im April 2020 ging ein streng vertrauliches Schreiben ("Strictly Confidential") im Bundeskanzleramt ein, das mit einer Schmeichelei begann: "Liebe Frau Bundeskanzlerin, herzlichen Dank für das Telefonat heute morgen. Ich bin ehrlich gesagt ziemlich froh, dass Sie gerade 'an Deck' sind." Verfasser der Fanpost war kein Parteifreund von Angela Merkel, sondern ein langjähriger Kontrahent: Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel.
Recherchen von abgeordnetenwatch.de und ZEIT ONLINE zeigen erstmals, wie der langjährige Minister seine Kontakte zur Bundeskanzlerin im Interesse eines deutschen Großkonzerns einsetzte. Mehr zu diesem und zu anderen Themen im folgenden Newsletter.
Die Übersicht:
- Die Lobbyaktivitäten des Sigmar Gabriel
- Diskrete Abendessen mit Rüstungs- und Autolobbyisten
- Neue Petition "Lobbytransparenz in den Koalitionsvertrag!" – jetzt zeichnen
- Das sind unsere 735 Abgeordneten – haben Sie Fragen?
- Welche Abgeordneten verpflichten sich zu transparentem Handeln? Hier finden Sie es heraus
- Intransparente Nebeneinkünfte: CSU-Topverdiener verliert Bundestagsmandat
- +++ Großspenden-Ticker: FDP und Grüne profitierten am meisten +++
- Fragen und Antworten des Monats
Am häufigsten aufgerufener Link im letzten Newsletter: CDU-Abgeordnete beschäftigt Frau von Rüstungslobbyisten – als Referentin für Verteidigung
Die Lobbyaktivitäten des Sigmar Gabriel
© | picture alliance / Michael Kappeler/dpa |
Was macht eigentlich der frühere Vizekanzler Sigmar Gabriel? Kurz nach seinem Ausscheiden aus der Bundesregierung hatte der SPD-Politiker ausgeschlossen, einmal als Lobbyist tätig zu werden. Recherchen von abgeordnetenwatch.de und ZEIT ONLINE zeigen nun erstmals, wie Gabriel sich inzwischen als Interessenvertreter betätigt. In einem Telefonat und per Mail versuchte der Ex-Minister, Bundeskanzlerin Angela Merkel von einem Anliegen der Deutschen Bank zu überzeugen: Um der Kreditwirtschaft in der Corona-Pandemie zu helfen, sollte Merkel sich auf EU-Ebene für die Aussetzung der Bankenabgabe engagieren.
Vorstellig wurde der frühere Vizekanzler auch bei zwei anderen Regierungsmitgliedern. In wessen Auftrag oder in welcher Funktion, ist unklar – Unterlagen existieren angeblich nicht.
Die Lobbyaktivitäten des Sigmar Gabriel
Artikel bei ZEIT ONLINE: Wie Sigmar Gabriel für die Deutsche Bank lobbyierte
Diskrete Abendessen mit Rüstungs- und Autolobbyisten
© | Simplex2 | Wikimedia | CC BY-SA 3.0 |
Vor einiger Zeit speisten vier Herren im vornehmen Restaurant "Bristol Grill" am Berliner Kurfürstendamm (Foto). Einer von ihnen war ein Lobbyist des Rüstungskonzerns Rheinmetall, zwei weitere Teilnehmer des Abendessens waren hochrangige Vertreter aus dem Verteidigungsministerium. Bis heute ist unbekannt, was die Männerrunde zu besprechen hatte. Notizen oder andere Aufzeichnungen gibt es nicht, erklärte das Verteidigungsministerium, nachdem wir den diskreten Restaurantbesuch publik gemacht hatten.
Auf ein weiteres Abendessen mit Lobbyisten-Begleitung sind wir vor kurzem gestoßen. Da hatte der CDU-Abgeordnete und Wirtschaftsstaatssekretär Thomas Bareiß eine Reihe von "Kollegen und Freunde" zum Abendessen und Gedankenaustausch in "gleichgesinntem Rahmen" zu sich nach Hause eingeladen, wie aus dem Einladungsschreiben hervorging. Wert legte der Staatssekretär auf die Anwesenheit eines besonderen Gastes: den Cheflobbyisten des Daimler-Konzerns. Worüber sich die Runde austauschte, ist nicht bekannt. Notizen oder andere Aufzeichnungen des Treffens... nun, Sie ahnen es.
