Einfluss auf Gesetzentwurf: Wie Peter Altmaier sich für ein Unternehmen aus seinem Wahlkreis einsetzte | abgeordnetenwatch.de Direkt zum Inhalt
Einfluss auf Gesetzentwurf: Wie Peter Altmaier sich für ein Unternehmen aus seinem Wahlkreis einsetzte
Ein Lobbyist schreibt Wirtschaftsminister Peter Altmaier eine Mail – dann geschieht etwas Erstaunliches: Die Vorschläge aus dem Lobbyschreiben landen wenig später in einem Gesetzentwurf. Hauptprofiteur ist ausgerechnet ein großer Arzneimittelimporteur aus Altmaiers Wahlkreis. Wir veröffentlichen die interne Ministeriumsakte zu dem Vorgang.
Es ist der Morgen des 11. Januar 2019, als ein Lobbyist Schlimmeres verhindern will und dem Bundeswirtschaftsminister eine Mail schickt. Es geht um eine geplante Gesetzesänderung, die schlecht für die Geschäftstätigkeit seines Unternehmens ist. Deswegen hat er dem Minister aufgeschrieben, wie das Gesetz nach seinen Vorstellungen geändert werden sollte. „Gerne würde ich darüber kurz mit Ihnen telefonieren.“
Interne Ministeriumsunterlagen aus jenen Wochen zeigen, dass die Vorschläge des Lobbyisten aus der Mail an Peter Altmaier (CDU) wenig später Eingang in einen Gesetzentwurf finden. Der Rechercheverbund von Süddeutscher Zeitung, WDR und NDR hatte zuerst aus den Dokumenten zitiert, wir veröffentlichen die Akte nun, die wir über das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) erhalten haben.
Download: Akte aus dem Bundeswirtschaftsministerium als pdf - Teil 1 | Teil 2
Altmaier vs. Spahn
Die Unterlagen belegen, wie sich Wirtschaftsminister Altmaier für den Erhalt einer umstrittenen Regelung eingesetzt hat, von der vor allem ein Unternehmen profitiert: Kohlpharma, mit einem Jahresumsatz von rund 660 Mio. Euro der größte Arzneimittelimporteur Deutschlands.
Was den Lobbyisten von Kohlpharma in Alarmbereitschaft versetzt, ist eine geplante Gesetzesänderung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), ausgelöst durch mehrere Arzneimittelskandale. Spahn will unter anderem einen umstrittenen Importzwang für Medikamente deutlich einschränken. Apotheken müssen seit vielen Jahren einen Teil ihrer Arzneimittel aus dem Ausland beziehen. Diese sogenannte „Importförderklausel“ war eingeführt worden, um im Gesundheitswesen Geld zu sparen. Doch gemessen an den Gesamtausgaben fielen die Einsparungen aus Sicht des Gesundheitsministeriums zuletzt äußerst gering aus, auch angesichts des bürokratischen Aufwands.
Für Kohlpharma sind die Pläne von Spahn jedenfalls keine gute Nachricht. Das Unternehmen verdient sein Geld damit, im Ausland günstige Medikamente zu kaufen, neu zu verpacken und an deutsche Apotheken zu verkaufen. Wenn Apotheken künftig deutlich weniger importierte Arzneimittel an die Patientinnen und Patienten verkaufen müssten, hätte dies negative Folgen für das Geschäft von Kohlpharma. Profitieren würden davon die Pharmakonzerne.
Mit rotem Stift durchgestrichen und ergänzt
Kohlpharma hat allerdings einen wichtigen Fürsprecher innerhalb der Bundesregierung: Wirtschaftsminister Peter Altmaier. Der CDU-Politiker will den Importzwang unbedingt beibehalten, er macht das Thema zur Chefsache. Die Fachleute in seinem Haus empfehlen zwar, den Plänen von Spahn zuzustimmen und die Importregelung deutlich einzuschränken. Doch in einer internen Vorlage vom 10. Dezember an die zuständige Staatssekretärin ist das Wort „Zustimmung“ mit rotem Stift durchgestrichen. Darunter findet sich eine handschriftliche Ergänzung: „Leitungsvorbehalt“.
Dass sich der Wirtschaftsminister inzwischen persönlich eingeschaltet hat und die Differenzen sogar auf höchster Ebene mit seinem Kollegen Spahn ausräumen will, kommt nicht von ungefähr. Kohlpharma hat seine Zentrale im saarländischen Merzig – dem Bundestagswahlkreis von Peter Altmaier. Wenn der CDU-Ortsverband Merzig zu seinem traditionellen Neujahrsempfang einlädt, findet dieser auch schon mal in der Firmenzentrale von Kohlpharma statt. So wie im Januar 2017, als sich auch Altmaier, damals noch Chef des Bundeskanzleramtes, angesagt hatte.
In der Akte des Wirtschaftsministeriums fällt auf, dass mehrfach explizit auf Kohlpharma verwiesen wird. In einer Mail vom 29. November 2018 heißt es zum Beispiel: „Aus der Leitung haben wir zur Importförderklausel ("Kohlpharma") noch nichts weiter gehört." Dies wirft eine interessante Frage unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung auf: Inwieweit nutzt hier ein Politiker sein Regierungsamt für etwas, von dem er als Wahlkreisabgeordneter profitiert?
