An dieser Geschichte haben wir lange gearbeitet: Ein Ex-Vizekanzler, der für einen großen Konzern in den vergangenen Monaten mehrfach bei wichtigen Leuten im Kanzleramt vorstellig wurde. Ein Rüstungskonzern, der den einstigen Fraktionsvize einer aktuellen Regierungspartei verpflichtet hat, auch wenn dieser sich nie als Verteidigungsexperte hervorgetan hat. Ein Ex-Abgeordneter, dessen Lobbyverein für 10.000 Euro im Jahr “Zugang zum MdB-Netzwerk” gewährt. Gemeinsam mit der Wochenzeitung Die Zeit und dem ZDF Magazin Royale haben wir an diesem Freitag fragwürdige Lobbyaktivitäten wie diese öffentlich gemacht. Mehr dazu in dieser Newsletter-Ausgabe.
Unsere Themen:
- Die diskreten Lobbykontakte von Sigmar Gabriel und Co.
- So berichtet das ZDF Magazin Royale
- Hinter den Kulissen der Recherche: Ein Lobbyist "in Probezeit" und eine merkwürdige Verwechslung
- Mit dem Kanzler am Golf | Aktienhandel von Abgeordneten | Lücke im Lobbyregister: Neues aus unseren Sozialen Netzwerken
- Wen wählen? Unser Kandidierenden-Check und weitere Angebote zur Niedersachsen-Wahl helfen
- In eigener Sache: So finanziert sich abgeordnetenwatch.de
- Fragen und Antworten des Monats
Am häufigsten angeklickter Link im letzten Newsletter: Lobbyisten erhielten zu Unrecht Bundestagsausweise
Die diskreten Lobbykontakte von Sigmar Gabriel und Co.
© | picture alliance/EPA-EFE | FELIPE TRUEBA |
Für Stahlkonzerne, Versicherungsvertriebe und Lobbyagenturen sind Ex-Abgeordnete in den vergangenen Monaten bei früheren Kolleg:innen in der Regierung und im Bundestag vorstellig geworden. In einer monatelangen Recherche haben abgeordnetenwatch.de, Zeit und ZDF Magazin Royale die Seitenwechsel von fast drei Dutzend ehemaligen Abgeordneten nachgezeichnet. Mit dabei: Vizekanzler a.D. Sigmar Gabriel (SPD) und der ehemalige CDU-Generalsekretär Peter Tauber. Beide arbeiten inzwischen für große Konzerne und nutzten ihre Kontakte ins Kanzleramt bzw. ins Wirtschaftsministerium.
Die Recherche zeigt außerdem, dass im neuen Lobbyregister eklatante Transparenzlücken existieren. Mehr:
So berichtet das ZDF Magazin Royale
© | Screenshot: abgeordnetenwatch.de |
Fast eine halbe Stunde ging es am Freitagabend im ZDF um das Thema Lobbyismus – satirisch verarbeitet vom ZDF Magazin Royale mit Jan Böhmermann. Redakteur:innen des Programms hatten uns und Die Zeit in den letzten Monaten dabei unterstützt, die Seitenwechsel von ehemaligen Abgeordneten zu Konzernen und Lobbyorganisationen aufzuspüren. In der Show geht das ZDF Magazin Royale unter anderem der naheliegenden Frage nach: Warum muss ein Abgeordneter eigentlich als Lobbyist für einen Rüstungskonzern arbeiten – wenn er (und das ist kein Scherz) gelernter Eventmanager und Gründer eines Techno-Clubs ist?
Zur ZDF Magazin Royale-Sendung vom Freitag (Mediathek)
Außerdem hat die Redaktion ein Lobby-Memory vorbereitet: Welche Ex-Abgeordneten passen zu welchen Lobbyjobs (oder umgekehrt).
Auch Die Zeit widmet sich in ihrer aktuellen Ausgabe den Lobbyaktivitäten der Ex-Abgeordneten – wenngleich vollkommen unironisch. Online ist der Artikel für Abonnent:innen der Wochenzeitung hier frei verfügbar.
Hinter den Kulissen der Recherche: Ein Lobbyist "in Probezeit" und eine merkwürdige Verwechslung
© | Fotos: picture alliance - imageBROKER/Jürgen Henkelmann, dpa-Zentralbild/Hendrik Schmidt, AA/Abdulhamid Hosbas |
Kurz nach der Bundestagswahl im September 2021 kam die Idee auf, die neuen beruflichen Tätigkeiten der ausgeschiedenen Abgeordneten zu verfolgen. Was werden sie künftig machen? Gemeinsam mit Journalisten der Zeit begannen wir, die Aktivitäten der früheren Abgeordneten zu verfolgen. Wir abonnierten News-Alerts, lasen Branchen-Portale und durchforsteten das Lobbyregister.
In der Anfangszeit tat sich wenig. Doch je größer der Abstand zur Bundestagswahl wurde, desto mehr Ex-Politiker:innen mit lobbyrelevanten Tätigkeiten fanden sich. Am Ende waren es mindestens 34 ausgeschiedene Abgeordnete, die heute in unterschiedlichen Funktionen für Konzerne, Wirtschaftsverbände, Netzwerk-Vereine oder Lobbyagenturen tätig sind.
