Die Adressdatenlobby hatte leichtes Spiel an jenem Dezembertag des Jahres 2011. Hinter verschlossenen Türen konnten ihre Vertreter den versammelten Unions-Abgeordneten ungestört darlegen, warum sie angeblich einen erleichterten Zugriff auf die Meldedaten von Millionen Bürgerinnen und Bürger benötigten.
Entschiedenen Widerspruch hatten die Adressdealer in der nicht-öffentlichen Anhörung allerdings nicht zu fürchten: Daten- und Verbraucherschützer, so schreibt stern-Reporter Hans-Martin Tillack in seinem Buch "Die Lobbyrepublik", waren offenkundig nicht geladen worden.
Es kam, wie es kommen musste: Ein ursprünglich bürgerfreundlicher Gesetzentwurf zum Schutz der Meldedaten wurde zur Freude der Adresshändlerlobby plötzlich ins genaue Gegenteil verkehrt. Einige Monate später, im Windschatten des EM-Halbfinales Deutschland - Italien, schleusten CDU/CSU und FDP das für die Wirtschaft maßgeschneiderte Meldegesetz in nur wenigen Sekunden durchs Parlament.
Der Handstreich im Bundestag flog am Ende auf
Auch wenn der Handstreich im Bundestag am Ende aufflog und das Gesetz unter dem Druck des Bundesrates in dieser Form wieder kassiert wurde: Das Beispiel Meldegesetz zeigt, wie die Nicht-Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen Lobbyisten in die Hände spielen kann. Wäre die von CDU und CSU initiierte Anhörung auch für Bürger und Journalisten zugänglich gewesen, hätten die Alarmglocken schon sehr viel früher schrillen können (und die Union hätte womöglich gar nicht erst die Chuzpe besessen, Daten- und Verbraucherschützer außen vor zu lassen.)
Nun unternehmen Linksfraktion und Grüne einen Anlauf, um die Arbeit der Bundestagsausschüsse transparent zu machen. In einem gemeinsamen Antrag zur Änderung der Bundestagsgeschäftsordnung fordern die Oppositionsfraktionen, die Ausschusstüren bis auf wenige Ausnahmen grundsätzlich für die Öffentlichkeit zu öffnen.
Derzeitige Regelung ist ein Affront gegenüber Bürgerinnen und Bürgern Bei einer Expertenanhörung, die heute Nachmittag im Geschäftsordnungsausschuss des Bundestages stattfand, war als einer der Sachverständigen abgeordnetenwatch.de-Geschäftsführer Gregor Hackmack geladen. In seiner mündlichen Stellungnahme trug er den versammelten Parlamentariern neben dem Meldegesetz noch ein weiteres Beispiel für die Aktivitäten von Lobbyisten hinter verschlossenen Ausschusstüren vor, die Enthüllungsjournalist Tillack in seinem kürzlich erschienen Buch schildert. Demnach war es einem FDP-Fraktionsmitarbeiter vor einigen Jahren gelungen, einen Lobbyisten der Agentur hbpa dreinmal in nicht-öffentliche Sitzungen des Bundestagsausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz einzuschleusen. Der Interessenvertreter, der für einige Wochen in den Büroalltag eines FDP-Abgeordneten hineinschnuppern durfte, konnte dort mitverfolgen, wie die Ausschussmitglieder über Verschärfungen des Lebensmittelrechts debattierten. "Der Lobbyist (selbst FDP-Mitglied) argumentierte hinterher, er sei 'immer ordentlich angemeldet' gewesen," schreibt Tillack. Laut der Homepage seines Arbeitgebers beriet der Lobbyist "Unternehmen der Lebensmittelbranche in Fragen der politischen Kommunikation", wozu auch "das politische Monitoring, das Kontakt-Management mit Ministerien, dem Bundestag und weiteren Institutionen" gehörte. Öffentlichkeit bei Ausschusssitzungen würde nicht nur dem verdeckten Lobbyismus zumindest an dieser Stelle das Wasser abgraben. Sie wäre überdies ein wichtiger Schritt, um sich den Bürgerinnen und Bürgern wieder anzunähern und ihr Vertrauen in die Politik zu fördern. Die bislang im Geheimen tagenden Bundestagsausschüsse, so unser Kollege in seiner schriftlichen Stellungnahme, seien "ein Affront gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, die dadurch in ihrem Recht auf Meinungsbildung beschränkt werden."
Die schriftliche Stellungnahme von abgeordnetenwatch.de-Geschäftsführer Gregor Hackmack als Sachverständiger zur Expertenanhörung im Wortlaut:
Ausschussöffentlichkeit:
Stellungnahme zum GO-Änderungsantrag
der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN (Drucksache 18/3045): Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
“Der Bundestag verhandelt öffentlich” so schreibt es Artikel 42 Absatz 1 Satz 1 unseres Grundgesetzes vor. Das vor inzwischen über 15 Jahren eingerichtete Parlamentsfernsehen ist ein Zeichen dafür, dass der Bundestag dieses Gebot auch ernst nimmt: Ortsunabhängig ermöglicht ein Livestream der Plenardebatten allen interessierten Bürgerinnen und Bürgern, sich basierend auf unmittelbaren und damit unverfälschten Informationen eine Meinung über die Arbeit ihrer Abgeordneten zu bilden. Das ist gut und richtig.
