Fragwürdiger Auftrag an FDP-Großspenderin (Update) | abgeordnetenwatch.de Direkt zum Inhalt
Fragwürdiger Auftrag an FDP-Großspenderin (Update)
Eine Unternehmerin spendet der FDP 50.100 Euro – später erhält ihre Firma einen 600.000 Euro-Auftrag vom FDP-geführten Schulministerium in Nordrhein-Westfalen. Interne Unterlagen zeigen, dass die Vergabe innerhalb kurzer Zeit auf das Unternehmen der FDP-Spenderin zulief, eine Ausschreibung gab es nicht. Merkwürdig, sagt die Opposition. Alles in Ordnung, meint die FDP. [Ergänzung 12. Juli 2019: Der Auftrag für das Projekt soll demnächst ausgeschrieben werden, siehe Update.]
Am 10. August 2017 geht bei der FDP eine Spende der Unternehmerin Verena Pausder über 50.100 Euro ein. Pausder ist Gründerin und Geschäftsführerin der "Haba Digital GmbH", die Grundschulkinder die digitale Welt nahe bringen will. Außerdem sitzt sie im Wirtschaftsforum der FDP.
Ein gutes Jahr später erhält Pausders Haba Digital GmbH vom Schulministerium in Nordrhein-Westfalen den Auftrag für eine "Mobile Digitalwerkstatt": Ein Bus soll alle 53 Schulbezirke bereisen und dabei für die Chancen der Digitalisierung im Unterricht werben. Das Volumen beläuft sich nach Ministeriumsangaben zunächst auf gut 600.000 Euro, vertraglich wird die Möglichkeit einer „Leistungserweiterung“ vereinbart. Dadurch liegt das Auftragsvolumen am Ende „deutlich“ über dem Schwellenwert von 750.000 Euro, ab dem eine EU-weite Ausschreibung zwingend ist. So steht es in einer internen Vorlage des Ministeriums vom 8. Oktober 2018.
Bewilligt vom FDP-Staatssekretär
Mittlerweile ist die Auftragsvergabe an das Unternehmen der FDP-Großspenderin zu einem Politikum geworden. Besondere Brisanz erhält der Vorgang dadurch, dass das Schulministerium in Nordrhein-Westfalen von der FDP geleitet wird. Den Auftrag an Pausders Haba Digital GmbH zeichnete den Regierungsdokumenten zufolge Staatssekretär Mathias Richter ab (s. Grafik). Richter gehört seit vielen Jahren dem FDP-Landesvorstand an. 2017 war er von seiner Partei als Direktkandidat zur Bundestagswahl nominiert worden, verzichtete später aber wegen der Berufung zum Staatssekretär.
Auffallend ist, dass die Vergabe im Schulministerium innerhalb kurzer Zeit auf das Unternehmen der FDP-Spenderin zuzulaufen scheint. Die Abläufe lassen sich aus Korrespondenzen der Behörde und anderen Dokumenten rekonstruieren, die das Ministerium auf Antrag eines Bürgers nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) herausgegeben hat (einzusehen sind die Unterlagen hier auf dem Portal FragDenStaat).
"Soll ein Unternehmen beauftragt werden (Apple, Microsoft, Haba, u.a.)?“
Anfang Juli 2018 sondiert man auf Seiten des Schulministeriums verschiedene Optionen für das Bus-Projekt. „Die Umsetzung des Projektes könnte m.E. wie folgt erfolgen,“ schreibt der Leiter des Zentrums für Medien und Bildung, das an der Projektplanung beteiligt ist, am 4. Juli 2018 an eine persönliche Referentin von Bildungsministerin Yvonne Gebauer (FDP). Er skizziert zunächst die Möglichkeit einer Kooperation "mit einer techn. Universität", unterstützt durch Sponsoren. Als eine weitere Option wird in der Mail eine Komplettbeauftragung in Betracht gezogen: „Soll ein Unternehmen beauftragt werden (Apple, Microsoft, Haba, u.a.)“? Zu diesem Zeitpunkt, so sieht es aus, ist alles offen.
Doch schon zwei Tage später scheint es auf einen ganz konkreten Projektpartner hinaus zu laufen – die Haba Digital GmbH. Am 6. Juli schickt die persönliche Referentin von FDP-Ministerin Gebauer eine kurze Mail an die Rechtsanwaltskanzlei Luther, die das Ministerium für die Auftragsvergabe hinzugezogen hat. Darin übermittelt sie dem Anwalt die Mailadresse von Haba-Geschäftsführerin Pausder sowie eine mehrseitige Projektpräsentation von Haba für eine "mobile Digitalwerkstatt" (s. Grafik). Von anderen Anbietern ist in der Mail nicht die Rede.