Anfang Januar 2019 schrillen im Ministerium von Peter Altmaier die Alarmglocken: Gesundheitsminister Spahn will die Importpflicht für Arzneimittel nun nicht mehr einschränken, sondern ganz streichen. In einer Vorlage für Altmaier vom 10. Januar heißt es: „Nunmehr hat BM Spahn die Position verschärft und spricht sich nun für eine vollständige Abschaffung der Förderklausel aus.“ In diesem Fall, so heißt es weiter, müssten sich Arzneimittelimporteure „auf neue, weniger attraktive Rahmenbedingungen“ einstellen.
Am Tag darauf geht bei Altmaier das erwähnte Lobbyschreiben von Kohlpharma ein. Darin legt der Interessenvertreter dem Minister dar, wie die Gesetzesänderung nach seinen Vorstellungen aussehen müsste, damit sie „überhaupt Sinn macht“. Ob Altmaier dem Gesprächswunsch des Lobbyisten nachkommt, ist den Ministeriumsunterlagen selbst nicht zu entnehmen – dafür aber einem frei zugänglichen Dokument: In einer Antwort auf eine Linken-Anfrage führt die Bundesregierung mehrere, nicht genauer datierte „Telefonate“ im Januar 2019 zwischen Altmaier und dem Geschäftsführer von Kohlpharma auf.
Den Vorschlag von Kohlpharma bewerten Altmaiers Fachleute allerdings skeptisch. Nach Einschätzung des Abteilungsleiters für Gesundheitswirtschaft vom 11. Januar „scheint [dieser] nicht tragfähig zu sein. Er geht weit hinter den Gesetzentwurf des BMG [Gesundheitsministerium] zurück und hinter die Position der Bundesländer.“
Spahn und Altmaier einigen sich– auf den Vorschlag aus der Lobbymail
Importzwang für Apotheken
Apotheken müssen Arzneimittel aus dem Ausland verkaufen, wenn diese entsprechend billiger sind - und zwar nach folgenden Abstufungen: Bei Arzneimitteln
bis 100 Euro: mind. 15 Prozent billiger
zwischen 100 und 300 Euro: 15 Euro billiger
ab 300 Euro: 5 Prozent billiger.
Diese Regelung hatte das Importunternehmen Kohlpharma in einer Mail vom 11. Januar an Wirtschaftsminister Altmaier vorgeschlagen. Im Juni wurde der Gesetzentwurf beschlossen. Von der Importregel ausgenommen wurden Arzneimittel, bei denen es besondere Anforderungen an Lagerung und Transport gibt.
Bis zu der Gesetzesänderung mussten Apotheken lediglich prüfen, ob ein Medikament aus dem Ausland 15 Prozent oder 15 Euro billiger war.
Plötzlich aber geht alles ganz schnell. Binnen weniger Tage legen Altmaier und Spahn ihre Differenzen bei der Importquote bei. In einer Mail des Gesundheitsministeriums an das Wirtschaftsressort vom 21. Januar heißt es: „Wie bereits angekündigt, haben sich BM Altmaier und BM Spahn nach hiesiger Kenntnis zur Importregelung verständigt.“ Auch der Inhalt der Einigung wird aufgeführt: Es ist exakt die Regelung, die der Kohlpharma-Lobbyist in seiner Mail vom 11. Januar an Altmaier vorgeschlagen hatte. Diese orientiert sich an einem Rahmenvertrag zwischen dem Spitzenverband der Krankenkassen und dem Apothekerverband.
Damit ist die Abschaffung des Importzwangs vom Tisch. Im Juni beschließen Bundesrat und Bundestag die neue Importregelung für Arzneimittel im Kern so, wie von Kohlpharma angeregt. Lediglich bei bestimmten Arzneimitteln gelten Ausnahmen. Für Kohlpharma ist das nicht die Optimallösung, doch immerhin: Apotheken sind auch weiterhin verpflichtet, Importware zu verkaufen.
Eigentlich sollte das System durch den Wegfall der umstrittenen Regelung sehr viel einfacher werden. Doch nun ist es sogar deutlich komplexer geworden (s. Kasten).
Altmaier hat sich durchgesetzt. Gegen den Bundesgesundheitsminister, gegen den Bundesrat (in dem einzig das Saarland für die Beibehaltung der Importförderung war), gegen die Gesundheitspolitiker der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Was waren die Beweggründe des Ministers?
Was bewog Peter Altmaier, die Vorschläge von Kohlpharma aufzugreifen; Vorschläge, die schließlich den Weg in den Gesetzestext fanden? Von einer Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums bekommt man auf diese Frage eine allgemeine Antwort. Darin ist von „einem angemessenen Interessenausgleich zwischen den Beteiligten“ die Rede.
Am Ende lässt sich, rein nach Aktenlage, festhalten: Seinen Unternehmenssitz im Wahlkreis des Bundeswirtschaftsministers zu haben, muss sich nicht als Nachteil erweisen.