Ergänzung 22. März 2021: Karin Strenz ist tot. Sie sei auf einem Flug von Kuba nach Deutschland kollabiert, erklärte der Sprecher der Landesgruppe Mecklenburg-Vorpommern, Eckhardt Rehberg. Laut Medienberichten verlor sie im Flugzeug das Bewusstsein.
Kaum hatten Süddeutsche Zeitung und Report Mainz (SWR) kürzlich ihre Tätigkeit für eine aus Aserbaidschan finanzierte Lobby-Firma enthüllt, da stellte die CDU-Bundestagsabgeordnete Karin Strenz klar: „Die Einkünfte hieraus habe ich entsprechend der Geschäftsordnung beim Bundestagspräsidenten ordnungsgemäß angezeigt sowie ordentlich versteuert," schrieb Strenz am 20. September 2017 in einer Stellungnahme. "Allen rechtlichen Transparenzanforderungen wurde damit Genüge getan."
Durch Recherchen von abgeordnetenwatch.de, WDR und SZ ergeben sich nun jedoch erhebliche Zweifel an dieser Darstellung.
Strenz hatte nach eigenen Angaben zwischen November 2014 und Januar 2015 einen Beratervertrag mit der Firma Line M-Trade und erhielt hierfür insgesamt zwischen 14.000 und 30.000 Euro. Die Firma war mit Wissen und Geld aus Aserbaidschan vom früheren CSU-Staatssekretär Eduard Lintner gegründet worden, um über sie „Aktionen zu finanzieren“, wie Lintner kürzlich gegenüber Report Mainz erklärte. Da Strenz im Juni 2015 im Europarat als einzige deutsche Abgeordnete u.a. gegen eine Aserbaidschan-kritische Resolution stimmte, steht der Vorwurf der Abgeordnetenbestechung im Raum. Die CDU-Politikerin bestreitet dies (s. hierzu auch die Updates vom 7. November 2017 und 23. April 2018 am Ende des Textes).
Heikle Tätigkeit womöglich erst nach 2 Jahren veröffentlicht
Die neuen Recherchen lassen nun Zweifel daran aufkommen, dass Strenz mit ihrem heiklen Nebenjob tatsächlich so transparent und rechtlich einwandfrei umgegangen ist, wie sie es vier Tage vor der Bundestagswahl auf Facebook behauptete.
Die Transparenzpflichten für Abgeordnete sind eigentlich unmissverständlich: Wer eine neue Tätigkeit aufnimmt oder Einkünfte daraus erhält, muss beides laut Verhaltensregeln jeweils innerhalb einer Frist von drei Monaten beim Bundestagspräsidenten melden, der die Angaben dann im Internet veröffentlicht. Für die CDU-Abgeordneten wäre die Frist also im Februar 2015 abgelaufen – drei Monate nach Aufnahme ihrer vermeintlichen Beratertätigkeit für die Firma Line M-Trade. Nach Recherchen von abgeordnetenwatch.de, WDR und SZ wurde der Nebenjob aber frühestens Anfang Oktober 2016 auf ihrer Bundestagsprofilseite angezeigt.
Was die „Snapshots“ der Bundestagsseite zeigen
Auf der Internetseite des Deutschen Bundestages gibt es eine hilfreiche Funktion, mit der sich die Profilseite eines Abgeordneten so anzeigen lässt, wie sie zu einem bestimmten Datum einmal ausgesehen hat. Bildlich gesprochen werden die Inhalte der Webseite von der Parlamentsverwaltung mehrmals im Jahr „eingefroren“ und ins Archiv gelegt, wo sie dann für Interessierte durchsuchbar sind.
Das aktuellste Abbild („Snapshot“) von bundestag.de stammt vom 4. Oktober 2016. Auffällig ist, dass an jenem Tag auf der Profilseite der CDU-Abgeordneten außer einer früheren Unternehmensbeteiligung („Karin Strenz GbR“) keine weiteren anzeigepflichtigen Angaben zu finden waren. Von Strenz‘ vergüteter Tätigkeit zwischen November 2014 und Januar 2015 für die Line M-Trade GmbH, der Firma des Aserbaidschan-Lobbyisten Eduard Lintner: keine Spur:
Auch im Jahr zuvor, zum Beispiel am 23. Dezember 2015 oder am 17. Juli 2015, war diese Tätigkeit nicht aufgeführt.
Die Frage ist: Warum?
Antwort darauf können nur die Parlamentsverwaltung und Karin Strenz selbst geben. Die Bundestagsverwaltung hält sich bedeckt, will zu dem konkreten Fall nichts sagen.
Strenz meldete sich gestern Abend in einer öffentlichen Stellungnahme zu Wort. Medienanfragen werde sie derzeit nicht beantworten, "auch aus dem Grund meiner Erkrankung", schrieb die Abgeordnete. Nichtsdestotrotz ging Strenz in ihrem ausführlichen Statement auf viele Themen ein – die Bestechungsvorwürfe gegen sie (die Strenz erneut zurückwies), die Schäuble-Wahl zum Bundestagspräsidenten, die Medienberichterstattung über ihre Person. Zu einer Sache aber schwieg die CDU-Abgeordnete: den Fragen, mit denen sie von abgeordnetenwatch.de, WDR und SZ bereits am Montagvormittag konfrontiert worden war. Auch auf anderem Wege antwortete Strenz zunächst nicht.
