike an Karl-Georg Wellmann (22.1.2010): „Würden Sie unsere Aktionsblätter zum Red-Hand-Day (Schüler-Aktionstag gegen den Missbrauch von Kindersoldaten) annehmen und sich im Parlament für unsere Forderungen einsetzen?“
Antwort: bislang keine
Man kann Schülern mit Missachtung zu verstehen geben, dass man sie und ihre Fragen nicht ernst nimmt. Man kann das aber auch ziemlich direkt ausdrücken:
Frage von Kevin an Joachim Pfeiffer: „Mich würde gerne interessieren wieso man heutzutage in der Schule so viel Sachen lernt die man nie wieder braucht? Wäre es nicht sinnvoller z.B. Methoden die im Buch ´Mathe Magie´ von Arthur Benjamin in das Schulsystem einzubringen um wenigstens das was man wirklich täglich braucht mehr zu schärfen?? Ich möchte nicht dastehen als würde ich mich zum Lernen weigern, aber ich finde diese Sachen einfach nicht sehr sinnvoll."
Antwort Joachim Pfeiffer:
Übrigens hat auch der Deutschunterricht sehr viel Sinn. Dort lernt man nämlich korrekten Sprachgebrauch und vor allem Zeichensetzung. Haben Sie dort gefehlt oder nur nicht aufgepasst?...
Da hat Kevin nun aber einiges gelernt für sein weiteres Leben! Zum Beispiel, dass es - anders als der Volksmund behauptet - wahrscheinlich doch dumme Fragen gibt, zumindest legt das die Antwort des Abgeordneten nahe. Oder dass man künftig besser keine Fragen stellt, wenn man nicht angeraunzt werden will. So steht am Ende der Unterrichtseinheit „Praktische Demokratie“ eine Lektion fürs Leben, allerdings keine, die so in einem Lehrplan vorkommen würde. Ganz sicher wirken solche Antworten bei einem Neunt- oder Zehntklässler weitaus nachhaltiger als es der vermeintlich coole Online-Plausch eines Politikers mit seinen jugendlichen "Freunden" auf Facebook oder StudiVZ vermag. Dass Kevin oder Maike als Erwachsener später einmal ihr Kreuzchen bei einem Abgeordneten machen werden, der sie zuvor mit ihrer Frage abgewimmelt hat - fraglich. Weitaus wahrscheinlich ist da schon, dass sich ein Jugendlicher bei weiteren Negativerlebnissen dieser Art irgendwann die Frage stellen wird, was „die“ in Berlin überhaupt mit seinem Leben zu tun haben. So beginnen Nichtwähler-Karrieren. Dabei wäre es doch so einfach.
Frage von Gregor an Doris Pack: „Wie viel Macht hat man als Abgeordnete? Hätten Sie Zeit und Lust für ein Interview?“
Antwort Doris Pack:
Sie können mich gerne in Ihren Ferien kontaktieren.
Ein wenig Authentizität und Ehrlichkeit kann ganz sicher auch nicht schaden:
Frage von Kerstin an Thilo Hoppe: „Zurzeit schauen wir in der Schule den Film „Oil Crash“. Wie wollen Sie das Problem des enormen Ölverbrauchs in den Griff bekommen?“
Antwort Thilo Hoppe:
Ich habe mir leider nicht die Zeit nehmen können, den Film „Oil Cash“ anzuschauen. Aber Christian, einer meiner Mitarbeiter, hat es getan, mir seine Eindrücke geschildert und mich bei der Beantwortung Ihres Briefes unterstützt...
Wahrscheinlich wollen Schülerinnen und Schüler erst mal nicht viel mehr als mit ihren Anliegen ernst genommen zu werden. Da lässt es sich dann auch verkraften, wenn z.B. der bayerische Kultusminister Ludwig Spaenle in seiner Antwort ganz anderer Meinung ist beim Thema „Turbo-Abi“ als der Schüler Max (alles andere wäre auch sehr verwunderlich...). Aber, und das ist die Lektion für Max: Man kann seine Kritik auch direkt beim Bildungsminister vorbringen und wird gehört. Diese Erfahrung hätte kein Lehrbuch vermitteln können. Etwas fürs Leben gelernt hat auch die 7jährige Kaja, auch wenn ihr das so nicht gefallen dürfte. Sie frage sich manchmal, warum man an seinem Geburtstag eigentlich in die Schule oder zur Arbeit gehen muss - „warum gibt es da kein Gesetz, Herr Reichel?“ wollte sie auf abgeordnetenwatch.de wissen. Eine sehr berechtigte Frage, möchte man da als Arbeitnehmer beipflichten. Aber der inzwischen aus dem Bundestag ausgeschiedene Maik Reichel hat in seiner Antwort an Kaja eine Erklärung parat, die auch einem Arbeitnehmer einleuchtet:
Wenn irgendwann einmal ganz viele Leute dafür sind an ihrem Geburtstag Urlaub haben zu müssen und dass dann auch die Mehrheit im Deutschen Bundestag findet, dann könnte es wirklich dazu kommen. Aber ehrlich gesagt, ich glaube nicht so recht daran, dass das passiert und ich traue mich auch nicht, so etwas zu fordern, erst recht nicht noch vor der Bundestagswahl. Denn schließlich hat immer irgendjemand gerade Geburtstag - so würde es jeden Tag dazu kommen, dass eine Menge wichtiger Arbeit liegen bleibt.
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Nachtrag vom 9.8.2010: Der Kölner Express berichtet heute (pdf) unter der Überschrift "So bürsten Politiker Schüler ab" über die oben genannten Beispiele von Politikerantworten auf abgeordnetenwatch.de und hat auch noch ein paar andere gefunden.
Nachtrag vom 9.8.2010, 12:30 Uhr: Dass man Schüler auch ernst nehmen und respektvoll behandeln kann, zeigt Bildungsministerin Annette Schavan in ihrer heutigen Antwort. Der 11jährige Philipp hatte ihr in seiner Frage davon berichtet, dass er im Landschulheim von Betreuern zum Aufessen gewzungen wurde. Schavan schreibt:
Lieber Philipp, vielen Dank für Deine Frage vom 30. Juli 2010. Es gibt in Deutschland keine juristischen Vorschriften oder Festlegungen, die besagen, dass eine Mahlzeit aufgegessen werden muss. Und es darf auch niemand dazu gezwungen werden. Die Betreuer in dem Landheim Deiner Schule hatten also nicht das Recht, Dich zum Aufessen zu zwingen. Wenn Du Dich über sie beschweren möchtest, kannst Du Dich an Deinen Schulleiter, das Schulamt Freital oder an das Sächsische Staatsministerium für Kultus und Sport in Dresden wenden. Dieser Zwang zum Aufessen entstammt früheren Erziehungsmethoden, die aber heute längst überholt sind. Auch ich halte überhaupt nichts davon. Junge Menschen in Deinem Alter können selbst entscheiden, wie groß ihr Hunger ist oder ob sie eine Speise überhaupt nicht mögen. Sei herzlich und mit guten Wünschen gegrüßt. Deine Annette Schavan