Nun geht alles ganz schnell: Weitere drei Tage später wird Pausder per Mail für den 17. Juli ins Ministerium nach Düsseldorf eingeladen. Am 26. Juli schickt eine Luther-Anwältin bereits den Entwurf für „eine vertragliche Vereinbarung“ mit Haba ans Schulministerium. Innerhalb weniger Wochen wird so unter Federführung des FDP-geleiteten Schulministeriums ein Auftrag in sechsstelliger Höhe an eine FDP-nahe Unternehmerin fest gezurrt – nicht nur der Opposition kommt das angesichts der brisanten Gemengelage ziemlich übereilt vor.
"Kein anderes Unternehmen vorhanden"
Eine der Merkwürdigkeiten in dem Vergabeverfahren ist, warum der Auftrag an die Haba Digital GmbH ging. Das Schulministerium hat hierfür eine einfache Erklärung: Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses Anfang Oktober 2018 sei "kein anderes Unternehmen vorhanden [gewesen], das eine Lösung anbietet, mit welcher die Zielsetzung des Schulministeriums hätte erfüllt werden können", heißt es auf Anfrage von abgeordnetenwatch.de aus dem Haus von FDP-Ministerin Gebauer. Dies habe sich aus einer "Markterkundung" ergeben.
Die Frage ist: Gab es tatsächlich keine weiteren Anbieter, die das Bus-Projekt des Schulministeriums hätten umsetzen können? In Irland rollt beispielsweise ein digitales Klassenzimmer namens "Wriggle Roadcaster" durchs Land, für das Irlands Bildungsminister höchstpersönlich im Februar 2018 den Startschuss gab. Auch in Deutschland existieren mehrere Bus-Initiativen. In den internen Unterlagen zum Vergabeverfahren findet unter anderem das Projekt „Digital2School“ Erwähnung, das für sein Bus-Konzept beim Digital-Gipfel der Bundesregierung 2017 als eines der sechs innovativsten Startups im Bereich Bildungstechnologie („Ed-Tech“) ausgezeichnet wurde. Auch der "Turing-Bus“ der Open Knowledge Foundation ist im Schulministerium bekannt. Doch keines dieser beiden Projekte kommt aus Sicht der Behörde in Frage. Eine Hürde, an der die Initiativen scheitern: Sie sind keine Unternehmen.
Ausschreibung? Entfällt.
Die angebliche Monopolstellung der Haba Digital GmbH hat für das Bus-Projekt des Ministeriums einen enormen Vorteil. Denn so kann eine sonst zwingende EU-weite Ausschreibung entfallen, die wohl mehrere Monate gedauert hätte. Diese vergaberechtliche Regelung ergibt durchaus Sinn: Wenn es auf dem Markt nur einen einzigen Anbieter gibt, der die Anforderungen erfüllt, erübrigt sich zwangsläufig eine Suche nach dem besten Angebot. Dafür muss das Ministerium aber nachweisen, dass der Markt intensiv sondiert wurde. Auf Anfrage konnte das Schulministerium keine konkreten Angaben zur Vorgehensweise bei der Markterkundung machen. Offen bleibt, ob es sich bei der "Markterkundung" eher um eine detaillierte Analyse oder eine oberflächliche Google-Suche handelte.
Vergangene Woche wurde Bildungsministerin Yvonne Gebauer im Schulausschuss des NRW-Landtags zu der Auftragsvergabe befragt. "Wir haben uns an Recht und Gesetz gehalten", beteuerte die FDP-Politikerin. Gebauer räumte ein, von der 50.100 Euro-Spende an ihre Partei gewusst zu haben, diese habe jedoch mit der Auftragsvergabe nichts zu tun. FDP-Staatsminister Mathias Richter erklärte, bei dem Bus-Projekt handele es sich um "eine Non-Profit-Veranstaltung“ der Haba Digital GmbH. Das Unternehmen bekomme gegen Rechnungen seine Kosten erstattet. Sollte sich auf dem Markt ein anderer geeigneter Anbieter finden, habe das Ministerium ein "sanktionsloses Kündigungsrecht".
Rechtsgutachten sieht Vergabefehler
Derweil hat die SPD-Fraktion ein Rechtsgutachten der Koblenzer Rechtsanwaltskanzlei Klinge-Hess vorgelegt, demzufolge das Schulministerium im Fall des Bus-Projektes gegen "vergaberechtliche Grundsätze" verstoßen habe. Wenn es keine Mitbewerber gebe, heißt es in der Expertise, die abgeordnetenwatch.de vorliegt, habe der Auftraggeber zu prüfen, ob "der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter ist". Mit anderen Worten: Möglicherweise fand das Schulministerium auch deshalb nur einen einzigen Anbieter, weil seine Anforderungen viel zu eng gefasst waren.
Die internen Unterlagen des Schulministeriums legen nahe, dass die Vorgaben tatsächlich sehr eng gefasst waren – so eng, dass diese von potentiellen Anbietern aus dem EU-Ausland selbst nach Einschätzung der Behörde kaum zu erfüllen waren. In der Ministeriumsvorlage vom 8. Oktober 2018 findet sich der bemerkenswerte Satz: „Da schon bundesweit kein weiterer Wettbewerber erkennbar ist, spricht wenig bis gar nichts dafür, dass es europaweit ein auf die Anforderungen passendes Angebot gibt.“ Man werde den europäischen Markt aber „weiter erkunden“.
