Augustus Intelligence: Kanzleramt hielt Lobbytreffen zwischen Guttenberg und Merkel geheim | abgeordnetenwatch.de Direkt zum Inhalt
Augustus Intelligence
Kanzleramt hielt Lobbytreffen zwischen Guttenberg und Merkel geheim
Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat sich bei Kanzlerin Angela Merkel stärker für das umstrittene Unternehmen Augustus Intelligence eingesetzt als angenommen. Nach Recherchen von abgeordnetenwatch.de und FragDenStaat gab es zwischen beiden im September 2019 ein bislang unbekanntes Treffen zur Causa Augustus. Nun steht der Verdacht im Raum, das Kanzleramt habe die brisante Unterhaltung verheimlicht – und es taucht eine rätselhafte Querverbindung zum Wirecard-Skandal auf.
In der Affäre um das umstrittene Unternehmen Augustus Intelligence und die Lobbyaktivitäten von Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg kommen neue Einzelheiten ans Licht, die eine politische Sprengkraft haben.
Bisher war lediglich bekannt, dass Guttenberg sich am 3. September 2019 in einer Mail an die Bundeskanzlerin gewandt hatte, um für das US-Startup einen Kontakt zu Angela Merkel zu vermitteln. Zu einer „Kommunikation“ zwischen der Kanzlerin und den beiden Augustus-Gründern sei es aber nie gekommen, teilte die Bundesregierung auf Anfrage des Bundestagsabgeordneten Fabio De Masi (Die Linke) Anfang Juli mit. „Weitere Unterlagen liegen nicht vor“. Doch diese Darstellung lässt ein brisantes Detail unerwähnt.
Interne Dokumente, die das Kanzleramt auf Antrag von abgeordnetenwatch.de und FragDenStaat nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) herausgegeben hat, belegen nun weitere Kontakte in der Causa Augustus Intelligence. Konkret geht es um ein bislang unbekanntes Gespräch in diesem Zusammenhang zwischen dem früheren Verteidigungsminister und Merkel. Dies ergibt sich aus der Guttenberg-Mail an die Kanzlerin vom 3. September 2019, deren Inhalt wir nun erstmals öffentlich machen.
„Liebe Angela, eine Freude, Dich so guter Dinge zu sehen“
Darin bedankte sich der frühere CSU-Minister bei der „lieben Angela“ für „das gute Gespräch heute!“ Nach einer Schmeichelei („Eine Freude, Dich so guter Dinge zu sehen“) übermittelt er Merkel die Kontaktdaten der Augustus-Gründer: „Hier die Adressen der beiden jungen A.I. Herren der Firma Augustus Inc. Dr. Wolfgang Haupt und Pascal Weinberger.“ Dies legt nahe, dass Guttenberg bereits in der vorherigen Unterhaltung einen Kontakt zwischen dem Unternehmen und der Kanzlerin herzustellen versuchte.
Was genau die beiden besprachen, ist unklar. Notizen, Vermerke oder andere Aufzeichnungen zu dem Gespräch gibt es angeblich nicht, jedenfalls tauchen sie nicht in den Dokumenten des Kanzleramtes auf, die abgeordnetenwatch.de per IFG angefordert hatte. Gefragt hatten wir nach "sämtlichen mit dem Unternehmen Augustus Intelligence in Zusammenhang stehenden Aufzeichnungen".
Guttenbergs Mail (Grußformel: „Herzlichst Stets Dein Karl-Theodor“) war vom Ex-Minister nicht persönlich an Merkel geschickt worden, sondern von einer Mitarbeiterin. Aus deren Anschreiben an das Kanzlerinbüro ergibt sich ein zweiter unbekannter Kontakt in Form einer elektronischen Nachricht: „Herr zu Guttenberg hatte eine Nachricht auf die Mobil-Nr. von Frau Kanzlerin geschickt,“ schrieb die Guttenberg-Mitarbeiterin. Er habe allerdings festgestellt, dass „wohl insbesondere die Anrede nicht richtig rübergekommen war“ – ob man im Kanzleramt denn bitte so freundlich wäre, Guttenbergs Mail „an die Frau Bundeskanzlerin [weiterzuleiten], damit das gute Gespräch mit seinem Dankeschön einen Abschluss kriegt.“
Kontaktanbahnung nicht ganz uneigennützig
Screenshot abgeordnetenwatch.de
Screenshot abgeordnetenwatch.de
Dass Guttenberg sich derart intensiv um Kontaktanbahnung bemühte, war womöglich nicht ganz uneigennützig. Merkels langjähriger Verteidigungsminister war eng mit Augustus Intelligence verbunden, zunächst als Aktionär und später über zwei Posten im Unternehmen. Und Regierungskontakte waren für das junge New Yorker Startup, das im Bereich der künstlichen Intelligenz tätig ist, Gold wert. Augustus habe gegenüber potentiellen Geldgebern mit guten Kontakten ins Regierungsviertel geprahlt, berichtet der SPIEGEL, der die Lobbyaffäre um Augustus Intelligence und den CDU-Bundestagsabgeordneten Philipp Amthor im Juni enthüllt hat.