So bleibt die Frage im Raum, ob Karin Strenz ihre Tätigkeiten für die Lobby-Firma Line M-Trade erst vor wenigen Monaten bei der Bundestagsverwaltung gemeldet hat. Das wäre ein Verstoß gegen die Verhaltensregeln des Bundestages – Strenz' Behauptung, allen rechtlichen Transparenzanforderungen seien Genüge getan worden, wäre dann nicht mehr haltbar.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion teilte auf Anfrage mit, man verfüge "weder über die rechtlichen Möglichkeiten noch die erforderlichen Informationen, um eigenständig überprüfen zu können, ob die Mitglieder ihren Anzeigepflichten nachkommen."
Schon 2015 Fragen von abgeordnetenwatch.de ausgewichen
Und es gibt da noch eine weitere Merkwürdigkeit, die eine andere Nebentätigkeit der CDU-Abgeordneten betrifft. 2015 interessierte sich abgeordnetenwatch.de zum ersten Mal für die Aktivitäten von Karin Strenz im südlichen Kaukasus. Damals war in der Schweiz gerade eine Lobbyaffäre um eine Nationalrätin hochgekocht, die eine aus Kasachstan gesteuerte parlamentarische Anfrage ins Parlament eingebracht hatte. Von daher lag die Frage nahe, ob es in Deutschland schon einmal einen ähnlichen Vorgang gegeben hatte.
Am 25. Mai 2015 schickte abgeordnetenwatch.de eine erste Mailanfrage an die Vorsitzende der Deutsch-Südkaukasischen Parlamentariergruppe, die CDU-Bundestagsabgeordnete Karin Strenz. Ob an sie schon einmal der Wunsch herangetragen worden sei, im Interesse von Kasachstan politisch tätig zu werden? Und ob sie, Strenz, geschäftliche Beziehungen im Zusammenhang mit einem „Land im südlichen Kaukasus“ unterhalte? Konkrete Antworten darauf blieb Strenz bis heute gegenüber abgeordnetenwatch.de schuldig.
„Das haben wir sofort vervollständigt“
Nur auf eine abgeordnetenwatch.de-Frage ging die CDU-Politikerin seinerzeit konkret ein: Warum denn ihr damaliges Amt als stellvertretende Vorsitzende der Interessenorganisation Deutsch-Kasachische Gesellschaft nicht auf ihrer Bundestagsseite veröffentlicht sei, wie es die Verhaltensregeln verlangten? Strenz antwortete am 10. Juni 2015: „Das haben wir sofort vervollständigt.“
Abbilder ihrer Profilseite belegen jedoch, dass auch die Vorstandstätigkeit für den Lobbyverein lange Zeit nicht auf bundestag.de veröffentlicht war, zum Beispiel am 17. Juli oder 4. Dezember 2015.
Nachdem Strenz im Dezember 2015 als erste Vorsitzende an die Spitze der Deutsch-Kasachischen Gesellschaft rückte, fehlte - ausweislich der Bundestags-„Snapshots“ - in den Folgemonaten auch dieser Eintrag. Selbst am 4. Oktober 2016, dem aktuellsten Abbild der Bundestagsseite, sucht man Angaben zu ihrer Nebentätigkeit bei der Interessenorganisation vergeblich. Wer an diesem Montag (23. Oktober 2017) Strenz' Profilseite besuchte, fand dort einen inzwischen veralteten Eintrag, der sie noch immer als stellvertretende Vereinsvorsitzende ausweist.
Update 7. November 2017: Strenz erklärt vorläufigen Rückzug aus Europarat
Karin Strenz wird ihre Tätigkeit in der parlamentarischen Versammlung des Europarates vorübergehend und auf „eigenen Wunsch hin“ ruhen lassen. In einer Mail an Medienvertreter, die heute Mittag von ihrem Büroleiter verschickt wurde, heißt es dazu:
„Zudem teilt die Bundestagsabgeordnete hiermit mit, dass sie bis zu einer Bewertung der Angelegenheit durch die Kommission auf eigenen Wunsch hin ihre Tätigkeit als Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ruhen lassen wird. Das ist ein hinreichend bekannter und normaler Vorgang.“
Bereits gestern habe Strenz dem Europarat eine mehrseitige Stellungnahme zu den Vorwürfen gegen sie zukommen lassen, mit der sie "aktiv und umfassend die Aufklärung der erhobenen Vorwürfe" unterstütze. Im Europarat wird derzeit von einer Kommission die Verbindung zwischen Aserbaidschan und Mitgliedern der parlamentarischen Versammlung untersucht. Im Raum stehen die Vorwürfe "Korruption" und "Abgeordnetenbestechung" gegen mehrere Abgeordnete, darunter auch Karin Strenz.