Vielleicht finden Sie es genauso skandalös wie wir, dass hochrangige Regierungsmitglieder ihr Abendessen mit Rüstungs- und Autolobbyisten einnehmen. Doch die Wahrheit ist: Solange es keine Transparenzpflichten gibt, durch die Hinterzimmerrunden und Restaurantbesuche mit Lobbyakteuren sichtbar werden, braucht es Recherchen, um sie öffentlich zu machen.
Unterstützen Sie unsere Arbeit gegen geheimen Lobbyismus und für eine transparente und saubere Politik! Mit einer Förderung ermöglichen Sie Recherchen und öffentlichkeitswirksame Aktionen, mit denen wir die Politik unter Handlungsdruck setzen. Fördern können Sie uns bereits ab 5 Euro im Monat, ihr Förderbeitrag ist steuerlich absetzbar.
Neue Petition "Lobbytransparenz in den Koalitionsvertrag!" - jetzt zeichnen
© | picture alliance/Keystone| Peter Klaunzer |
Viel ist dieser Tage von Steuerpolitik oder Tempolimit zu hören, wenn es um die Sondierungsgespräche und mögliche Koalitionsverhandlungen geht. Unsere Sorge ist, dass bei den Themen, über die die Parteien verhandeln, ein wichtiges vergessen wird: strenge Transparenzregeln. Darum haben wir in dieser Woche die Petition "Lobbytransparenz in den Koalitionsvertrag!" gestartet. Mit der Kampagne fordern wir die Verhandlungsführer:innen der Parteien auf, folgende Punkte in den Koalitionsvertrag aufzunehmen:
- ein Verbot von Konzernspenden an Parteien
- die Offenlegung von Lobbykontakten
- eine unabhängige Prüfinstanz für Lobby- und Abgeordnetentransparenz.
Bitte zeichnen und verbreiten Sie unsere Petition.
Lobbytransparenz in den Koalitionsvertrag! Jetzt mitmachen und Petition zeichnen
Das sind unsere 735 Abgeordneten - haben Sie Fragen?
© | picture alliance/dpa | Kay Nietfeld |
735 Frauen und Männer werden in den kommenden vier Jahren im Bundestag wichtige Entscheidungen fällen, Gesetzestexte formulieren und sich mit Lobbyakteuren treffen. Vielleicht ist jetzt ein guter Moment um nachzuschauen, wer für uns im Parlament sitzt und unsere Interessen vertreten soll. Wir haben für alle Abgeordneten im neu gewählten Bundestag eine Profilseite angelegt, über die Sie Ihre Fragen stellen können. Im Laufe der Legislaturperiode werden wir dort auch das Abstimmungsverhalten und Nebentätigkeiten der Abgeordneten dokumentieren.
Ein neues Parlament wurde auch auf Landesebene in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern gewählt. Die Abgeordneten können Sie ebenfalls bei uns befragen.
Welche Abgeordneten verpflichten sich zu transparentem Handeln? Finden Sie es heraus
© | abgeordnetenwatch.de |
Lobbytreffen offenlegen, das eigene Budget transparent machen, für ein Verbot von Konzernspenden eintreten: Im Vorfeld der Bundestagswahl hatten sich mehr als 1.600 Kandidierende an unserer Aktion "Transparenz-Versprechen" beteiligt und waren eine Selbstverpflichtung eingegangen, darunter zahlreiche bekannte Politiker:innen wie Gregor Gysi, Annalena Baerbock und Rolf Mützenich. 276 von ihnen sind nun in den Bundestag gewählt worden. Wer sind die Abgeordneten, die sich zu transparentem Handeln verpflichtet haben? Auf unserer Auswertungsseite können Sie dies über eine durchsuchbare Tabelle herausfinden.
Transparenz-Versprechen: Diese Abgeordnete verpflichten sich zu transparentem Handeln
Intransparente Nebeneinkünfte: CSU-Topverdiener verliert Bundestagsmandat
© | picture alliance/dpa | Christoph Soeder |
Mehrere Jahre lang hatte der CSU-Bundestagsabgeordnete Michael Kuffer hunderttausende Euro nebenher verdient, ohne dass die Öffentlichkeit davon wusste. Kuffers Nachmeldungen waren erst Anfang September durch Recherchen von abgeordnetenwatch.de und dem Nachrichtenportal t-online publik geworden.
Dem neuen Bundestag wird der CSU-Politiker nicht mehr angehören. Bei der Bundestagswahl am 26. September verlor Kuffer als einziger CSU-Kandidat sein Direktmandat. Im Wahlkreis München Süd lag am Ende die Grünen-Politikerin Jamila Schäfer mit rund 1.200 Stimmen vorn (mehr bei t-online).
