Auch sechs Jahre nach seinem Rückzug aus dem Deutschen Bundestag lebt Otto Bernhardt noch von der Politik – mit dem Unterschied, dass er sich nun von Unternehmen und Interessenverbänden bezahlen lässt. Der langjährige CDU-Abgeordnete ist mit seinem freiwilligen Ausscheiden aus dem Parlament "Politikberater" geworden.
Keine Woche war nach der Bundestagswahl 2009 vergangen, da zog Bernhardt mit seiner Unternehmensberatung aus dem schleswig-holsteinischen Rendsburg in die Bundeshauptstadt und erweiterte sein Portfolio. Neu im Angebot hatte er fortan die "Herstellung von Kontakten zwischen Unternehmungen und Firmen zur Politik" und eine "Beratung über lobbyistische Aktivitäten".
Otto Bernhardt ist einer von mindestens 30 ehemaligen Bundestagsabgeordneten, die laut einer Studie zwischen 2002 und 2012 vom Parlament in einen Berater- und/oder Lobbyistenjob wechselten. Als Unternehmensberater bieten sie im Internet ganz offen ihre Kontakte in die Politik an oder sie stiegen gleich selbst als Lobbyist bei einem Konzern ein.
Sie verkaufen ihr politisches Insiderwissen
Vom Sitz der Otto Bernhardt Politik- und Unternehmensberatung im berüchtigten Berliner Postzustellbezirk 10117 sind es gerade einmal fünf Gehminuten zum Reichstag und den Abgeordnetenbüros, gleich nebenan liegt das Kanzleramt. Dass er selbst in die Regierungszentrale einen direkten Draht hat, versucht Bernhardt mit einer kleinen Fotogalerie auf der Homepage seiner Agentur zu unterstreichen. Eines der Bilder zeigt ihn Seit an Seit mit Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Am Ende spielt es keine Rolle, ob Lobbyistenberater Bernhardt seinen zahlungswilligen Klienten einen persönlichen Termin bei der Bundeskanzlerin verschaffen kann oder nicht – das Problem mit den Seitenwechslern aus dem Bundestag ist ein grundsätzliches. Sie kennen die politischen Abläufe aus dem Effeff, wissen, an welcher Stelle des parlamentarischen Verfahrens man Einfluss nehmen kann und wen man dafür kontaktieren muss. Dieses politische Insiderwissen versuchen sie nun an all jene zu veräußern, die es sich leisten können.
Dass sich finanzstarke Unternehmen und Verbände zur Durchsetzung ihrer Interessen einen Zugang zu politischen Entscheidungsträgern kaufen können, ist für sich genommen schon skandalös. Doch obendrein führt der Tauschhandel "Kontaktvermittlung gegen Geld" zur Zementierung eines seit jeher bestehenden Ungleichgewichts: Firmen und Organisationen mit geringen Finanzmitteln haben in einem solchen System gar nicht erst die Möglichkeit, sich mit ihren Anliegen Gehör in der Politik zu verschaffen.
Im Angebot: das 'Know-How' und 'Know-Who' von Ex-Politikern
© Screenshot: www.pks-gmbh.net
Besonders umtriebig in der Welt des Kontaktebusiness ist seit seinem Abschied aus dem Bundestag der ehemaliger finanzpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Otto Bernhardt. Nur einen Häuserblock von seiner Agentur entfernt residiert mit der PKS Kommunikations- und Strategieberatung GmbH ein weiterer Dienstleister im Vermittlungsgewerbe, und auch hier hat Bernhardt seine Finger im Spiel. Er ist einer von sieben Partnern. Die Beratungsagentur offeriert potentiellen Klienten ein "durch langjährige Erfahrung in Politik, Wirtschaft und Medien erworbenen 'Know-How' und 'Know-Who'" und verspricht eine "dauerhafte Vertretung in den Zentren politischer Meinungsbildung". Diese Interessensvertretung übernehmen neben Bernhardt eine Reihe weiterer Ex-Politiker.
Da ist zum Beispiel Norbert Glante, zwischen 1994 und 2014 für die SPD im Europaparlament und der Energiewirtschaft zugeneigt. Als Parlamentarier war Glante im Nebenjob Vizepräsident des European Energy Forum (EEF), einer informellen Gruppe aus EU-Abgeordneten und großen Energiekonzernen. Oder Friedhelm Ost (CDU), einstiger Regierungssprecher und wirtschaftspolitischer Berater von Bundeskanzler Helmut Kohl, später Abgeordneter des Deutschen Bundestages. Einige Tage nach seinem Ausscheiden aus dem Parlament eröffnete Ost 2002 eine Agentur namens "PKW – die Gesellschaft für Politik-, Kommunikations-, Wirtschaftsberatung". Seitdem bringt er u.a. Wirtschaftsleute mit seinen Ex-Kollegen aus der Politik gegen Bezahlung zusammen.
"Sie sorgen sich um ein bestimmtes Gesetzgebungsverfahren...?"
© Screenshot www.gplusgermany.de
Etwa einen Kilometer Luftlinie von der PKS-Niederlassung in Berlin-Mitte entfernt unterhält die Public-Affairs- und Kommunikationsberatung gplus germany ihr Hauptstadtbüro. Dort hat mit Rita Pawelski eine langjährige Fraktionskollegin von Otto Bernhardt ein neues Betätigungsfeld gefunden. Senior Policy Adviser lautet ihre Jobbezeichnung, also politische Beraterin.