In ihrer Stellungnahme, die sie heute als „Presseerklärung“ an Medien verschicken ließ, weist Strenz die Vorwürfe entschieden zurück. Weder habe sie „bei der Unterzeichnung einer Erklärung zur Wahlbeobachtung in Aserbaidschan gegenüber dem Europarat gelogen“, noch habe sie sich in ihrem Abstimmungsverhalten im Europarat „von Dritten beeinflussen bzw. bestechen lassen“. Allerdings enthalten die aktuellen Einlassungen der CDU-Abgeordneten im Kern wenig Neues. Schon in ihren beiden Stellungnahmen auf Facebook vom 20. September 2017 sowie vom 24. Oktober 2017 hatte sich Strenz in Bezug auf die erhobenen Vorwürfe ähnlich geäußert.
Mehrere Widersprüche bleiben in der aktuellen Stellungnahme/Presseerklärung aber weiterhin ungeklärt. So behauptet Strenz im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit für die Firma Line M-Trade des Aserbaidschan-Lobbyisten Eduard Lintner, ihr sei nicht bekannt gewesen, dass diese aus Aserbaidschan finanziert worden sei. Sie habe auch keine „Veranlassung zu einer solchen Annahme bzw. entsprechenden Nachprüfungen“ gehabt. Strenz wörtlich: "Auch der Inhaber der Line M-Trade GmbH hat mir dies gegenüber zu keinem Zeitpunkt erwähnt." Lintner sieht dies allerdings ganz anders. Seine Beziehung zu Aserbaidschan „kannte sie [Strenz] ja und wir haben auch nie ein Geheimnis draus gemacht", sagte er vor einigen Tagen der Süddeutschen Zeitung.
Unbeantwortet bleiben in der mehrseitigen Strenz-Erklärung auch die Fragen, die ihr abgeordnetenwatch.de, SZ und WDR zur Veröffentlichung der Nebentätigkeit für die Line M-Trade am 23. Oktober gestellt hatten. Allerdings weicht die CDU-Abgeordnete in einem Detail von ihrer bisherigen Darstellung ab. Hatte sie am 20. September auf Facebook noch behauptet, durch ihre Meldung der Nebentätigkeit gegenüber dem Bundestagspräsidenten sei „allen rechtlichen Transparenzanforderungen […] Genüge getan“ worden, wiederholt sie diese Aussage nun nicht mehr. Stattdessen heißt es in der jüngsten Erklärung schlicht: „Nach Vertragsende habe ich die Leistung beim Bundestagspräsidenten angegeben und selbstverständlich ordnungsgemäß versteuert.“
Offen bleibt deswegen die Frage, warum die brisante Nebentätigkeit mindestens eineinhalb Jahre lang nicht in Strenz' Bundestagsprofilseite angezeigt wurde (s. obenstehenden Bericht). Bislang hat die CDU-Abgeordnete keine Angaben dazu gemacht, wann sie ihre Tätigkeit für Line M-Trade beim Bundestagspräsidenten gemeldet hat. Diese muss sie laut Verhaltensregeln innerhalb von drei Monaten mitteilen.
abgeordnetenwatch.de hat Karin Strenz heute erneut um Aufklärung der noch offenen Fragen gebeten.
Update 23. April 2018: Untersuchungsbericht des Europarats belastet Strenz
Im Abschlussbericht einer vom Europarat eingesetzten Untersuchungskommission wird Strenz vorgeworfen, einen Interessenkonflikt bzgl. Aserbaidschan nicht angezeigt und gegen mehrere Verhaltensregeln verstoßen zu haben. Der Tagesspiegel schreibt:
"Die Abgeordneten hätten damit gegen ethische Standards und Verhaltensregeln der Parlamentarischen Versammlung (PACE) verstoßen, heißt es in dem Bericht. Die drei Richter, die der Untersuchungskommissionangehören, sehen zugleich Hinweise auf Korruption: „Das Gremium stellte fest, dass es einen starken Verdacht gab, dass sich bestimmte derzeitige und ehemalige Mitglieder der PACE an Aktivitäten korrupter Art zugunsten Aserbaidschans beteiligten. [...] Strenz habe einen „andauernden Interessenkonflikt“ in ihren „verschiedenen Aktivitäten in der Parlamentarischen Versammlung mit Bezug zu Aserbaidschan“ gehabt, heißt es in dem Bericht."
Die unabhängige Untersuchungskommission wirft Strenz außerdem eine mangelnde Kooperationsbereitschaft vor.
Update Februar 2019: Ordnungsgeld verhängt
Inzwischen ist Karin Strenz wegen des Verstoßes gegen die Verhaltensregeln vom Bundestag öffentlich gerügt worden und erwartet ein fünfstelliges Ordnungsgeld. Mehr: Wie wir die Lüge einer Bundestagsabgeordneten nachwiesen
Berichte zum Thema:
Report Mainz-Beitrag vom 19. September 2017:
Report Mainz-Beitrag vom 17. Oktober 2017: