Urteil aus Karlsruhe zum Ampel-Vorschlag

Wahlrechtsreform zur Bundestagswahl

Das Bundestagswahlrecht muss reformiert werden, damit der Bundestag kleiner wird. Darüber sind sich die Parteien im Deutschen Bundestag weitgehend einig. Über die genaue Ausgestaltung herrscht jedoch jahrelanger Streit. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat nun Klarheit geschaffen - fürs Erste

von Alexander Kukuk, 22.04.2024

Die Wahlrechtsreform der Bundesregierung ist verfassungskonform, wird allerdings ein einem wichtigen Punkt korrigiert. Was die Wahlrechtsreform für die Bundestagswahl 2025 bedeutet und was die größten Streitpunkte waren:

Welches Wahlrecht galt bisher?

Bundestagswahlen werden als personalisierte Verhältniswahlen durchgeführt. Die gesetzlich vorgeschriebene Größe des Bundestags lag bis zur Reform regulär bei 598 Sitzen. Diese setzen sich zusammen aus den Wahlkreisgewinner:innen, die über die Erststimme direkt in den 299 Wahlkreisen gewählt werden. Zusätzlich werden 299 Listenplätze nach dem Prinzip der Verhältniswahl an die Parteien verteilt. Dabei ist entscheidend, wie viele Wähler:innen sich mit der Zweitstimme für eine Partei ausgesprochen haben. In den Bundestag einziehen können nur Parteien, die mindestens fünf Prozent der Zweitstimmen erreichen (Fünf-Prozent-Hürde) oder mindestens drei Direktmandate in den Wahlkreisen erzielen (Grundmandatsklausel).

Warum ist eine Wahlrechtsreform notwendig?

Die gesetzliche Größe des Bundestags von 598 Sitzen wurde in den letzten Jahren deutlich überschritten. Grund dafür sind die Überhang- und Ausgleichsmandate. Überhangmandate entstehen, wenn Parteien mehr Direktmandate über die Erststimme erhalten, als ihnen nach dem Zweitstimmenergebnis zusteht. Um die Fraktionsstärke im Bundestag gemäß des Zweitstimmenergebnisses abzubilden, erhalten die anderen Fraktionen anteilig Ausgleichsmandate. Bei der Bundestagswahl 2021 wuchs der Bundestag dadurch auf eine Rekordgröße von 736 Abgeordneten an. Hauptgrund dafür waren vor allem die vielen Überhangmandate der CSU und Ausgleichsmandate der anderen Fraktionen. Der aufgeblähte Bundestag führt zu deutlich höheren Kosten für die Steuerzahler:innen und erschwert parlamentarische Abläufe beispielsweise in Fraktionen, Ausschüssen und Arbeitsgruppen.

Was beinhaltet die Wahlrechtsreform der Ampel?

Die Regelgröße des Bundestags wird von 598 auf 630 Abgeordnete angehoben. Jede Partei soll zukünftig nur noch exakt so viele Sitze im Parlament erhalten, wie ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen. Überhang- und Ausgleichsmandate werden ersatzlos gestrichen.
Die wichtigste Änderung betrifft die Erststimme: Kandidierende, die über das Ergebnis der Erststimme ihren Wahlkreis gewonnen haben, ziehen zukünftig nicht mehr automatisch in den Bundestag ein. Die Wahlkreissieger:innen mit den schlechtesten Ergebnissen gehen leer aus, sollten ihrer Partei gemäß des Zweitstimmenergebnisses nicht ausreichend Sitze zustehen.

Ein großer Streitpunkt lag in der von der Amepl-Regierung geforderten Abschaffung der Grundmandatsklausel. Dies hätte bedeutet, dass eine Partei, die weniger als fünf Prozent der Gesamtstimmen erhält, definitiv keine Sitze mehr im Bundestag erhalten hätte. Von der Fünf-Prozent-Hürde ausgenommen wären nach dem Vorschlag der Bundesregierung nur noch Parteien nationaler Minderheiten wie der SSW, der durch Stefan Seidler mit nur einem Abgeordneten im Bundestag vertreten ist. Bei der Bundestagswahl 2021 konnte die Fraktion DIE LINKE mit 39 Abgeordneten ins Parlament einziehen, obwohl die Partei bundesweit nur 4,9 Prozent der Stimmen erreicht hatte. Gesine Lötzsch, Gregor Gysi und Sören Pellmann sicherten den Wiedereinzug durch die drei gewonnen Direktmandate in ihren Wahlkreisen. 

Nun hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt: auch 2025 sollen Parteien in den Bundestag einziehen, die drei oder mehr Direktmandate gewinnen können.

Wie war der Weg zur Reform?

Bereits 2020 hat die Große Koalition einen Gesetzentwurf vorgelegt, der vorsah, dass Überhangmandate erst ab dem vierten Mandat ausgeglichen werden. Das Bundesverfassungsgericht erklärte die Wahlrechtsreform im November 2023 für verfassungskonform. Zuvor hatten die damaligen Oppositionsparteien Bündnis 90/Die Grünen, FDP und DIE LINKE gemeinsam geklagt. Durch das neue Wahlgesetz der Ampelfraktionen sind die Änderungen von 2020 allerdings überholt.

Im Januar 2023 legte die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vor, der jedoch stark kritisiert wurde. Im März 2023 brachten die Ampelfraktionen dann einen überarbeiteten Gesetzentwurf in den Bundestag ein, in dem die festgelegte Anzahl der Abgeordneten von 598 auf 630 angehoben wurde. Dadurch soll das Risiko verringert werden, dass einzelne Wahlkreise zukünftig nicht mehr durch eine:n Abgeordnete:n im Bundestag vertreten werden. Die Wahlrechtsreform wurde mit einfacher Mehrheit im Bundestag angenommen, die namentliche Abstimmung dazu finden Sie hier.

Welche Kritik gibt es an der Wahlrechtsreform?

Größte Kritik an der Wahlrechtsreform formulierten CDU/CSU und Linkspartei, da sich beide durch das neue Wahlgesetz, insbesondere durch die Streichung der Grundmandatsklausel, benachteiligt fühlten. Genau wie die Linkspartei hätte auch die die CSU zukünftig um den Einzug in den Bundestag zittern müssen. Bei der Bundestagswahl 2021 hatte sie bundesweit nur 5,2 Prozent der Zweitstimmen erhalten. Die Absicherung über die zahlreichen Direktmandate wäre zukünftig entfallen. Zudem erhält die CSU traditionell die meisten Überhangmandate, auch diese sind ab 2025 gestrichen. Geklagt hatten u.a. die CDU/CSU und DIE LINKE, die bayrische Staatsregierung, aber auch der Demokratieverein „Mehr Demokratie e. V., der maßgeblich die Stärkung der Fünf-Prozent-Hürde kritisch sieht und eine Absenkung auf drei Prozent fordert.

Das Bundesverfassungsgericht urteilt, dass die Fünf-Prozent-Hürde derzeit als verfassungswidrig eingestuft wird, jedoch mit Einschränkungen weiterhin gilt. Dazu zählt die Beibehaltung der Grundmandatsklausel, um die Hürden für den Einzug ins Parlament für kleinere Parteien nicht noch weiter zu erhöhen.

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