In der Palette an Dienstleistungen, die Pawelski und ihre Kollegen potentiellen Kunden aus der Wirtschaft offerieren, finden sich "Interessenvertretung" ("Sie sorgen sich um ein bestimmtes Gesetzgebungsverfahren...?") sowie ein politisches Frühwarnsystem für Unternehmen. "gplus germany unterstützt Sie dabei, frühzeitig Nachrichten, politische Entwicklungen oder personelle Entscheidungen ausmachen, die zu einem konkreten Risiko werden könnten", schreibt die Agentur in ihrem Onlineauftritt. "Die enge Vernetzung mit Stakeholdern in der Politik erleichtert das frühzeitige Erkennen von politischen Debatten und ermöglicht es Ihnen, diese Debatten mitzugestalten und dadurch das eigene Geschäftsmodell zu beschützen."
Um für einen Kunden einen Kontakt mit den politischen Stakeholdern anzubahnen, braucht die glernte Kontoristin Pawelski nur ihr Adressbuch aufzuschlagen. Sie verfüge "über ein exzellentes Netzwerk", ist auf der gplus-Homepage zu erfahren.
Cheflobbyist beim größten deutschen Fernbusanbieter
Ein weiterer Parlamentarier, der nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag seine Kontakte zu versilbern versucht, ist der frühere FDP-Bundestagsabgeordnete Patrick Kurth. Nachdem der studierte Politik- und Rechtswissenschaftler im Herbst 2013 nicht wieder in den Bundestag eingezogen war, stieg er ins Beratungsgeschäft ein und gründete die Agentur cc:KONSULTANT. Sein Kontaktnetzwerk, das der Ex-Abgeordnete nun über seine Homepage anbietet, zapft er seit kurzem auch für den größten deutschen Fernbusanbieter Mein Fernbus/Flixbus an: seit dem 1. März ist Kurth dort als Cheflobbyist für den Bereich "Politische Beziehungen" zuständig.
Auch mehrere Ex-Abgeordnete von SPD und Grünen haben einen Weg gefunden, ihre Kontakte zu Geld zu machen. Einige von ihnen sind wie der FDP-Mann Kurth gleich selbst Lobbyist geworden. Zu dieser Gruppe gehört zum Beispiel der frühere SPD-Parlamentarier und Ex-Wirtschaftsstaatssekretär Ditmar Staffelt, der nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag im Jahr 2009 beim Luft-, Raumfahrt- und Rüstungskonzern EADS anheuerte und dort bis 2012 als Vorstandsbeauftragter für Politik und Regierungsarbeiten tätig war. Auch Ex-SPD-Fraktionsvize Fritz Rudolf Körper, der während seiner Zeit im Bundestag auch als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium diente, wechselte ins Lobbyistenfach. Körper ist Mitgründer der Lobby- und Sicherheitsagentur friedrich30, die nach eigenen Angaben die politischen Interessen von Unternehmen vertritt und sich als "Spezialist für Kontakte in die Politik" sieht.
Andere ehemalige Volksvertreter wie die früheren Grünen-Politiker Rezzo Schlauch und Ludger Volmer fanden als PR- und/oder Unternehmensberater eine Anschlussverwendung.
Ex-Abgeordnete können im Bundestag ein und aus gehen - auch als Lobbyist
Erleichtert wird den Neu-Lobbyisten und -Beratern die Arbeit dadurch, dass sie bei den Ex-Kollegen im Bundestag jederzeit auf ein Vieraugengespräch vorbeischauen können. Denn ausgeschiedene Bundestagsabgeordnete haben laut eines Parlamentssprechers Anrecht auf einen Ehemaligenausweis, mit dem sie bei der Parlamentsverwaltung einen Hausausweis beantragen kölnnen. Dieser ermöglicht einen beinahe ungehinderten Zugang zu den Bundestagsgebäuden – überaus praktisch, wenn man sein Geld als Lobbyist oder Kontaktanbahner verdient.
Auffallend ist, dass die meisten von ihnen ihre als Parlamentarier erworbenen Kontakte nutzen, um sich beruflich neu zu orientieren: Kaum einer der Ex-Politiker war vorher schon als Politikberater oder Lobbyist tätig und kehrte nach dem Ausscheiden in den angestammten Beruf zurück. Doch anders als bei ehemaligen Regierungsmitgliedern werden sich die Seitenwechsel von Bundestagsabgeordneten in einen Lobbyisten- oder Beraterjob nicht verbieten lassen - dem steht schon das verfassungsrechtlich geschützte "freie Mandat" entgegen.
Zumindest einige der aktiven Volksvertreter haben klargestellt, später einmal nicht ins Lobbyistenfach wechseln zu wollen. Per Unterzeichung eines (freiwilligen) Verhaltenscodex' verpflichten sich 45 Bundestagsabgeordnete, "nach Beendigung meiner Abgeordnetentätigkeit für mindestens drei Jahre keiner entgeltlichen Tätigkeit für Unternehmen, Verbände oder andere Organisationen nachzugehen, die zu einem erheblichen Teil aus Lobbyarbeit besteht."
Update 5. Oktober 2016: Wenige Tage nach seinem Ausscheiden als Bundestagsabgeordneter wurde bekannt, dass der frühere Finanzminister Peer Steinbrück eine Beratertätigkeit bei der Direktbank Ing Diba annehmen wird. Der ZEIT sagte er: "Ich werde ein Angebot der ING-DiBa annehmen, als Berater des Vorstandes."
Mitarbeit: Caroline Vestweber