Als kürzlich die Affäre um den CDU-Politiker Philipp Amthor aufflog, wurde wieder einmal offensichtlich, dass bei den Transparenzpflichten für Abgeordnete einiges im Argen liegt. Denn Amthors Aktienoptionen des US-Konzerns Augustus Intelligence sowie mehrere Luxusreisen kamen nicht etwa ans Licht, weil der junge Bundestagsabgeordnete zur Offenlegung verpflichtet gewesen wäre (dies war er nach jetzigem Stand nämlich nicht), sondern erst durch die akribische Arbeit von Journalistinnen und Journalisten.
Die Verhaltensregeln für Bundestagsabgeordnete sind derart lax, dass Interessenkonflikte oder finanzielle Verflechtungen zwischen Abgeordneten und Unternehmen für die Öffentlichkeit oftmals unsichtbar bleiben. Das Ausmaß ist gigantisch: Bei mindestens 11,2 Mio. Euro ist nach gemeinsamen Recherchen von abgeordnetenwatch.de und SPIEGEL nicht klar, von wem Bundestagsabgeordnete in der laufenden Legislaturperiode durch ihre Nebentätigkeiten Geld erhalten haben. Dies betrifft 56 Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die neben ihrem Bundestagsmandat freiberuflich arbeiten, zum Beispiel als Anwalt, Landwirt oder Unternehmensberater. Die Namen ihrer Geschäftspartner müssen sie nicht veröffentlichen – und das, obwohl ihnen einzelne Vertragspartner beträchtliche Summen zahlen.
Ex-Minister beantragte Tätigkeit für die Deutsche Telekom AG
Wer ist zum Beispiel der „Mandant 1“, von dem der frühere Innenminister Thomas de Maizière nach Angaben auf seiner Bundestagsseite als Rechtsanwalt mindestens 125.000 Euro erhalten hat? Es wäre nicht allzu überraschend, wenn hinter der Angabe die Deutsche Telekom AG steckte. Denn kurz nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des Innenministers im März 2018 meldete de Maizière der Bundesregierung, er wolle für das Telekommunikationsunternehmen als Rechtsanwalt tätig werden. Die Regierung untersagte ihm die „rechtsanwaltliche Beratungstätigkeit für die Deutsche Telekom AG in den Bereichen nationale, europäische und internationale Telekommunikationsbeziehungen“ für die Dauer von zwölf Monaten. Diese Sperrfrist lief Anfang 2019 aus. Einige Wochen später, im Juni 2019, tauchte „Mandant 1“ dann erstmals auf de Maizières Bundestagsseite auf.
Ob er für die Telekom beratend tätig ist, wollte der CDU-Abgeordnete auf Anfrage von abgeordnetenwatch.de weder dementieren noch bestätigen. Als Rechtsanwalt sei er zur Verschwiegenheit verpflichtet, ließ der Ex-Minister über sein Bundestagsbüro mitteilen.
Mindestens 700.000 Euro von "Mandant 30468"
Einen rätselhaften Vertragspartner gibt auch der AfD-Abgeordnete und Rechtsanwalt Enrico Komning an, auf seiner Bundestagsseite wird dieser als „Mandant 30468“ bezeichnet. Allein für ihn meldete Komning als Inhaber einer Rechtsanwaltskanzlei seit 2017 ein Honorar von mindestens 700.000 Euro.
Komning sitzt im Bundestagsausschuss für Wirtschaft und Energie. Käme der zahlungskräftige Mandant aus einem dieser Bereiche, würde das einen Interessenkonflikt darstellen. Denn dass ein Abgeordneter vollkommen unvoreingenommen über Gesetze mitentscheiden kann, die seine Geschäftspartner direkt oder indirekt betreffen, ist schwer vorstellbar.
Geschäftsbeziehung beendet
Nach Recherchen von abgeordnetenwatch.de war Komnings Kanzlei in der Vergangenheit für den Bezahlsender Sky Deutschland rechtsanwaltlich tätig und mahnte Inhaber von Gaststätten ab. Dies geht zum Beispiel aus einem Urteil des Landgerichts Potsdam hervor, in dem die Kanzlei Komning Rechtsanwälte im Zusammenhang mit einer mündlichen Verhandlung am 11. Oktober 2017 als Bevollmächtigter der Sky Deutschland Fernsehen GmbH & Co. KG genannt wird. Da Komning im Bundestag auch mit Digital- und Medienthemen zu tun hat und sich etwa in einer Plenardebatte im Oktober 2018 zum Thema „Geoblocking“ äußerte, wäre eine bestehende Geschäftsbeziehung mit Sky nicht unproblematisch.
