Gesetzentwurf könnte Existenz kritischer Organisationen wie abgeordnetenwatch.de bedrohen

Könnten bald Geheimdienste Organisationen die Gemeinnützigkeit aberkennen? Ein Gesetzentwurf, der genau diese Möglichkeit birgt, befindet sich derzeit im parlamentarischen Verfahren.

von Martin Reyher, 25.07.2012

Entscheiden künftig Geheimdienste darüber, ob kritischen Organisationen die Gemeinnützigkeit aberkannt wird? Ende Juni fand - von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt - im Bundestag die erste Lesung des Jahressteuergesetzes 2013 statt. Das Gesetz soll unter anderem die Abgabenordnung, und damit das Kerngesetz für die Steuerfestsetzung, ändern. Eine Neuerung könnte dabei weitreichende Folgen haben: Vereinen, die im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistisch aufgeführt werden, soll laut Gesetzentwurf die Gemeinnützigkeit entzogen werden, ganz egal ob die Vorwürfe berechtigt sind oder nicht. Bereits seit 2009 existiert eine Regelung zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit, doch bislang konnten betroffene Vereine sich gegen den Entzug der Gemeinnützigkeit wehren, indem sie bei den Steuerbehörden Widerspruch einlegten. Doch dieses Widerspruchsrecht soll nun wegfallen. Im Extremfall könnte dies bedeuten: Wenn der Geheimdienst zum Beispiel Attac, Greenpeace oder abgeordnetenwatch.de für "extremistisch" hält, würde dies die Organisation in ihrer Existenz bedrohen, und zwar auch dann, wenn die Einstufung durch den Verfassungsschutz völlig haltlos ist. Denn ein Verlust der Gemeinnützigkeit bedeutet für Vereine zumeist den Ruin. Die Steuerbefreiung würde wegfallen, als Konsequenz könnten Bürger ihre Spenden nicht mehr steuerlich absetzen - die Einnahmen des Vereins dürften daraufhin einbrechen. Außerdem droht der Organisation eine Steuerrückzahlung, die bis zu 10 Jahren zurückreichen kann. Der vorliegende Gesetzentwurf ist in mehrfacher Hinsicht bedenklich:
  • Zum einen handelt es sich bei dem vom Verfassungsschutz verwendeten Extremismusbegriff um keinen bestimmten Rechtsbegriff, was der Willkür Tür und Tor öffnet. In der Vergangenheit bekamen Organisationen, die vor Gericht gegen ihre Einstufung als extremistisch geklagt hatten, oftmals Recht.
  • Zweitens könnte ein Verein in Zukunft nicht mehr so einfach den Nachweis der Gemeinnützigkeit erbringen. Anstatt beim Finanzamt Widerspruch gegen die Aberkennung einzulegen und so die Gemeinnützigkeit zurück zu erlangen, müsste er künftig juristisch gegen den Vorwurf des Extremismus durch die Geheimdienste vorgehen. Und das dürfte schwierig werden, vor allem wegen der finanziellen Belastungen infolge der drohenden Steuerrückzahlung.
  • Drittens: Wenn die Entscheidung, ob einem Verein die Gemeinnützigkeit aberkannt wird, künftig de facto beim Verfassungsschutz liegt, stößt man an die Grenzen staatlicher Prinzipien und Strukturen.

Schon jetzt ist die Definition von "Extremismus" in § 51 Abs. 3 der Abgabenordnung ziemlich unbestimmt. Der Auslegung durch den Verfassungsschutz sind die Gerichte in der Vergangenheit nicht unbedingt gefolgt. Auch in dem neuen Gesetzesentwurf sollen die Geheimdienste indirekt in Bereiche eingreifen können, mit denen sie nichts zu tun haben: Sie können durch die Einstufung einer Organisation als "extremistisch" über das Steuerrecht dessen Schicksal besiegeln. Letzten Endes könnte dies auch abgeordnetenwatch.de betreffen. Deswegen unterstützen wir den Protest von über 30 zivilgesellschaftlichen Organisationen (darunter Robin Wood, Pro Asyl, Greenpeace), die einen offenen Brief an die Abgeordneten des Deutschen Bundestags adressiert haben.

Update 27.9.2012: ZEIT online schreibt: "Koalitionspolitiker rebellieren gegen Schäubles Extremismus-Klausel". Weiter heißt es in dem Artikel:

Der Streit um die Aberkennung der Gemeinnützigkeit von Vereinen bei Extremismusverdacht ist weitgehend vom Tisch. In einer Anhörung im Finanzausschuss des Bundestages sprachen sich mehrere Dutzend geladene Fachleute einhellig gegen die Regelung aus, dass Vereine ihre Gemeinnützigkeit verlieren, sobald sie in einem Verfassungsschutzbericht als extremistisch erwähnt sind. (...) Die Abgeordneten im Bundestag schrecken auch deshalb vor einer solchen Klausel zurück, weil das Vertrauen in die Verfassungsschützer wegen der Pannen bei der Aufklärung der NSU-Mordserie derzeit nahe null tendiert. "Da der Eindruck vorherrscht, dass der Verfassungsschutz auf dem rechten Auge blind ist, ist eine solche Verschärfung alles andere als ratsam", heißt es aus den Koalitionsfraktionen. In der kommenden Sitzungswoche wird das Jahressteuergesetz bei CDU/CSU und FDP sowie im Finanzausschuss des Bundestages ausgiebig beraten. "Wir sehen uns veranlasst, das Ganze sauber zu überprüfen", sagt einer. Offener Widerspruch kommt aus der FDP. "Die Stärke eines Rechtsstaats besteht darin, allen den gleichen Rechtsschutz zu gewähren, ohne Ansehen der Person", sagt Daniel Volk, Obmann seiner Fraktion im Finanzausschuss, ZEIT ONLINE. "Deshalb wird die geplante Regelung mit der FDP nicht zu machen sein."

Update 19.10.2012: Die sog. Verfassungsschutzklausel ist nun offenbar endgültig vom Tisch. Die Nachrichtenagentur dapd schreibt:

Vereine sollen doch nicht automatisch den Status der Gemeinnützigkeit verlieren, wenn sie in Verfassungsschutzberichten auftauchen. Darauf haben sich nach Informationen der Zeitung "Die Welt" die zuständigen Finanzpolitiker der Unions- und FDP-Fraktion verständigt. Ein entsprechender Passus werde aus dem Entwurf des Jahressteuergesetzes 2013 gestrichen.

 

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