Auch die langjährige CDU-Abgeordnete Gisela Manderla verpasste den Einzug ins Parlament. Vorletzte Woche hatten wir aufgedeckt, dass die Verteidigungsexpertin in ihrem Bundestagsbüro die Ehefrau eines Rüstungslobbyisten beschäftigte – ausgerechnet als Referentin für Verteidigung. Bei der Bundestagswahl landete Manderla im Wahlkreis Köln III auf dem dritten Platz, sie war nicht über die Landesliste abgesichert.
+++ Großspenden-Ticker: FDP und Grüne profitierten am meisten +++
Vermögende Privatpersonen, Unternehmen und Interessenverbände haben den Parteien in den Monaten vor der Bundestagswahl Rekordeinnahmen beschert. Allein FDP (4,3 Mio. Euro) und Grüne (3,4 Mio. Euro) nahmen seit Jahresbeginn mehr Geld mit Großspenden ein als im vergangenen Bundestagswahljahr 2017 alle Parteien zusammen.
Auf Rang drei folgt in diesem Jahr die CDU mit knapp 3,4 Millionen Euro. Alle übrigen Parteien – darunter CSU, SPD und Linkspartei – kamen zusammen auf bislang rund 880.000 Euro.
Parteien müssen Großspenden ab einem Betrag von mehr als 50.000 Euro unverzüglich beim Bundestagspräsidenten melden, der diese anschließend im Internet veröffentlicht. Sehr viel mehr nehmen die Parteien mit Spenden unterhalb dieser Schwelle ein. Das Problem: Wer die Geldgeber:innen sind, wird erst mit bis zu zwei Jahren Verspätung in den Rechenschaftsberichten der Parteien transparent gemacht. Die vollständigen Spendenlisten aus diesem Jahr werden vermutlich erst Anfang 2023 erscheinen.
Fragen und Antworten des Monats
- Enteignung und Braunkohle | In einem Aufsatz hatte die FDP-Politikerin Nicola Beer vor einigen Jahren kritisiert, dass der Staat "ungeniert" in Eigentumsrechte von Menschen eingreife. Ein Bürger will von Beer wissen, wie dies mit dem Regierungshandeln von CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen zusammenpasse, wo die Landesregierung "Menschen enteignet, um auf ihren Grundstücken Braunkohle abzubauen". Beers Antwort steht noch aus, sie können diese hier abonnieren.
- Wahlkampfprospekte und CO2 | "Wie hoch ist der CO2-Verbrauch durch Ihre ungewollt zugestellte Hochglanzwahlwerbepost?" wollte ein Fragesteller kürzlich von dem CDU-Politiker Cem Erkisi wissen. Erkisi, der sich um ein Mandat im Berliner Abgeordnetenhaus bewarb, antwortete: "Wir, mein Team und ich, wollten schon, dass die Broschüren alle möglichen Wahlberechtigten erreichen. Und dafür, dass uns die Menschen wichtig sind, investieren wir auch in Qualität. Daran verdienen die Druckereiangestellten auch und so sichern wir den Arbeitsplatz." Solange in Asien ganze Kohlekraftwerke betrieben würden, um Bitcoins zu schürfen, interessiere das Klima die "paar Hochglanzprospekte nicht".
- Kopfstand und Tafel wischen | Mit einer eher ungewöhnlichen Fragen wandten sich Schüler:innen einer Hanauer Schule an den SPD-Bundestagskandidaten Jan Lennard Oehl: "Wir wollten Sie fragen, wie Sie die Schule fanden und ob Sie schon mal Herr Schuster im Unterricht hatten?" Antwort des inzwischen in den Bundestag gewählten Politikers: "Ich hatte an der Hohen Landesschule eine sehr schöne Schulzeit und bin der Schule noch sehr freundschaftlich verbunden. Und natürlich hatte ich Herrn Schuster im Musikunterricht und unter anderem gelernt, wie man Kopfstände macht und die Tafel richtig wischt ;)"
Haben auch Sie Fragen an die Abgeordneten im Bundestag, den Landtagen oder dem EU-Parlament? Hier geht es zur Fragemöglichkeit auf abgeordnetenwatch.de:
Bundestag | EU-Parlament | Baden-Württemberg | Bayern | Berlin | Brandenburg | Bremen | Hamburg | Hessen | Mecklenburg-Vorpommern | Niedersachsen | Nordrhein-Westfalen | Rheinland-Pfalz | Saarland | Sachsen | Sachsen-Anhalt | Schleswig-Holstein | Thüringen
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