Zu diesem Zeitpunkt war der Vertragsentwurf zwischen dem Schulministerium und der Haba Digital GmbH längst ausgearbeitet – es fehlten noch die Unterschriften.
Update 28. Juni 2019:
Ein Bündnis aus mehreren Bildungsinitiativen fordert Schulministerin Yvonne Gebauer und Staatssekretär Mathias Richter in einem offenen Brief auf, eine Neuausschreibung des Auftrages der „Mobilen Digitalwerkstatt“ zu prüfen und den intransparenten Vergabeprozess aufzuklären. Unterzeichnet wurde der Brief unter anderem von den Initiativen "Digital2School" und "Turning-Bus", die ebenfalls ein digitales Bus-Projekt anbieten, der Gesellschaft für Informatik sowie dem Bündnis freie Bildung.
In dem Schreiben an die FDP-Politiker heißt es:
"Mit großer Verwunderung haben wir den Prozess der Beauftragung von „HABA Digital“ beobachtet. Das Verfahren wirft viele Fragen auf: Warum gab es keine Ausschreibung, wo es doch zahlreiche Initiativen gibt, die mit viel Erfahrung und etablierten Strukturen ausgestattet sind? Warum wurden eindeutige Regeln des Vergaberechts ignoriert? Sie begründen die freihändige Vergabe auch damit, dass es keine alternativen Anbieter gab, die die Aufgaben der Mobilen Digitalwerkstatt hätten ausführen können. Auf dem Portal „FragDenStaat.de“ veröffentlichte Dokumente zeigen 1 aber, dass Ihnen mindestens zwei in Frage kommende Projekte bekannt waren. Dieser Umstand verletzt das Vertrauen in die Vergabepraxis sowie in politische Entscheidungsstrukturen, denn dass es weit mehr als die zwei recherchierten Alternativen gibt, zeigt die Liste der Unterzeichnerinnen und Unterzeichner."
Die Initiatoren verlangen von der Schulministerin desweiteren,
dass Erfahrung und Qualität des Angebotes ausschlaggebend für die Vergabe sind,
dass profitorientierte Akteure Prinzipien freier Bildung folgen müssen,
transparente Vergabeverfahren,
faire Berücksichtigung auch kleinerer Initiativen,
die Förderung einer nachhaltigen Zusammenarbeit auf Basis bestehender Strukturen
sowie frei zugängliche Bildung und Schutz der Bildung vor lobbyistischen Einflüssen.
Update 12. Juli 2019:
Der Auftrag für das digitale Busprojekt soll demnächst öffentlich ausgeschrieben werden. Darüber habe Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) die Landtagsfraktionen informiert, heißt es in einer Mitteilung ihres Ministeriums. "Für den Fall, dass sich das Ministerium für Schule und Bildung für eine Fortsetzung der Stärkung der mobilen digitalen Bildung an Grundschulen entscheidet, wird beabsichtigt, ein wettbewerbliches Vergabeverfahren (öffentliche Ausschreibung) zu wählen." Ziel sei, das Projekt weiter anbieten zu können.
Interessant ist die Begründung des NRW-Schulministriums für diesen Schritt. Demnach sei inzwischen "möglicherweise" ein "wettbewerbliches Marktumfeld" entstanden, das vor der Auftragsvergabe an die Haba Digital GmbH noch nicht vorhanden war. Die Existenz des Schulbus-Projektes habe gezeigt, "dass auch andere Akteure im Bereich der digitalen Bildung zumindest ein Interesse an der Realisierung eines mobilen digitalen Lernangebots haben könnten", so das Ministerium. Doch die Darstellung, wonach ein mögliches Marktumfeld erst nach Auftragsvergabe entstanden sei, ist äußerst fragwürdig. Denn potentielle Anbieter wie das irische Digitalbusprojekt "Wriggle Roadcaster" oder die deutschen Initiativen "Digital2School" und "Turning-Bus" waren bereits vor der Auftragsvergabe an Haba Marktteilnehmer – sie waren aus Sicht des Ministeriums jedoch nicht in Betracht gekommen. Das Haus von Schulministerin Gebauer hatte stets angegeben, eine "intensive Markterkundung" durchgeführt zu haben. Einzig die Haba Digital GmbH habe die Anforderungen erfüllen können.
SPD und Grüne begrüßten die Ankündigung der Ministerin. Nach Ansicht des schulpolitischen Sprechers der SPD-Fraktion, Jochen Ott, sollten nun renommierte Universitäten des Landes in die Planungen einbezogen werden, die bereits an einem Schulversuch zur Einführung von "Informatik an Grundschulen beteiligt sind, heißt es in einer Mitteilung.