Sky bestätigte gegenüber abgeordnetenwatch.de, dass die Kanzlei Komning Rechtsanwälte „zur Verfolgung von Ansprüchen illegaler Ausstrahlungen im Gastronomiebereich“ für das Unternehmen tätig gewesen sei. Seit Oktober 2017 seien keine Zahlungen seitens Sky mehr erfolgt und die Geschäftsbeziehung 2019 "endgültig abgewickelt worden". „Nachdem wir von den politischen Aktivitäten in Verbindung mit der Kanzlei Kenntnis erhalten hatten, haben wir umgehend die Beendigung der Geschäftsbeziehung in die Wege geleitet und ab diesem Zeitpunkt keine Mandate mehr vergeben“, erklärte eine Sky-Sprecherin.
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Komning teilte auf Anfrage mit, über konkrete Mandatsverhältnisse – „auch deren Beginn und Beendigung“ – aus berufsrechtlichen Gründen keine Angaben machen zu dürfen. Seine Tätigkeit als Abgeordneter stehe aber weder „im (politischen) Widerspruch noch im Interessenkonflikt mit der Aufrechterhaltung des Betriebes meiner Kanzlei“. Er selbst betreue nur noch etwa zwei bis drei Einzelmandate jährlich, „meist aufgrund persönlicher Bekanntschaft zum Mandanten“. Der Kanzleibetrieb werde im Wesentlichen von seinen angestellten Anwälten und weiteren Mitarbeitern aufrechterhalten.
Schäuble könnte für mehr Transparenz sorgen, tat dies aber nicht
Dass bei Rechtsanwälten wie Komning oder de Maizière, aber auch bei Landwirten, Unternehmensberatern und anderen Selbstständigen, nicht einmal in Ansätzen erkennbar ist, ob sich aus ihren Nebentätigkeiten ein Interessenkonflikt ergibt, liegt an den unzureichenden Transparenzregeln. Dabei liegen konkrete Transparenzvorschläge, etwa der Linksfraktion, seit langem auf dem Tisch. Im September 2018 empfahl die Rechtsstellungskommission des Bundestags, dass Parlamentarier künftig zumindest die Branchen ihrer Geschäftspartner veröffentlichen sollen. Seitdem ist nicht viel passiert – die Sache steckt im Geschäftsordnungsausschuss fest. Zwar könnte der Bundestagspräsident nach den Verhaltensregeln auch selbstständig festlegen, „dass statt der Angaben zum Auftraggeber eine Branchenbezeichnung anzugeben ist“. Aber von dieser Möglichkeit hat Wolfgang Schäuble bislang keinen Gebrauch gemacht.
Doch es sind nicht nur Freiberufler, bei denen die Identität ihrer Geldgeber unsichtbar bleibt. So machte abgeordnetenwatch.de im November 2018 publik, dass FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff die Herkunft von bis zu 36.000 Euro geheim hielt, die er für Vorträge erhalten hatte. Als Reaktion auf den abgeordnetenwatch.de-Bericht legte er seine Geldgeber offen – unter anderem die Privatbank Metzler und der Schweizer Wirtschaftsvereinigung Efficiency Club. Eigentlich müssen Abgeordnete bei Vorträgen die Auftraggeber veröffentlichen, doch Lambsdorff nutzte ein ganz legales Schlupfloch: In die Verträge mit seinen Geldgebern wurde einfach eine Verschwiegenheitsklausel hineingeschrieben.
Unzureichende Transparenzregeln in der Kritik
Seit Jahren stehen die laxen Offenlegungsregeln in der Kritik, nicht nur aus der Zivilgesellschaft. Auch der Europarat mahnte wiederholt strengere Transparenzpflichten für die Abgeordneten des Bundestages an. Von Seiten des Bundestags würden „sehr wenig Fortschritte gemacht, um die Transparenz des parlamentarischen Prozesses voranzubringen, Interessenkonflikte enger zu regulieren und eine effektive Kontrolle und Durchsetzung der Verhaltensregeln für Abgeordnete des Bundestages sicherzustellen,“ heißt es in einem 2019 veröffentlichten Bericht der Staatengruppe gegen Korruption (GRECO), einer Unterorganisation des Europarates. Der Stand der Umsetzung in Deutschland sei „allgemein unbefriedigend“.
Das kann man wohl sagen.
Erst vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass der CSU-Bundestagsabgeordnete Max Straubinger jahrelang gegen die Transparenzpflichten verstoßen hatte, ohne dass es für ihn spürbare Konsequenzen gab. Seit 2011 hatte Straubinger Nebeneinkünfte verspätet gemeldet, teilweise überschritt er die Anzeigefrist um mehrere Jahre. Das Bundestagspräsidium ließ ihm das lange Zeit durchgehen. Erst im April 2020 stellte es formal zahlreiche Verstöße gegen die Verhaltensregeln fest, was einer öffentlichen Rüge gleichkam. Direkte Konsequenzen hatte das keine.
Mitarbeit: Andrea Knabe, Andreas Dobrzewski, Josephine Andreoli