Charles Cunningham Boycott war ein als übler Menschenschinder beleumundeter irischer Gutsverwalter des 19. Jahrhunderts. Als sich irgendwann Pächter und Landarbeiter erfolgreich weigerten, mit dem Landlord Geschäfte zu machen, verwendete die London Times erstmals das Wort "boycotting". Der organisierte Widerstand zwang Charles Cunningham Boycott schließlich in die Emigration.
Im Zusammenhang mit Boykott hat sich gut 130 Jahre später Peter Hauk zu Wort gemeldet, der Vorsitzende der CDU-Fraktion im baden-württembergischen Landtag. Am 29. April 2010 schickte Hauk
eine Pressemitteilung an die Redaktionen im Ländle, in der es u.a. hieß:
Hauk werde seiner Fraktion vorläufig empfehlen, sich an der Beantwortung etwaiger Fragen [auf abgeordnetenwatch.de] nicht zu beteiligen bis weitere Informationen vorliegen.
Wenige Stunden zuvor hatten wir abgeordnetenwatch.de für den Landtag Baden-Württemberg mit einer Pressekonferenz im Stuttgarter Landesparlament vorgestellt. Obwohl wir - wie vor jedem Start eines neuen Projektes - alle Abgeordneten angeschrieben und die Funktionsweise von abgeordnetenwatch.de erklärt hatten, fühlte sich Hauk schlecht informiert und forderte seine Fraktionskollegen zum Ignorieren der Bürgerfragen über abgeordnetenwatch.de auf.
Der Fraktionschef selbst hat
den Boykott bis heute konsequent durchgehalten, andere nicht. Zwar liegen die baden-württembergischen CDU-Abgeordneten wenige Tage vor der Landtagswahl mit einer Antwortquote von 43,8 Prozent weit hinter allen anderen Parteien, doch zahlreiche Parlamentarier wollten sich vom Fraktionschef keine Vorgaben machen lassen und stehen den Bürgern bereitwillig Rede und Antwort. Zu den 18 dialogwilligen CDU-Abgeordneten hat sich zuletzt auch Ministerpräsident Stefan Mappus gesellt, der nach einjährigem Schweigen inzwischen
11 seiner 47 Fragen als Landtagsabgeordneter sowie
26 von 38 Fragen in seinem Kandidatenprofil beantwortet hat. Das Beispiel der antwortenden CDU-Abgeordneten zeigt, dass einsame top-down-Entscheidungen der Parteivorderen in Zeiten des Internets so nicht mehr durchzusetzen sind (siehe auch das
Beispiel der SPD in Hamburg). Warum sollte ein Politiker den Bürgern seines Wahlkreises vor den Kopf stoßen, indem er ihre Fragen ignoriert? Sie haben ihn schließlich ins Parlament gewählt und erwarten nun auch während der Wahlperiode, dass man ihnen zuhört und antwortet. Auch wenn einige den öffentlichen Bürgerdialog erst dann entdeckten, als die Wahlen immer näher rückten: Die meisten der 19 CDU-Abgeordneten haben die Bürgerfragen vom ersten Tag an ernst genommen. Vielleicht werden die Wähler es zu würdigen wissen.
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