Bedenklich ist jedoch, dass diese Informationen bei weitem nicht vollständig sind. Denn die zum Bundestag gehörenden Ausschüsse, in denen ein Großteil der inhaltlichen parlamentarischen Arbeit stattfindet, wurden bei der Interpretation des Artikels 42 bisher ausgeklammert. Während andere europäische Länder und diverse Bundesländer ihr Bestreben nach Transparenz und damit Legitimation ihrer Arbeit bereits wie selbstverständlich auch auf die parlamentarischen Ausschüsse ausgeweitet haben, sind die Ausschusssitzungen des Bundestages bisher weder vor Ort noch im Internet öffentlich zugänglich bzw. einsehbar. Aus meiner Sicht ist dies ein Affront gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, die dadurch in ihrem Recht auf Meinungsbildung beschränkt werden. Es ist also längst überfällig, diese Situation zu korrigieren. Daher begrüße ich den Änderungsantrag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, durch den die Arbeit des Bundestages auch in den Ausschüssen endlich transparent werden soll. Warum ist das so wichtig?
Zweck der Öffentlichkeit
Transparenz ist in einer legitimen repräsentativen Demokratie unverzichtbar. Nur durch öffentliche parlamentarische Verhandlungen “können die Vertreter beanspruchen, für die Vertretenen zu handeln, nur so können sich die Vertretenen dessen versichern” (Martin Morlok, Kommentar zum GG Artikel 42)1.
Der im Grundgesetz entsprechend verankerte Grundsatz (“Der Bundestag verhandelt öffentlich”, Artikel 42 Absatz 1 Satz 1) wird durch die derzeitige Geschäftsordnung des Bundestages jedoch nur auf das Plenum bezogen. Die Ausschüsse hingegen tagen laut § 69 Absatz 1 Satz 1 der Geschäftsordnung “grundsätzlich nicht öffentlich”. Formal ist diese Entscheidung zunächst zwar durch die Geschäftsordnungsautonomie gesichert. Dennoch betrachten Staatsrechtler in Kommentaren zum Grundgesetz diese Auslegung als “zweifelhaft”2 oder gar “verfassungsrechtlich nicht haltbar”3. Für beide Kommentare ist dabei insbesondere die zunehmende Bedeutung der Ausschüsse für die parlamentarische Arbeit ausschlaggebend. Demnach widerspricht die Beschaffenheit des Deutschen Bundestages als Rede- und Arbeitsparlament einer Ausschussöffentlichkeit nicht, sondern macht diese im Gegenteil sogar notwendig: In den Ausschüssen werden laut Morlok “die Entscheidungen des Bundestages sachlich hergestellt, im Plenum in der Regel lediglich dargestellt”4. So käme “eine realitätsgerechte Verfassungsinterpretation dazu, das Öffentlichkeitsgebot auch auf die Ausschüsse zu erstrecken“5.
Doch auch unabhängig von normativen Überlegungen der Staatsrechtler sollte die Transparenz der Ausschussarbeit ein Anliegen der Abgeordneten sein. Als Repräsentanten eines Wahlkreises wurden sie basierend auf Wahlversprechen oder etwa aufgrund ihrer Werte, ihrer Expertise, ihrer Persönlichkeit gewählt. Dass sie ihre Versprechen einzuhalten versuchen bzw. nach ihrem besten Gewissen handeln, ist für die Abgeordneten selbstverständlich, für die Wählerinnen und Wähler jedoch nicht nachvollziehbar, solange die Arbeit ihrer parlamentarischen Vertreterinnen und Vertreter nicht transparent ist. Spekulationen und Misstrauen sind die Konsequenz.
Gleiches gilt für das demokratische System als Ganzes: Wie sollen die Bürgerinnen und Bürger anhand der abschließenden Redebeiträge erkennen, ob bei der Kompromissfindung in den Ausschüssen allen relevanten Perspektiven zumindest Gehör geschenkt wurde? Wie soll beispielsweise der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung im Falle einer Ablehnung des vorliegenden Änderungsantrags den Bürgerinnen und Bürgern glaubhaft machen, die Argumente der Befürworter trotz ihrer Unterrepräsentiertheit ausreichend berücksichtigt und diskutiert zu haben? Die Transparenz der Verhandlungen liegt schließlich im Interesse aller.
Erfahrungswerte
Im Europäischen Parlament sowie in zahlreichen nationalen Parlamenten in Europa ist Ausschussöffentlichkeit schon alltäglich. Das Europäische Parlament ebenfalls ein Arbeitsparlament macht die Ausschusssitzungen sowohl im Livestream als auch nachträglich als Video on Demand zugänglich. Auf nationaler Ebene bieten beispielsweise die niederländische und die rumänische Volksvertretung einen Livestream der Ausschusssitzungen an.
