Interessenkonflikt durch Nebentätigkeit: Vorsitzender des EU-Rechtsausschusses verdient mind. 120.000 Euro in Großkanzlei (Update)

Klaus-Heiner Lehne ist einer der einflussreichsten Politiker in Brüssel - und einer der umstrittensten. Kritiker halten den Vorsitzenden des EU-Rechtsausschusses für einen "schlimmen Lobbyisten", da er gleichzeitig einer internationalen Großkanzlei zu Diensten ist. Nach abgeordnetenwatch.de-Recherchen fädelte diese 2010 einen Deal für einen Plattenmulti ein, während Lehne im EU-Parlament über die Durchsetzung von Urheberrechten mit entschied. Nun hat das Europäische Parlament ein Dokument online gestellt, aus dem erstmals die Höhe seiner Nebeneinkünfte hervorgeht.

von Martin Reyher, 10.05.2012

Was ist hier die Neben-, was die Haupttätigkeit? Im Fall von Klaus-Heiner Lehne ist die Frage nicht eindeutig zu beantworten. Seit 1994 gehört Lehne dem EU-Parlament an, seit 2003 ist er außerdem Partner der international tätigen Wirtschaftskanzlei TaylorWessing. Was für andere Rechtsanwälte eine tagesfüllende Aufgabe, ist für den Abgeordneten Lehne eine Nebentätigkeit. So hat er es am 7. März gegenüber dem EU-Parlamentspräsidenten mitgeteilt, und so steht es seit kurzem auf der Website des Europäischen Parlaments. Lehnes Nebenberuf ist so gut bezahlt, dass die daraus resultierenden Einkünfte weit über dem Verdienst aus seiner Haupttätigkeit liegen – der des Europaabgeordneten. Laut "Erklärung der finanziellen Interessen", so heißt das Dokument, in dem die Europaabgeordneten Angaben über ihre Nebentätigkeiten und -einkünfte machen müssen, bezieht Lehne als Rechtsanwalt bei TaylorWessing Einkünfte der "Stufe 4". Wie im Bundestag müssen neuerdings auch die Mitglieder des Europäischen Parlaments ihre Nebenverdienste in einem Stufenmodell darlegen – von Stufe 1 (Einnahmen zwischen 500 und 1000 Euro pro Monat) gestaffelt bis Stufe 4 (Einkünfte über 10.000 Euro). Lehne verdient mit seiner anwaltlichen Tätigkeit pro Monat also über 10.000 Euro, als Mitglied des EU-Parlaments kommt er auf 7.956,87 Euro. Wie einträglich der Nebenjob tatsächlich ist, bleibt allerdings offen. Theoretisch könnten es einige zehntausend Euro pro Monat sein. Als Lehne 2003 bei TaylorWessing in Brüssel einstieg, ging es der Großkanzlei nach eigener Darstellung darum, "ein Frühwarnsystem für unsere Mandanten zu etablieren, um sie bereits im Vorfeld zu gesetzgeberischen Maßnahmen strategisch beraten zu können. Nach unserer Erfahrung haben Mandanten ein großes Interesse daran, dass die Auswirkungen gesetzgeberischen Handelns möglichst frühzeitig erkannt werden." Da lag es nahe, die Mandanten mit Insidern aus dem Europäischen Parlament zusammenzubringen. Neben dem Europaabgeordneten Klaus-Heiner Lehne wurde damals auch der Anwalt Andreas Max Haak für TaylorWessing tätig, bis dahin wissenschaftlicher Berater im EU-Parlament. Für TaylorWessing war Haak, der die Mandanten inzwischen von der Düsseldorfer Niederlassung aus betreut, ein prädestinierter Frühwarner. Im Fall des Abgeordneten Lehne trifft dies noch immer zu. Immer wieder gibt es Berührungspunkte zwischen der politischen Tätigkeit von Klaus-Heiner Lehne im EU-Parlament und den Geschäftsfeldern von TaylorWessing. Derzeit soll Lehne zum Beispiel maßgeblich an der Ausgestaltung eines Gesetzespaketes zum EU-Patentrecht beteiligt sein, laut Europäischem Parlament eines der "wichtigsten Themen" in diesem Jahr. Das Patentrecht gehört zu den Spezialgebieten von TaylorWessing. Vor einigen Jahren geriet der Vorsitzende des EU-Rechtsausschusses wegen seiner vermeintlich industrienahen Linie im Streit um die Patentierung von Software in die Schlagzeilen. Gegner der Softwarepatente warfen ihm 2005 Voreingenommenheit vor, da seine Kanzlei ausgerechnet den "gewerblichen Rechtsschutz" zu ihren Spezialgebieten zählt. Laut der britischen Transparenz-Organisation spinwatch.org soll u.a. der Software-Riese SAP zu den TaylorWessing-Kunden gehört haben. Die Frage von Eigentumsrechten zählt zu einem nicht unbedeutenden Geschäftsfeld von TaylorWessing. Auch für TaylorWessing-Anwalt Lehne ist das Thema - politisch gesehen - ein äußerst bedeutendes. Auf der Homepage des EU-Rechtsausschusses schreibt er in seiner Funktion als Ausschussvorsitzender:

Auch die Wettbewerbsfähigkeit liegt uns, hauptsächlich wegen der aktuellen Debatte über den Schutz der geistigen und gewerblichen Eigentumsrechte, sehr am Herzen.