Angesichts der nun aufgetauchten Kontakte zwischen Merkel und Guttenberg stellt sich die Frage, ob die Bundesregierung möglicherweise die Opposition hinters Licht geführt hat. Denn weder das Gespräch zwischen Guttenberg und Merkel noch die SMS des Freiherrn tauchen in der Regierungsantwort an den Abgeordneten De Masi auf, der nach „Kommunikation“ zwischen Kanzleramt und „Vertretern der Firma Augustus Intelligence“ gefragt hatte. Dass Guttenberg ein Vertreter des Unternehmens war, als er im September 2019 mit Merkel über Augustus sprach, lässt sich schwer in Abrede stellen: „KT“ hatte bei Augustus einen Direktoren-Posten inne, gemeinsam mit Amthor saß er im sogenannten „Board of Directors“.
Opposition sieht "Täuschung des Parlaments"
picture alliance/dpa | Jens Büttner
Steht im Mittelpunkt der Affäre um Augustus Intelligence: Der CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor
Linken-Finanzexperte De Masi ist über die Informationspolitik der Bundesregierung erbost. „Das Kanzleramt hat mir das Gespräch zwischen Guttenberg und der Bundeskanzlerin bewusst verheimlicht. Dies ist auch eine Täuschung des Parlaments“, sagte er abgeordnetenwatch.de.
Das Kanzleramt vermochte auf eine abgeordnetenwatch.de-Anfrage vom vergangenen Donnerstag bis zum Erscheinen dieses Artikels keine Antwort zu den Umständen des Lobbytreffens zu geben. Offen bleibt unter anderem, warum von der pikanten Unterredung offenbar keinerlei Vermerke oder andere Unterlagen angefertigt wurden.
Im Spätsommer 2019 war Guttenberg freilich nicht nur als Türöffner für Augustus Intelligence in der Hauptstadt aktiv. An dieser Stelle ergibt sich eine rätselhafte Querverbindung zu einer weiteren Polit-Affäre: Wirecard.
Im Kanzleramt machte sich Guttenberg damals auch für den inzwischen insolventen Zahlungsdienstleister stark. Der Ex-Minister und Merkel tauschten sich laut SPIEGEL kurz vor einer China-Reise der Kanzlerin über Wirecard aus – genau an jenem 3. September 2019, an dem auch die jetzt bekannt gewordene Unterhaltung zwischen beiden zu Augustus Intelligence stattgefunden hat. Nutzte der ehemalige Verteidigungsminister sein Gespräch mit Merkel, um Lobbyarbeit für gleich zwei Unternehmen zu betreiben?
Lobbyierte die Kanzlerin für Augustus Intelligence in China?
Diesen Verdacht hegt der Linken-Abgeordnete De Masi und sieht einen Zusammenhang mit Merkels China-Reise. „Offenbar kann der Felix Krull der deutschen Politik, Herr Guttenberg, bei der Kanzlerin vorstellig werden und sofort werden in China die Klinken geputzt.“ Das Kanzleramt habe bisher nicht dementiert, dass die Bundeskanzlerin für Augustus Intelligence in China lobbyierte; dies hatte die Bundesregierung lediglich im Fall von Wirecard eingeräumt.
Tatsächlich verfolgte auch Augustus ein Interesse im Reich der Mitte. Dem SPIEGEL liegt eine firmeninterne Mail von Augustus-Gründer Haupt an Guttenberg aus dem August 2019 vor. Darin ist die Rede davon, „Türen in China zu öffnen".
De Masi fordert die Bundesregierung auf, die gesamte Kommunikation zu dem Vorgang offenzulegen und mögliche Verbindungen zwischen Augustus Intelligence und Wirecard zu untersuchen. „Dazu zählen auch die nachrichtendienstlichen Bezüge,“ erklärte der Linken-Fraktionsvize gegenüber abgeordnetenwatch.de.
In jedem Fall zeigt der Vorgang, dass ein verpflichtendes und weitreichendes Lobbyregister überfällig ist: Bei einem Lobby-Transparenzgesetz, wie es beispielsweise abgeordnetenwatch.de und LobbyControl fordern, hätte Guttenberg seine Unterhaltung mit der Kanzlerin melden und veröffentlichen müssen. Ein Verstoß gegen die Anzeigepflicht hätte spürbare Sanktionen zur Folge.
(Nachtrag vom 4. September 2020: Eine Woche nach Veröffentlichung dieses Artikels hat die Bundesregierung auf unsere Fragen reagiert. Ein Regierungssprecher bestätigte das Treffen zwischen Merkel und Guttenberg am 3. September 2019. Das "persönliche Gespräch" habe im Büro der Kanzlerin im Bundeskanzleramt stattgefunden und sei auf 45 Minuten angesetzt gewesen. Einen inhaltlichen Anlass für die Unterredung habe es aus Sicht der Bundeskanzlerin nicht gegeben, auch keinen Zusammenhang mit der bevorstehenden China-Reise, bei der das Thema Augustus nicht zur Sprache gekommen sei. Der Vorwurf, das Treffen der Bundeskanzlerin mit Guttenberg sollte „bewusst verschwiegen“ werden, sei "unberechtigt", so der Sprecher. – Dennoch bleibt die Frage offen, warum das Kanzleramt dem Abgeordneten De Masi aus "Gründen der Transparenz" zwar den ihr genehmen Teil nannte, nicht aber den unangenehmen Teil. Auf diese Frage geben wir hier auf Twitter den Versuch einer Antwort. Der Schlüssel hierzu dürfte der Wirecard-Skandal sein.)