Als wir den Beteiligten im Vorfeld der Veröffentlichung Fragen schickten, bekamen wir teils abenteuerliche Geschichten aufgetischt. Der frühere CDU-Generalsekretär Peter Tauber etwa arrangierte für die Deutsche Vermögensberatung AG (DVAG) mindestens zwei Termine mit einem Duzfreund im Bundeswirtschaftsministerium. So steht es in seinen Mailanfragen ans Ministerium, die wir jetzt veröffentlicht haben. Das Problem: Die DVAG steht nicht im Lobbyregister, eigentlich darf sie keinen Kontakt zur Bundesregierung aufnehmen. Tauber erklärte seine Terminanbahnung für den Konzern mit einem Versehen: Den Kontakt zum Ministerium habe er in Wirklichkeit nicht im Namen der DVAG aufnehmen wollen, sondern für die Deutsche Unternehmensverband Vermögensberatung (DUV). Tauber arbeitet für beide Organisationen.
Eigentümlich war auch die Begründung, die das Unternehmen Bauerfeind AG vorbrachte. Kurz nachdem wir dem Konzern eine Anfrage zu seinem Lobbyisten, den ehemaligen CDU-Abgeordneten Roy Kühne, geschickt hatten, erschien im Lobbyregister ein Eintrag der Bauerfeind AG – Monate nach Ablauf der Eintragungspflicht. Eine der Erklärungen: Roy Kühne habe sich als Lobbyist noch "in der Probezeit" befunden.
Und dann ist da noch Sigmar Gabriel, inzwischen Aufsichtsratschef beim Stahlkonzern Thyssen Krupp Steel. Dass er noch am Tag seiner Wahl mit einem Vertrauten von Bundeskanzler Olaf Scholz zum Thema Stahl telefonierte und sich einige Wochen später mit Scholz persönlich traf, hält Gabriel für “nicht von öffentlichem Interesse", sondern für seine "Privatangelegenheit”.
Unsere Recherche hat gleich mehrere Transparenz- und Regelungslücken im Lobbyregister zum Vorschein gebracht. Die wohl wichtigste Erkenntnis: Das Lobbyregister ist derart löchrig, dass sich Konzerne, Verbände und Lobbyagenturen um die bestehenden Transparenzpflichten herummogeln können. Die Konsequenz muss deshalb sein: Lobbyakteure müssen endlich sämtliche Lobbykontakte verpflichtend offenlegen – verbunden mit abschreckenden Strafen bei einem Verstoß. Die Ampel-Koalition macht jedoch keine Anstalten, eine Offenlegungspflicht einzuführen.
Dass geheime Lobbyaktivitäten immer erst durch Recherchen ans Licht kommen, ist nicht akzeptabel. Bitte unterstützen Sie unsere Arbeit gegen Lobbyismus im Verborgenen, jede einmalige und regelmäßige Spende hilft! Damit ermöglichen Sie weitere Recherchen und öffentlichkeitswirksame Aktionen, die Handlungsdruck auf die Politik erzeugen. Ihre Spenden sind übrigens steuerlich absetzbar.
Mit dem Kanzler am Golf | Aktienhandel von Abgeordneten | Lücke im Lobbyregister: Neues aus unseren Sozialen Netzwerken
Neben unserer Website liefern wir auch bei Twitter, Instagram und Facebook Hintergründe zu aktuellen Themen sowie zu unseren Recherchen. Hier einige Beispiele aus den vergangenen Tagen:
- Mit dem Kanzler am Golf: Bei Auslandsreisen wird Olaf Scholz häufig von einer großen Wirtschaftsdelegation begleitet. Hier auf Twitter zeigen wir, welche Unternehmen bei der jüngsten Kanzler-Reise nach Saudi Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Katar mit an Bord des Regierungsfliegers waren.
- Aktienhandel von Abgeordneten: Dutzende US-Abgeordnete haben nach Recherchen der New York Times mit Finanzprodukten gehandelt, die von ihrer Arbeit im Kongress betroffen sein können. Auf Twitter führt ein Nutzer zahlreiche Beispiele auf (in englischer Sprache). Im Gegensatz zu den USA gibt es in Deutschland keine Transparenzpflichten für den Aktienhandel von Abgeordneten.
- Lücke im Lobbyregister: In der Berliner Zeitung ist kürzlich ein Artikel mit der Überschrift "Lücke im Lobbyregister: Rüstungsverbände haben freien Zugang zum Bundestag" erschienen. Der Text beruhte auf Recherchen von abgeordnetenwatch.de. Hier auf Twitter haben wir die wichtigsten Punkte zusammengefasst.
Wenn Sie in den Sozialen Netzwerken aktiv sind, folgen Sie uns gern. Auf Twitter und Facebook tun dies bereits mehr als 100.000 Menschen, bei Instagram mehr als 20.000. Indem Sie dort unsere Einträge teilen, helfen Sie, noch mehr Menschen auf das Thema Lobbyismus in der Politik aufmerksam zu machen. Wenn Sie diesen Newsletter verbreiten möchten, verwenden Sie dafür bitte diesen Link.
