Eine Liste mit den Nebeneinkünften aller Bundestagsabgeordneter finden Sie am Ende des Textes.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Rudolf Henke hat viele Nebenjobs, doch der einträglichste ist der als Präsident der Ärztekammer Nordrhein. Jeden Monat, so geht es aus Henkes Angaben auf der Bundestagshomepage hervor, kassiert er als Ärztefunktionär 7.000 Euro – mindestens . Das Problem ist: Seine monatlichen Einkünfte könnten auch mehr als doppelt so hoch sein. Das genaue Salär bleibt der Öffentlichkeit jedoch verborgen.
Henke ist kein Einzelfall. Nach abgeordnetenwatch.de-Recherchen haben 156 der 631 Bundestagsabgeordneten Zusatzeinkünfte bei denen nicht klar ist, wie hoch diese sind. Sicher nachweisen lässt sich durch die Angaben der Volksvertreter auf der Parlamentswebsite, dass sie seit Beginn der Legislaturperiode Nebeneinkünfte in Höhe von 11,6 Mio. Euro kassiert haben. Dies ist allerdings nur die absolute Mindestsumme – tatsächlich können die Abgeordneten sogar bis zu 21,4 Mio. Euro eingestrichen haben.
Beschlossen haben dieses intransparente System: dessen Nutznießer
Der Grund für die riesige Grauzone von rund 10 Millionen Euro ist, dass Bundestagsabgeordnete nicht die tatsächliche Höhe eines Nebenverdienstes veröffentlichen sondern ihre Einkünfte jeweils einer von zehn Stufen zuordnen müssen (s. Grafik). So steht "Stufe 3", die der CDU-Politiker Rudolf Henke für seinen Funktionärsjob pro Monat angibt, beispielsweise für Einkünfte zwischen 7.000 und 15.000 Euro.
Beschlossen wurde dieses intransparente System u.a. von der Union, deren Abgeordnete in der Liste mit den höchsten Nebeneinkünften nun ganz oben stehen. Sieben von ihnen strichen vergangenes Jahr mit ihrem Zweitjob sogar mehr ein als die Bundeskanzlerin, die 2014 auf Bezüge in Höhe von 222.081 Euro kam:
- Hans Michelbach (CSU): Als Mitglied der Geschäftsführung der KIZ - MIBEG Group Unternehmensgruppe kassiert er nach eigenen Angaben einen jährlichen Gewinn der "Stufe 10", also "mindestens 250.000 Euro". Alles was Michelbach oberhalb dieses Grenzwertes erhält, bleibt der Öffentlichkeit verborgen - selbst wenn es mehrere Millionen Euro wären. Gesamteinkünfte in dieser Legislaturperiode: Mindestens 500.000 Euro.
- Stephan Harbarth (CDU): Als Vorstandsmitglied der Wirtschaftskanzlei SZA Schilling, Zutt & Anschütz erhielt er in den Vorjahren jeweils über 250.000 Euro (Stufe 10). In diesem Jahr hat Harbarth mit seinem Vorstandsjob schon zwischen 100.000 und 150.000 Euro verdient. Gesamteinkünfte in dieser Legislaturperiode: Mindestens 650.000 Euro.
- Dagmar Wöhrl (CSU): Allein für die Aufsichtsratsposten bei drei Unternehmen der Nürnberger Versicherungsgruppe erhielt sie vergangenes Jahr mindestens 165.500 Euro, hinzu kamen Einkünfte als Verwaltungsrätin der Sarasin-Privatbank (mind. 75.000 Euro) und als Geschäftsführerin einer Parkverwaltungs- und Werbegesellschaft (mind. 12.000 Euro). Gesamteinkünfte in dieser Legislaturperiode: 432.000 Euro.
