Am Tag nach der Wahl skizzierte der Europaabgeordnete Martin Sonneborn schon einmal, was die Wähler von ihm in den kommenden fünf Jahren im kommenden Monat zu erwarten haben: Die Organisation seines Rücktritts:
"Wir werden versuchen, monatlich zurückzutreten, um 60 Parteimitglieder durchzuschleusen durch das EU-Parlament. Das heißt, dass jedes dieser Mitglieder einmal für 33.000 Euro im Monat sich Brüssel anschauen kann und dann zurücktritt und noch sechs Monate lang Übergangsgelder bezieht. Wir melken also die EU wie ein kleiner südeuropäischer Staat."
Wenn Sonneborn und seine Partei-Freunde demnächst den Missbrauchsmöglichkeiten im EU-System einen ersten Praxistest unterziehen, geht es zwar nicht um Millardensummen wie bei den Finanzhilfen für südeuropäische Staaten. Einige Millionen Euro könnten für die Parlamentsneulinge aber durchaus drin sein.
Die Rechnung geht so:
Pro Monat kassiert ein Europaabgeordneter 38,5 Prozent der Bezüge eines Richters am Europäischen Gerichtshof, das entspricht derzeit 8.020,53 Euro (brutto). Sonneborn und die Seinen wollen nach einem Monat in Brüssel und Straßburg jeweils sechs Monate lang ein Übergangsgeld in Höhe einer Monatsdiät abgreifen. Bei insgesamt 60 Abgeordneten, die so bis zum Ende der Legislaturperiode durch das EU-Parlament geschleust werden könnten, wären dies rund 2,9 Mio. Euro allein an Übergangsgeldern.
Doch schon mit dem Rücktritt von Sonneborn, dem ersten in der Reihe von 60 Partei-Genossen, könnte es schwierig werden. Zunächst muss er den Parlamentspräsidenten informieren, dann nimmt sich der Rechtsausschuss hinter verschlossenen Türen der Sache an. Erst wenn dieser grünes Licht gibt, könnte sich der Parlamentsnovize seines Mandates entledigen. Gut möglich also, dass Sonneborn der Rückzug verweigert würde und er 5 Jahre lang in Brüssel und Straßburg die Stellung halten müsste. Zumindest an Übergangsgeldern würde dann kein Cent in die Partei-Kasse fließen.
Selbst wenn die Parlamentskollegen Sonneborn loswerden wollten und den Rücktritt grundsätzlich abnicken, dürfte es schwer werden, die EU zu melken. In der Vergangenheit wurde ein Übergangsgeld erst nach einer festgelegten Mindestzeit im Parlament bewilligt. Rechtlich ist das allerdings nicht eindeutig geregelt. Im Abgeordnetenstatut heißt es in Artikel 13 (2), ein Anspruch auf Übergangsgeld bestehe "für jedes Jahr der Ausübung des Mandats". Doch kann davon die Rede sein, wenn Sonneborn bereits nach einem Monat wieder ausscheidet? Das Europäische Parlament meint: nein. Ein Parlamentarier müsse sein Mandat "mindestens" ein Jahr ausüben, bevor das Geld fließt, so steht es jedenfalls in den Durchführungsbestimmungen.
In diesem Fall könnte Die Partei also maximal 5 ihrer Leute durchs Parlament schleusen, nicht aber 60. Damit würden 55 Bezieher von Übergangsgeldern wegfallen und damit rund 2 Millionen Euro, die nicht in die Partei-Kasse fließen würden.
Unabhängig von der Gewährung von Übergangsgeldern landet jeden Monat ein stattlicher Betrag auf dem Konto von Sonneborn (und möglichen Nachrückern). Jedem EU-Abgeordneten steht eine steuerfreie Kostenpauschale in Höhe von 4.299 Euro sowie ein Tagesgeld von 304 Euro pro Sitzungstag zu (Plenarsitzungen finden laut Sitzungskalender im Schnitt an 5 Tagen im Monat statt). Über die fünf Jahre einer Legislaturperiode summiert sich dies auf bis zu 350.000 Euro, die zusätzlich zu der Abgeordnetendiät in Höhe von rund 480.000 Euro brutto gezahlt werden.
Bis zu 21.000 Euro darf Sonneborn außerdem pro Monat für Mitarbeiter ausgeben - Geld, das innerhalb der Partei-Familie verteilt würde, aus der sich die Assistenten rekrutieren sollen. Auch wenn die Vergütung der Mitarbeiter nicht automatisch als Pauschalbetrag gezahlt wird, sondern nur gegen die Vorlage von Verträgen: Die EU würde die Partei-Genossen in den kommenden Jahren mit weiteren rund 1,26 Millionen Euro alimentieren.
Addiert man mögliche Übergangsgelder, Pauschalen, Tagesgelder und Mitarbeitervergütungen zusammen, steht unter dem Strich ein Betrag von bis zu 5 Mio. Euro. Darin sind Reisekosten noch nicht einmal enthalten.
Doch damit nicht genug. Denn auch im Deutschen Bundestag sind für Sonneborn noch Vergünstigungen sowie der ein oder andere Euro zu holen. Nach Artikel 10a im EU-Abgeordnetengesetz haben deutsche Mitglieder des Europäischen Parlaments Anspruch auf die Mitbenutzung eines Büroraumes am Sitz des Bundestages, die Erstattung von Dienstreisen, sofern das Europäische Parlament für diese nicht aufkommt, die Benutzung der Dienstfahrzeuge und der Fernmeldeanlagen. Diese Ansprüche gelten im Übrigen nach Bekanntgabe des amtlichen Endergebnisses der Wahl – sprich: seit Ende Mai.
Wie auch immer: Wegen der ausbleibenden Übergangsgelder dürfte es am Ende vermutlich nichts werden mit dem ganz großen Melken der EU. Dienlich war die Aktion aber in jedem Fall: Sonneborn hat den Finger in die Wunde gelegt und mögliche Missbrauchsmöglichkeiten aufgezeigt. Am Ende zeigt sich: Ganz so wehrlos gegen Selbstbedienung ist das Europäische Parlament dann doch nicht.
Und so dürfte Sonneborn schon jetzt mehr Produktives geleistet haben als manche Parlamentarier in einer ganzen Legislaturperiode.
Update 4.7.2014:
Befragt nach der geplanten Rochade erklärte Sonneborn in einem Interview mit der taz:
Nein, das ist juristisch kaum zu machen. Hans-Herbert von Arnim hat das in der Legal Tribune gut aufgeschlüsselt. Es gibt ein paar windelweiche Paragrafen, nach denen das Parlament einfach nur nachweisen müsste, dass wir gegen den Geist irgendwelcher Verträge – von Lissabon oder Buxtehude – verstoßen. Das würde schon reichen, um uns das Mandat zu entziehen.
Keno Franke