Der Fragesteller, ein „extremistischer Aktivist“

Wie einfach doch alles geworden ist! Zum Beispiel wenn man den früheren Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee fragen möchte, warum er 2002 den Slogan ´Wir sind das Volk´ als Marke schützen ließ. Früher benötigte man für ein solches Auskunftsersuchen noch Briefpapier, einen Umschlag und ausreichend Porto. Heute postet man seine Frage an den Abgeordneten ganz einfach im Internet.

von Martin Reyher, 14.04.2010

Wolfgang Tiefensee könnte jetzt öffentlich klarstellen, dass er sich nicht etwa bereichern möchte, sondern den Slogan der Bürgerrechtsbewegung in der ehemaligen DDR vor dem Missbrauch durch Neonazis schützen will. Doch was schreibt Tiefensee dem interessierten Bürger: "Bitte senden Sie mir Ihre Frage an meine Mailadresse, da es mir nur dann möglich sein wird, mein Antwortschreiben direkt und persönlich an Sie zu richten." Der langjährige Minister gehört zu einer kleinen Gruppe von etwa 30 Bundestagsabgeordneten, die den Dialog mit Bürgern gerne privatisieren möchten. Motto: Bürgerfreundlich ja, aber nur unter vier Augen. Zum Standardrepertoire dieser Abgeordneten gehört die Beteuerung, dass ihnen der Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern überaus wichtig sei. Wer jedoch die Begründungen dafür liest, weshalb ihnen eine öffentliche Antwort auf eine öffentlich gestellte Frage nicht möglich ist, dem kommen leichte Zweifel an der Kontaktfreude:

  • Täglich erhalte sie "mehrere hundert E-Mails", deren Sichtung einen Mitarbeiter "bis zu zwei Stunden" binde, teilt die Abgeordnete Veronika Bellmann interessierten Bürgern mit und bittet darum, sie unter Angabe der Anschrift direkt zu kontaktieren. Denn ihre Antwort erfolge ausschließlich auf dem Postweg. Gerne würde man erfahren, warum die Arbeitsbelastung des Mitarbeiters dadurch zurückgeht, dass man Frau Bellmann direkt anschreibt.
  • Er sei "ein großer Freund des Dialogs und der elektronischen Möglichkeiten", lässt der Parlamentarier Thomas Feist wissen. Allerdings gebiete es sein "Respekt gegenüber den Fragestellern, weder die Fragen noch meine Antworten auf einem öffentlichen Markt, wie es Internetplattformen sind, beliebig breit zu treten."
  • Der Volksvertreter Christian Freiherr von Stetten wähnt mitunter "links- oder rechtsextreme Aktivisten des politischen Gegners" am Werk, die sich ihm auf abgeordnetenwatch.de zu nähern versuchen. Auch ein Realschullehrer, der wegen einer Reichstagsbesichtigung mit seiner Schulklasse bei von Stetten anfragte, wurde mit einer solchen Standardantwort abgewiesen.

Als Wählerin oder Wähler könnte man nun natürlich auf den Gedanken kommen, dass es gerade solche Antworten sind, die einen Rückschritt darstellen: in der Beziehung zwischen Bürgern und Abgeordneten. Zur Erinnerung: Der Bürger ist gewissermaßen Arbeitgeber der Abgeordneten, als Steuerzahler stattet er sie mit einer monatlichen Diät in Höhe von 7.668 Euro und einer steuerfreien Kostenpauschale von monatlich 3.969 Euro aus, von der üppigen Altersvorsorge ganz zu schweigen. Da wird man doch einmal öffentlich nachfragen dürfen, zumal wenn man kein extremistischer Aktivist des politischen Gegners ist.

Der Vorsitzende der Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft", Axel E. Fischer, überrascht mit dem Geständnis, er halte abgeordnetenwatch.de für "eine interessante Idee, um einen direkten Kontakt zwischen Bürgern und Abgeordneten zu vermitteln". Warum er ein solches Angebot trotzdem nicht wahrnimmt, ist, man glaubt es kaum, der fehlenden Transparenz geschuldet. Denn aus Sicht des Karlsruher Bundestagsabgeordneten schafft abgeordnetenwatch.de nicht zu viel Transparenz, sondern eher zu wenig - und zwar bei den Fragestellern: "Zum direkten Kontakt gehört für mich aber auch, dass mir die wesentlichen Daten – also zumindest die E-Mail-Adresse – meines jeweiligen Gegenübers bekannt sind". Fischer verkennt allerdings, dass die Rechenschaft gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, beispielsweise über den Grund einer verpassten Abstimmung, auch dann von allgemeinem Interesse ist, wenn der Fragesteller keine Geburtsurkunde als Nachweis seiner Identität vorlegt.

Hinter solchen Abwehrmechanismen einiger weniger Abgeordneter tritt eine Argwohn gegenüber Bürgerinnen und Bürgern zutage, die Politiker wie Gitta Connemann auch gar nicht verhehlen: "Bekanntlich können gerade im Internet wahre Identitäten verschleiert werden." So groß ist die Furcht vor der Frage eines möglicherweise gefakten Absenders, dass der öffentliche Dialog gänzlich verweigert wird. Die Sorge wird auch dadurch nicht gemindert, dass jede Frage vor der Freischaltung auf abgeordnetenwatch.de gegengelesen wird und ein Kodex klare Regeln vorgibt, so dass ohnehin keine Beiträge mit extremistischen Parolen oder persönlichen Angriffen auf der Plattform erscheinen. Das Problem dieser Abgeordneten ist vermutlich nicht mal mangelndes Interesse oder fehlender Wille, sondern eher ein grundsätzlicher Vorbehalt gegenüber Transparenz und Öffentlichkeit.

Wer die öffentlichen Fragen von Bürgerinnen und Bürgern konsequent abwehrt, muss auch keine Rechenschaft ablegen, wenn er mit seinen ausufernden Nebentätigkeiten oder mit Dienstreisen in Begleitung befreundeter Unternehmer konfrontiert wird.

Vor diesem Hintergrund ist die Entwicklung von Annette Schavan besonders erstaunlich. Im Sommer 2008 war bekannt geworden, dass sich die Forschungsministerin für einen Vortrag und ein Interview in einem Bundeswehrhubschrauber von Stuttgart nach Zürich fliegen ließ. Kosten für den Steuerzahler: 26.500 Euro. Ein Linienflug dagegen hätte nur wenige hundert Euro gekostet.

Auf abgeordnetenwatch.de tat Schavan das, was sie zuvor schon dutzendfach getan hatte: Statt reinen Tisch zu machen, wimmelte sie die Fragesteller mit einem Standardschreiben ab ("Gern möchte ich Ihnen diese Frage persönlich beantworten und bitte Sie, mir hierfür Ihre Kontaktdaten zu übermitteln.") Einige Monat später muss die Einsicht, dass so das Vertrauen der Bürger ganz sicher nicht zu gewinnen ist, allen Bedenken gewichen sein. Denn seitdem hat Schavan kein einziges Mal mehr die Kontakdaten der Fragesteller angefordert, sondern antwortet für alle öffentlich einsehbar. Ihre Antworten schließt sie nun so, als habe sie am Online-Dialog mit den Bürgern inzwischen sogar richtig Freude: "Seien Sie herzlich und mit guten Wünschen gegrüßt."

 

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