- die Landwirte Philipp Graf von und zu Lerchenfeld (CSU, Einkünfte 2014: mind. 783.000 Euro / Gesamteinkünfte in dieser Legislaturperiode: mind. 1.148.000 Euro), Albert Stegemann (CDU, Einkünfte 2014: mind. 301.000 Euro / Gesamteinkünfte: mind. 878.500 Euro), Johannes Röring (CDU, Einkünfte 2014: mind. 575.000 Euro / Gesamteinkünfte: mind. 862.000 Euro) und Hans-Georg von der Marwitz (CDU, Einkünfte 2014: mind. 433.000 Euro / Gesamteinkünfte: mind. 587.500 Euro), die zumindest auf dem Papier als Topverdiener dastehen. Allerdings handelt es sich bei den Beträgen um keine Gewinne, sondern um Bruttozuflüsse, von denen Freiberufler wie die Landwirte u.U. Mitarbeitergehälter oder Maschinen bezahlen müssen.
Quelle: Deutscher Bundestag / Grafik: abgeordnetenwatch.de, Stand: 28.7.2015
Steinbrück kassiert von allen SPD-Abgeordneten am meisten
Die höchsten Nebeneinkünfte in den Reihen der SPD erhielt der frühere Finanzminister Peer Steinbrück, der u.a. von einer Unternehmensberatung bis zu 50.000 Euro kassierte. Steinbrück, der mit Mindesteinkünften von 189.000 Euro auf Platz 12 des Gesamtrankings steht, gehört seit Jahren zu den Spitzenverdienern im Deutschen Bundestag. Seine exzessive Tätigkeit als Honorarredner, die abgeordnetenwatch.de 2010 enthüllt hatte, war drei Jahre später Anlass für die von der schwarz-gelben Koalition beschlossene Reform der Veröffentlichungspflichten. Diese war zwar transparenter als das bis dahin geltende System, aber meilenweit entfernt von einer vollständigen Offenlegung der Nebeneinkünfte auf Euro und Cent, wie es SPD, Grüne und Linkspartei damals vergeblich forderten.
Die jetzigen Veröffentlichungsregeln haben derart große Schlupflöcher, dass der Graubereich an unbekannten Nebeneinkünften in Wahrheit noch sehr viel größer ist als die von abgeordnetenwatch.de errechneten rund 10 Millionen Euro. Denn bestimmte Einkünfte müssen die Parlamentarier überhaupt nicht melden. Vollkommen im Dunkeln bleiben zum Beispiel alle Nebenverdienste eines Abgeordneten, die unterhalb von 1.000 Euro monatlich bzw. unterhalb von 10.000 Euro jährlich liegen. Rechtsanwälte brauchen ihre Honorare unter bestimmten Umständen gar nicht angeben, auch Gewinne aus der Unternehmensbeteiligung eines Abgeordneten tauchen nirgends auf.
Petition "Verschleierung von Nebeneinkünften stoppen!"
abgeordnetenwatch.de hat deswegen die Petition "Verschleierung von Nebeneinkünften stoppen!" gestartet. Darin werden die Bundestagsabgeordneten aufgefordert, ein striktes Transparenzgesetz zu beschließen, konkret: die Offenlegung aller Nebeneinkünfte vom ersten Euro bis zum letzten Cent sowie die namentliche Nennung aller Geldgeber. Nur so lassen sich finanzielle Abhängigkeiten und mögliche Interessenkonflikte offenlegen und kritisch hinterfragen. Derartige Transparenzpflichten gelten beispielsweise für die britischen Unterhausabgeordneten, die nicht nur die konkrete Höhe sämtlicher Einkünfte veröffentlichen müssen, sondern auch den zeitlichen Aufwand (in Stunden).
Verschleierung von Nebeneinkünften stoppen - das sollten Sie jetzt tun:
- Unterschreiben Sie jetzt die Petition "Verschleierung von Nebeneinkünften stoppen!" und teilen Sie sie in den sozialen Netzwerken.
- Konfrontieren Sie die Politikerinnen und Politiker via abgeordnetenwatch.de und über die sozialen Netzwerke mit ihren Nebentätigkeiten und -einkünften. In der untenstehenden Liste können Sie nachsehen, wer welche Nebeneinkünfte bezieht. (Hier auf der Bundestagshomepage finden Sie außerdem heraus, welche Tätigkeiten ihr Wahlkreisabgeordneter ausübt.)