Wen wählen? Unser Kandidierenden-Check und weitere Angebote zur Niedersachsen-Wahl helfen
© | abgeordnetenwatch.de |
Von den Positionen der Parteien zur Niedersachsen-Wahl am kommenden Sonntag haben viele inzwischen eine Vorstellung – doch wie sieht es mit den Kandidierenden im eigenen Wahlkreis aus? Mit unserem Kandidierenden-Check finden Sie ganz einfach heraus, mit wem Sie die meisten Übereinstimmungen zu Themen wie 365 Euro-Ticket, Übergewinnsteuer oder Rüstungsausgaben haben. Einfach Postleitzahl eingeben und 22 Thesen beantworten.
Niedersachsen: Kandidierenden-Check für Ihren Wahlkreis starten
Zu Landtagswahl am kommenden Sonntag haben wir außerdem diese Informationsseiten für Sie:
- Auswertung des Kandidierenden-Checks: So denken die Direktkandidierenden zur Niedersachsen-Wahl
- Analyse: Wie positionieren sich die Parteien zu den Themen Bildung, Innere Sicherheit und Landwirtschaft?
- Wen soll ich wählen? Eine Liste mit Online-Hilfen – vom Wahlomat bis zum Wahlswiper
Haben Sie Fragen an die Kandidierenden? Auf unserem Wahlportal können Sie mit den Politiker:innen in Kontakt treten und sehen, wie diese auf die Fragen aus der Bevölkerung reagiert haben.
In eigener Sache: So finanziert sich abgeordnetenwatch.de
Wie setzen wir die Spenden und Förderbeiträge ein? Und aus welchen Mitteln finanziert sich abgeordnetenwatch.de? In diesem Video erklären wir es.
Detaillierte Informationen finden Sie darüber hinaus in unserem Jahres- und Wirkungsbericht 2021 (pdf). Unser Trägerverein Parlamentwatch e.V. beteiligt sich seit vielen Jahren an der Initiative Transparente Zivilgesellschaft, einer Initiative für Transparenz bei gemeinnützigen Organisationen. Mit unserem Jahresbericht erfüllen wir die Selbstverpflichtung, die wir mit der Teilnahme an der Transparenz-Initiative eingegangen sind.
Fragen und Antworten des Monats
- Irrtum: Ein Kandidat der Partei Volt zur Landtagswahl in Niedersachsen hat nach einer Frage auf abgeordnetenwatch.de einen Irrtum eingeräumt. Eine Bürgerin hatte den Politiker Otto Rosenhagen darauf hingewiesen, dass dessen Zustimmung zum Ausbau der sogenannten "Küstenautobahn" im Widerspruch zur Position seiner Partei stehe. Darauf antwortete der Volt-Kandidat: "Aufgrund deiner Frage habe ich mich nochmals mit dem Thema beschäftigt und muss sagen, dass ich meine Meinung dazu revidieren muss. Ich stehe voll hinter der Aussage von Volt und habe mich bezüglich meiner ursprünglichen Beurteilung geirrt." Der Ausbau dieser Autobahn stehe jeglichem Klimaschutz entgegen.
- AfD: "Wie rechtfertigen Sie es, in einer Partei aktiv zu sein, in der nachweislich ehemalige und aktive Rechtsradikale ihr Unwesen treiben?" will ein Bürger von dem AfD-Bundestagsabgeordneten Wolfgang Wiehle wissen. Wiehle schreibt, es sei "weit verbreitet, unerwünschte Positionen aus der Diskussion auszugrenzen, indem man ihren Vertretern böse Absichten unterstellt". Nach seiner Erfahrung gehöre dazu auch der Versuch, anderen Personen zu unterstellen, 'rechtsradikal' zu sein. "Solche Einschätzungen sind typischerweise sehr subjektiv." Er trete für mehr Demokratie und mehr Meinungsfreiheit ein.
- Abgeordneten-Entschädigung: "Bekommen Abgeordnete ihre Bezüge auch am Anfang des Monats ausgezahlt?" will ein Fragesteller von dem CDU-Abgeordneten Carsten Brodesser wissen. Dieser weist darauf hin, dass die Bundestagsmitglieder nach dem Grundgesetz keinen Lohn erhielten. Vielmehr werde ihnen "für den Ausfall des Gehalts eine Entschädigung" gezahlt. Ausgezahlt werde diese zu Beginn eines Monats.
Haben auch Sie Fragen an die Abgeordneten im Bundestag, den Landtagen oder dem EU-Parlament? Hier geht es zur Fragemöglichkeit auf abgeordnetenwatch.de:
Bundestag | EU-Parlament | Baden-Württemberg | Bayern | Berlin | Brandenburg | Bremen | Hamburg | Hessen | Mecklenburg-Vorpommern | Niedersachsen (Wahl) | Nordrhein-Westfalen | Rheinland-Pfalz | Saarland | Sachsen | Sachsen-Anhalt | Schleswig-Holstein | Thüringen
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