Bundestag engagierte Anwälte für mehr als 100.000 Euro, um Transparenz zu verhindern

Trotz einer eigenen Rechtsabteilung hat der Bundestag in zwei aktuellen Gerichtsprozessen mehr als 100.000 Euro für externe Anwälte ausgegeben. Um die Offenlegung der Lobbyisten-Hausausweise vor Gericht zu verhindern, beauftragte die Parlamentsverwaltung eine Großkanzlei für mehr als 20.000 Euro. Noch weitaus höher waren die Anwaltshonorare in einem anderen Fall, wie mehrere Rechnungen an den Bundestag belegen.

von Martin Reyher, 08.12.2015
 

Die Mandaten der Kanzlei Redeker Sellner Dahs haben nicht selten einen klangvollen Namen. Mal suchte Alt-Kanzler Helmut Kohl den Rechtsbeistand der Kanzlei (in der Flick-Affäre), mal Bundespräsident a.D. Christian Wulff (in der Affäre um seinen Privatkredit). Auch die frühere Bildungsministerin Annette Schavan ließ sich einst von den Redeker-Anwälten vertreten, als es um die Aberkennung ihres Doktortitels ging. "Wo immer sich in Deutschland ein Polit- oder Wirtschaftskrimi abspielt, die Bonner Kanzlei ist dabei," brachte es der Tagesspiegel einmal auf den Punkt.

Eine gefragte Adresse ist Redeker Sellner Dahs aber nicht nur für ins Straucheln geratene Politiker, sondern auch für diverse staatliche Stellen. Vor allem der Deutsche Bundestag weiß die Dienste der Großkanzlei immer dann zu schätzen, wenn er gegenüber Bürgern, Nichtregierungsorganisationen oder Journalisten die Herausgabe von Dokumenten verhindern will.

Außer Spesen nichts gewesen – der Bundestag verlor die Prozesse

abgeordnetenwatch.de liegen Rechnungen von Redeker Sellner Dahs an den Deutschen Bundestag vor die zeigen, dass die Parlamentsverwaltung für die Honorare der Anwälte allein in zwei aktuellen Gerichtsprozessen mehr als 100.000 Euro an Steuergeld ausgab – und das, obwohl der Bundestag über eine eigene Rechtsabteilung verfügt.

Der eine Fall betrifft die abgeordnetenwatch.de-Klage auf Veröffentlichung einer Lobbyisten-Liste, die der Bundestag mithilfe der Redeker-Anwälte unbedingt geheim halten wollte. Wie Rechnungen vom 2. Juli und vom 30. Oktober 2015 belegen, musste die Parlamentsverwaltung der Kanzlei bislang 21.652,05 Euro an Honoraren zahlen (Rechnungskopien s.u.). Zum Vergleich: abgeordnetenwatch.de hat bislang 2.142 Euro für Anwälte ausgegeben; weitere Rechnungen haben wir bislang noch nicht erhalten. [Ergänzung vom 9.12.2015: Inzwischen liegt uns eine weitere Kostennote von Redeker Sellner Dahs an den Deutschen Bundestag über 13.433 Euro vor. Sie betrifft das Eilverfahren auf Offenlegung der Hausausweisliste, das der Tagesspiegel angestrengt hatte. Die Anwaltskosten in diesem Verfahren werden am Ende allerdings noch sehr viel höher liegen, denn die Honorare der Redeker-Anwälte für die 2. Instanz sind in dieser Rechnung vom 4. Juni 2015 noch gar nicht enthalten.]

Am Ende halfen dem Deutschen Bundestag die teuren Spezialanwälte jedoch auch nichts: Nach mehreren Niederlagen vor Gericht musste die Parlamentsverwaltung schließlich offenlegen, welche Lobbyisten über die Fraktionen Zugang zum Bundestag erhalten haben.

(Fortsetzung des Artikels unter den Anwaltsrechnungen)

Dokument als pdf | Unkenntlichmachungen in den Rechnungen wurden vom Bundestag vorgenommen

 

Noch sehr viel teurer kam den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern die Transparenzblockade des Bundestages im Prozess um die Herausgabe von Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes zu stehen. Auf sage und schreibe 91.228,96 Euro summieren sich die Anwaltskosten, die Redeker Sellner Dahs dem Deutschen Bundestag in Rechnung stellte (Rechnungskopien s.u.). Und auch in diesem Verfahren verlor die Parlamentsverwaltung. Im Juni 2015 urteilte das Bundesverwaltungsgericht, dass der Bundestag den Klägern - einem Bürger und einem Journalisten - die eingeforderten (und aus Steuermitteln erstellten) Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes herausgeben müsse.

Nur die Spitze des Eisbergs

Von den insgesamt sieben Honorarrechnungen in dem mehrjährigen Gerichtsprozess sticht eine wegen ihrer Höhe ganz besonders hervor. Am 31. Januar 2013 berechnete Redeker Sellner Dahs dem Deutschen Bundestag für die Prüfung des Gerichtsurteils aus 1. Instanz, Besprechungen, die Ausarbeitung einer Berufungsbegründung und einige kleinere Posten 39.609,15 Euro. Bemerkenswert ist dieser Betrag auch deswegen, weil eine vergleichbare Kostennote vom 30. Oktober 2015 im Prozess um die Veröffentlichung der Hausausweise - einem Verfahren unter ähnlichen Vorzeichen - mit gut 12.000 Euro um ein vielfaches geringer ausfiel. (Für fachkundige Erklärungen in den Kommentaren wären wir dankbar.)

(Fortsetzung des Artikels unter den Anwaltsrechnungen)

Dokument als pdf | Unkenntlichmachungen in den Rechnungen wurden vom Bundestag vorgenommen


Dass der Deutsche Bundestag allein in den beiden genannten Gerichtsverfahren mehr als 100.000 Euro an Steuergeldern für externe Anwälte ausgab, um die Transparenzklagen eines Bürgers, einer gemeinnützigen Organisation und eines Journalisten abzuwehren, ist ein skandalöser Vorgang. Doch das dürfte nur die Spitze des Eisbergs sein. Denn der Bundestag ließ sich auch in anderen Fällen von teuren Großkanzleien vertreten. Und auch das Bundeskanzleramt und einige Bundesministerien versuchten des Öfteren schon, Transparenz mithilfe externer Anwälte zu verhindern. Wir sind gerade dabei, dies zu recherchieren.

Am Ende drängt sich der Verdacht auf, dass die Parlamentsverwaltung in den Gerichtsverfahren auch darauf setzt, dass den Klägern irgendwann das Geld ausgeht. Denn anders als der Bundestag können diese sich in einem langjährigen Prozess nicht aus der Steuerkasse bedienen.
 


Zusatzmaterial: Rechnungsbeträge in den Prozessen um die Veröffentlichung der Hausausweise und der wissenschaftlichen Gutachten in der Übersicht (Gesamtsumme: 112.881,01 Euro):

 

 

 

 

 

 

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