Am Ende hatte es der Bundestag noch einmal mit juristischen Winkelzügen versucht. abgeordnetenwatch.de verfolge eine "
Ausforschung des Behördenhandelns", wenn es eine Liste aller Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes seit 2005 anfordere - dies sei vom Informationsfreiheitsgesetz (IFG) nicht gedeckt. Von daher sei unser Antrag abzulehnen.
Weil der Vorwurf des "Ausforschens" natürlich ebenso absurd wie juristisch unhaltbar ist, musste die Parlamentsverwaltung nach unserem Widerspruch die Liste aller Ausarbeitungen des Wissenschaftlichen Dienstes nun doch herausgeben. Die Übersicht umfasst 242 A4-Seiten mit den Titeln mehrerer tausend Gutachten, die zwischen Oktober 2005 und Juni 2015 u.a. von Bundestagsabgeordneten beim Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages in Auftrag gegeben worden waren.
Bei einem der aufgeführten Ausarbeitungen handelt es sich beispielsweise um das berüchtigte UFO-Gutachten, mit dem eine Abgeordnete im Jahr 2009 Informationen zur "Suche nach außerirdischem Leben und die Umsetzung der UN-Resolution zur Beobachtung unidentifizierter Flugobjekte und extraterrestrischer Lebensformen" eingeholt hatte.
In der Liste wird überdies ein bislang unveröffentlichtes Gutachten zu den umstrittenen Schiedsgerichten im Freihandelsabkommen TTIP aufgeführt. Diese Ausarbeitung dürfte bislang nur einem äußerst kleinen Kreis zugänglich gemacht worden sein, was vermutlich auch so bleiben wird. Denn das Dokument wurde als vertraulich eingestuft ("Nur für den Dienstgebrauch"):
Darum ist die Liste wichtig
Was ist nun der Mehrwert der weiter unten veröffentlichten Liste? Seit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Juni 2015 - darin ging es u.a. um eben jenes UFO-Gutachten - musste der Bundestag den Bürgerinnen und Bürgern die Gutachten bei Anfragen über das Informationsfreiheitsgesetz herausgeben. Doch hilft ein solches Auskunftsrecht wenig, wenn nicht bekannt ist, welche Gutachten überhaupt existieren - oder anders ausgedrückt: Wie soll man nach etwas fragen, von dem man nicht weiß, dass es existiert?
Die hier veröffentlichte Übersicht mitsamt Aktenzeichen sämtlicher Gutachten seit 2005 erlaubt nun allen Interessierten, ein Gutachten auch tatsächlich beim Deutschen Bundestag anzufordern. Am einfachsten geht dies über das Portal fragdensstaat.de, wo man eine kostenlose (und formlose) Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz stellen kann: 1. Auf den Button "Stellen Sie eine Anfrage" klicken, 2. "Deutscher Bundestag" auswählen, 3. die Option "Informationen aus Dokumenten oder Akten (Informationsfreiheitsanfrage)" anklicken und 4. die Anfrage formulieren, z.B.: "Bitte senden Sie mir Folgendes zu: die Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes mit dem Aktenzeichen WD 10 - 058/14 A 'Deutsche Olympiabewerbungen". Sollte der Bundestag Gebühren verlangen - etwa für die Schwärzung personenbezogener Daten oder das Erstellen von Kopien - muss er Sie darüber zunächst in Kenntnis setzen. Sie können Ihren Antrag dann immer noch widerrufen.
Dass sich der Deutsche Bundestag lange Zeit weigerte, die Gutachten herauszugeben, war auch deswegen skandalös, weil die Arbeiten des Wissenschaftlichen Dienstes aus Steuermitteln erstellt werden. Diese Unterabteilung des Deutschen Bundestages soll Abgeordneten "bei der Ausübung ihres Mandates Hilfestellung leisten" und ist dabei zu parteipolitischer Neutralität und sachlicher Objektivität verpflichtet.
Hier nun die Liste der Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes [Nachtrag vom 7.3.204: Wir haben die Liste um die Gutachten der Zeiträume 2002 bis 2005 sowie 2015 bis 2016 ergänzt].
Die Angaben zu den Titeln der Gutachten waren dann auch nicht kostenlos: 24,20 Euro hat uns der Deutsche Bundestag in Rechnung gestellt - für 242 A4-Kopien. Wenn wir Dokumente das nächste Mal bitte in elektronischer Form erhalten könnten...
Mitarbeit: Fabian Hanneforth
Danke an @SebaLis für das Bearbeiten der odt/ods-Dokumente!