Meine Kindheit war von der typischen Ungerechtigkeit für Erstgeborene geprägt. Unendlich lang habe ich zum Beispiel mit größter Leidenschaft bei meinen Eltern für einen MP3-Player lobbyiert, vergebens. Doch dann, eines Tages, wurde mir der lang ersehnte Wunsch doch noch erfüllt (ein Player mit 4 GB!). – Und meiner kleinen Schwester? Ihr natürlich ebenso, ohne dass sie sich dafür auch nur in irgendeiner Weise bemüht hätte. Eine Ungerechtigkeit, die für mich nicht größer hätte sein können. (Heute weiß ich natürlich, dass es richtig ist nicht nur diejenigen zu berücksichtigen, die besonders laut und besonders fordernd auftreten, Stichwort Lobbyismus...).
Hilflos und niedergeschlagen war ich der damaligen, für mich zutiefst ungerechten, Entscheidungsgewalt meiner Eltern ausgeliefert. Ein Gefühl, das auch heutzutage hin und wieder in mir entfacht wird. Doch längst geht es nicht mehr um die Schenkungs-Politik meiner Eltern, sondern um das Große und Ganze, um das, was in unseren Rathäusern und Parlamenten passiert. Es kommt vor, dass ich mich unverstanden und nicht ernst genommen fühle von jenen, die sich für meine Vertreter*innen halten. Meine eigene Meinung, so denke ich manchmal, hat überhaupt kein Gewicht, Entscheidungen werden über meinen Kopf hinweg getroffen.
Wenn unsere Abgeordneten gar nicht wissen, was wir wollen
Blogparade zum Tag der Demokratie
"Schreib auf, warum dir Demokratie wichtig ist!" Zum Tag der Demokratie #TdD18 hat der Unternehmer Jörg Schimke eine Blogparade ins Leben gerufen. Dieser Artikel ist ein Beitrag dazu.
Seitdem ich als Bundesfreiwilligendienstleistende bei abgeordnetenwatch.de arbeite, habe ich einen anderen, einen differenzierten Blick auf die Politik und unsere Politiker*innen bekommen. Zum Beispiel ist mir bewusst geworden, dass unsere Wahlkreisabgeordneten oftmals gar nicht wissen (können), wie wir zu bestimmten Themen stehen (vermutlich waren auch Sie – genau wie ich – noch nicht bei allzu vielen Bürgersprechstunden…?). Wollen wir denn wirklich, dass Abgeordnete Politik allein aufgrund von Meinungsumfragen machen?
Aus diesem Grund finde ich die Fragefunktion auf abgeordnetenwatch.de großartig. Bürger*innen können ihre Anliegen an die Abgeordneten in den Parlamenten richten, und zwar öffentlich und auf Augenhöhe. Damit es dabei fair zugeht, gibt es einen Moderationskodex, der sowohl für Fragesteller*innen wie auch für die Abgeordneten gilt. Konkret heißt das: der Klarname wird genannt, niemand darf beleidigt werden und strittige Thesen müssen mit Quellen belegt werden.
Man muss sich das einmal vorstellen: Wir schicken alle vier Jahre unsere Vertreter*innen nach Berlin, damit sie in unserem Interesse handeln. Und dann kümmern wir uns nicht mehr darum, was sie da tun – bis wir das nächste Mal ins Wahllokal gehen? Das ist absurd.
WIR sind die Personalchefs
Deswegen brauchen wir einen Bewusstseinswandel! WIR Bürger*innen sind diejenigen, die unsere Abgeordneten einstellen – in gewisser Weise sind wir die Personalchefs, die im Laufe des Jahres Feedbackgespräche mit unseren Beschäftigten führen sollten. Natürlich kennen wir unsere Rolle als Staatsbürger*innen, aber ist sie uns allen auch wirklich bewusst? Ist uns wirklich klar, dass es sehr wohl einen Unterschied macht, ob wir Kandidat X die Verantwortung übertragen oder Kandidat Y? Und zwar weil X transparenter, bürgernäher und kompetenter ist als Y.
Durch meinen Bundesfreiwilligendienst bei abgeordnetenwatch.de habe ich gelernt, dass es sehr wohl Kandidierende und Abgeordnete gibt, die uns Wähler*innen ernst nehmen. Ich habe oft mit Politiker*innen telefoniert und dabei gespürt, dass ihnen der Dialog mit uns Bürger*innen ein wirkliches Anliegen ist. Dass sie empfänglich sind für Kritik, die sie über die Fragen auf abgeordnetenwatch.de erreicht.
... dass ich mich zu Wort melden muss, wenn etwas schief läuft!
Nein, es gibt nicht nur „die da oben“, die Abgehobenen im Raumschiff Berlin, und „wir hier unten“, das wäre zu einfach. Vereinzelt mag das vielleicht zutreffen, aber bei Weitem nicht bei allen. Wir müssen die guten, die vorbildlichen Politiker*innen ausfindig machen und sie in die Parlamente bringen. Es liegt in unserer Macht – und es ist die Demokratie, die uns diese Macht gibt.
Wenn mich mal wieder das Gefühl beschleicht, ich würde nicht ernst genommen, erinnere ich mich daran, dass ich als Teil der Gesellschaft mitbestimmen kann, wer für mich entscheidet. Und dass ich mich zu Wort melden muss, wenn ich das Gefühl habe, dass etwas schief läuft.
Klappt bei meinen Eltern inzwischen übrigens auch sehr gut. Und die kann ich nicht wählen.