Darüber hinaus ist das Gebot der Ausschussöffentlichkeit unter anderem in Bulgarien, Kroatien, Slowenien oder Slowakei festgeschrieben. In Belgien hat die Öffnung der Ausschüsse der Abgeordnetenkammer 1990 offensichtlich so gute Erfahrungen gebracht, dass 2001 auch der Öffnung der Senatsausschüsse nichts mehr entgegenstand.
Doch auch in der Bundesrepublik etabliert sich die von Martin Morlok geforderte Auslegung der Öffentlichkeitsmaxime zunehmend: Auf Länderebene nahm Bayern in Sachen Ausschussöffentlichkeit bereits 1948 die Vorreiterrolle ein, Berlin folgte 1971. Beide Beispiele legten laut Achterberg und Schulte nahe, dass eine transparente parlamentarische Arbeit in den Ausschüssen und deren Effizienz einander nicht ausschließen6. Folgerichtig ist die Ausschussöffentlichkeit inzwischen in neun der sechzehn Bundesländer zum Grundprinzip avanciert. So setzte sich 2010 in Brandenburg beispielsweise die CDU zusammen mit der FDP und Bündnis 90/Die Grünen erfolgreich dafür ein, den Bürgerinnen und Bürgern des Landes durch die Offenlegung der “wesentlichen Entscheidungsprozesse der parlamentarischen Arbeit”7 die Möglichkeit zu geben, “ihr Recht auf umfassende Meinungsbildung besser auszuüben”8. In Niedersachsen wurde der Schritt 2013 gewagt. Damals teilte auch der Fürredner der SPD, Grant Hendrik Tonne, “die Einschätzung ganz ausdrücklich nicht, dass die Qualität der Beratungen in den Ausschüssen leiden werde"9. Zudem sei die Transparenz der Ausschusssitzungen “ein wichtiger Baustein [...], um verlorengegangenes Vertrauen wieder zu gewinnen und die zwischen den Abgeordneten und den Bürgerinnen und Bürgern entstandene Distanz zu verkürzen”10.
Auch der Bundestag sollte diese Chance nutzen und sich nicht hinter Bedenken verstecken, die sich an anderer Stelle bereits als unbegründet erwiesen haben.
Einschätzung des vorliegenden Antrags
Aus den oben angeführten Gründen unterstütze ich die grundsätzliche Öffentlichkeit aller Ausschusssitzungen. Dazu gehört selbstverständlich, wie es der Bundestag auch für die Plenardebatten praktiziert, die Übertragung ins Internet sowie die Bereitstellung der Aufzeichnungen (Video on Demand) und Protokolle auf der Internetpräsenz des Bundestages. Ausnahmen müssen klar definiert sein und Ausnahmen bleiben.
Der Änderungsantrag von Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen deckt diese Forderungen im Kern ab. Das trifft auf die grundsätzliche Öffentlichkeit (Punkt 1), den Livestream (Punkt 1a, b) sowie die Bereitstellung der Protokolle (Punkt 3d) zu. Lediglich die Forderung nach “Video on Demand” erfüllt der derzeitige Antrag noch nicht. Die Bereitstellung der Aufzeichnungen sollte ausdrücklich im § 73 der Geschäftsordnung verankert werden.
In jedem Fall ist der Änderungsantrag ein wichtiger Schritt, um sich den Bürgerinnen und Bürgern wieder anzunähern und ihr Vertrauen in die Politik zu fördern. Ergreifen Sie die Chance, die Bürgerinnen und Bürger über die Arbeit, die Sie in den Ausschüssen leisten, nicht weiter im Dunkeln zu lassen.
Gregor Hackmack*
Geschäftsführer abgeordnetenwatch.de
*mit Dank an das abgeordnetenwatch.de Team, insbesondere Simone Kopietz und Ivo Bantel
Fußnoten:
1 Morlok, Martin (2006): “Artikel 42 [Öffentlichkeit der Sitzungen; Mehrheitsprinzip]”, in: Horst Dreier (Hrsg.): Grundgesetz: Kommentar , Band II (Artikel 2082), 2. Auflage, Tübingen: Mohr Siebeck, S. 1073.
2 Achterberg, Norbert und Martin Schulte (2010): “Art. 42”, in: Christian Starck (Hrsg.): Kommentar zum Grundgesetz , Band 2 (Artikel 2082), 6. Auflage, München: Franz Vahlen, S. 1144.
3 Morlok 2006: S. 1080.
4 Ebd.: S. 1080.
5 Ebd.: S. 1080.
6 Achterberg und Schulte (2010): S. 1143; auch Morlok (2006: S. 1081) hebt hervor, dass in den Landtagen Bayerns und Berlins bisher keine Beeinträchtigungen der Arbeit durch die Ausschussöffentlichkeit bekannt geworden seien.
7 Landtag Brandenburg (21.10.2009): “Drucksache 5/19”, http://www.parldok.brandenburg.de/parladoku/w5/drs/ab_0001/19.pdf.
8 Ebd.
9 Niedersächsischer Landtag (18.06.2013): “Stenografischer Bericht: 9. Sitzung”, http://www.landtagniedersachsen.
de/parlamentsdokumente/steno/17_wp/2013/endber009.pdf, S. 712.
10 Ebd., S. 714.