- Bleiben Sie auf dem Laufenden über den Fortgang der Petition und weitere abgeordnetenwatch.de-Recherchen - abonnieren Sie unseren kostenlosen Newsletter.
- Schreiben Sie einen Leserbrief an ihre Lokalzeitung, in dem Sie auf die Problematik aufmerksam machen und strenge Transparenzregeln von den Bundestagsabgeordneten fordern.
Excelliste: Die Nebeneinkünfte der Bundestagsabgeordneten seit Beginn der Legislaturperiode
abgeordnetenwatch.de hat für alle 631 Bundestagsabgeordnete ermittelt, ob und wenn ja: wie hohe Einkünfte sie seit Beginn der Legislaturperiode im Oktober 2013 auf der Parlamentshomepage angegeben haben. Da sie keine konkreten Beträge mitteilen müssen, sondern ihre jeweiligen Einkünfte lediglich einer von zehn Verdienststufen zuordnen, lassen sich keine exakten Summen errechnen. Deswegen veröffentlichen wir die Mindest- sowie die Höchsteinkünfte eines jeden Politikers. Bei den rot markierten Beträgen können die Höchsteinkünfte auch höher sein, da diese Abgeordneten Einkünfte der nach oben offenen Stufe 10 erhalten haben. In allen Fällen handelt es sich um Bruttozuflüsse. Freiberufler haben davon unter Umständen Mitarbeiter, Mieten oder Gerätschaften zu bezahlen. Einige Bundestagsabgeordnete legen auf ihrer Homepage freiwillig sämtliche Nebeneinkünfte offen.
So haben wir gerechnet:
Da wegen des 10-Stufensystems keine Angaben über die tatsächliche Höhe der Nebeneinkünfte möglich sind, haben wir jeweils die unterste sowie die oberste Euro-Grenze der zehn Verdienststufen herangezogen. Beispiel: Bei einem Abgeordneten, der auf der Bundestagshomepage einen Verdienst der Stufe 6 (zwischen 50.000 und 75.000 Euro) aufführt, flossen 50.000 Euro in die Berechnung seiner Mindesteinkünfte bzw. 75.000 Euro in die Berechnung seiner maximalen Einkünfte ein. Fünf Bundestagsabgeordnete geben auf der Parlamentshomepage Einkünfte der Höchststufe 10 ("über 250.000 Euro") an. Da diese Stufe nach oben hin offen ist, haben wir zur Berechnung der maximalen Einkünfte nur einen Betrag von 250.000 Euro herangezogen. In diesen Fällen, die in der Tabelle rot markiert sind, kann die Summe der maximalen Einkünfte in Wirklichkeit noch sehr viel höher liegen als der angezeigte Betrag.
Monatliche Einkünfte wurden mit 20 multipliziert (1. November 2013 bis einschließlich Juni 2015), sofern ein Abgeordneter nicht explizit ein anderes Start- oder Enddatum angegeben hat. Nebeneinkünfte mit der Angabe "jährlich" wurden mit 2 multipliziert. Eingeflossen in die Berechnung sind sämtliche Einkünfte, die von den Abgeordneten seit Beginn der Legislaturperiode am 22. Oktober 2013 auf der Bundestagshomepage veröffentlicht wurden. Darunter fallen auch sog. "Nachträge zur 17. Wahlperiode", also Einkünfte, die vor der Bundestagswahl angefallen sind, aber erst danach ausgezahlt wurden. Bundestagsabgeordnete müssen ihre Einkünfte innerhalb von drei Monaten nach Erhalt beim Bundestagspräsidenten melden. Sie werden anschließend auf der Bundestagshomepage veröffentlicht.
Exceltabellen zum Download:
- Tabelle: Nebeneinkünfte Bundestagsabgeordnete 18. WP, Stand 28.7.2015 (ods / xlsx)
Mitarbeit: Sarah Lang, Jonas Gunzelmann, Melanie Schorsch, Oidina Mukhamedalieva, Caroline Vestweber