Wenn es im EU-Parlament um Themen wie geistiges Eigentum oder ethische Fragen im Zusammenhang mit neuen Technologien geht, kommt dem von Klaus-Heiner Lehne geleiteten Rechtsausschuss eine wichtige Funktion zu. Aus seinen Reihen wird ein Berichterstatter ernannt, der die Position des Ausschusses zu einem Gesetzesvorhaben maßgeblich prägen kann. Die vom Berichterstatter ausgearbeitete Stellungnahme dient später bei der Schlussabstimmung im Europäischen Parlament als Entscheidungsgrundlage für die 754 Abgeordneten. Der sog. Gallo-Bericht ist so ein Beispiel: Als der Rechtsausschuss 2010 einen Bericht zur besseren "Durchsetzung von Urheberrechten" vorlegte, lasen Kritiker aus ihm einen "repressiven Ton" heraus. Nach Auffassung der französischen Europaabgeordneten Marielle Gallo, der zuständigen Berichterstatterin und Namensgeberin des umstrittenen Berichts, hätten Urheberrechtsverstöße im Internet "beunruhigende Ausmaße" angenommen und seien deshalb "eine echte Bedrohung nicht nur für die Gesundheit und Sicherheit der Verbraucher, sondern auch für unsere Wirtschaft [...]". "Bedrohung für die Wirtschaft" heißt in diesem Fall auch: Bedrohung für die Klienten von TaylorWessing. Denn die Großkanzlei vertritt - so heißt es auf ihrer Website - "renommierte Buch-, Zeitungs- und Musikverlage, Verbände, Verwertungsgesellschaften, Sender, Film- und TV-Produzenten, Werbeagenturen, Sportvermarkter, Technologieunternehmen und Anbieter von Games und New Media, ebenso wie […] Autoren, Künstler und Musiker." 2010 fädelte TaylorWessing beispielsweise für die Sony-Tochter Sony Music Entertainment, einem der weltweit größten Plattenlabel, die Gründung eines JointVentures mit einem Konzertveranstalter ein. Kurz nach der Vollzugsmeldung per Pressemitteilung vom 23. August 2010 wurde vom Europäischen Parlament der umstrittene Gallo-Bericht über die bessere "Durchsetzung von Urheberrechten" gebilligt - mit der Stimme von Klaus-Heiner Lehne.

 

Update 11.5.2012: netzpolitik.org macht gerade auf folgende Pointe aufmerksam, die aus dem Jahr 2007 stammt: Damals verletzte Klaus-Heiner Lehne auf seiner eigenen Homepage gegen das Urheberrecht, indem er einfach fremde Grafiken nutzte. Süffisanter Kommentar von netzpolitik.org: "Aufgrund des von ihm unterstützten Richtlinienentwurfes könnte er damit eine Gefängnisstrafe riskieren (- wäre er nicht immun)."

 

Das Problem ist nicht, dass ein Abgeordneter eine Pro- oder Contra-Position zu einer bestimmten Sachfrage einnimt, sondern die Gefahr der geschäftlichen Verquickung, die sich aus seiner Doppeltätigkeit ergibt. Wie hat man es sich vorzustellen, wenn ein TaylorWessing-Mandant in seinem Geschäftsfeld gesetzgeberischen Handlungsbedarf sieht? Wendet er sich dann an den Politiker Lehne, der während des Gesprächs ausblendet, dass er bei TaylorWessing als "Frühwarner" jährlich über 120.000 Euro verdient? Zugespitzt könnte man fragen: Treffen sich die Gesprächspartner in der Rue Wiertz, wo die Europabgeordneten ihr Büro haben, oder 500 Meter Luftlinie entfernt in der Rue du Trône 4, wo TaylorWessing sein Brüsseler Büro unterhält? Die Organisation Lobbycontrol jedenfalls ernannte Lehne 2008 zu einem der "schlimmsten EU-Lobbyisten" überhaupt. Zuletzt erbat dieser von der Europäischen Kommission Auskunft darüber, wann diese beabsichtige, einen Vorschlag für die "länderübergreifende kollektive Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten, die für legale Online-Musikdienste benötigt werden", vorzulegen. Aus Lehnes mündlicher Anfrage vom 31. Januar 2012 lässt sich herauslesen, dass ihm etwas mehr Tempo in dieser Angelegenheit nicht unrecht wäre. Das dürften einige Mandanten von TaylorWessing ähnlich sehen.

 

Update 11.5.2012: Als 2008 im Europäischen Parlament über eine Resolution zur Einführung eines verpflichtenden europäischen Transparenzregisters verhandelt wurde, war es Klaus-Heiner Lehne, der in eigenem Interesse kräftig auf die Bremse trat. LobbyControl berichtete:

Hoch problematisch ist allerdings, dass die Konservativen und Liberalen gemeinsam ein neues Schlupfloch für Rechtsanwälte geschaffen haben. Sie haben einen Änderungsantrag durchgesetzt, dass “Rechtsberatung” von Anwälten nicht in das Transparenzregister aufgenommen werden soll. Dieser Begriff ist weit dehnbar und es ist zu befürchten, dass damit viele Lobbytätigkeiten von Anwälten im Verborgenen bleiben. Anwaltskanzleien werben bereits damit, dass deshalb Lobbying durch Anwälte effektiver sei. Brisant ist, dass dieser Änderungsantrag von Abgeordneten eingebracht wurde, die selbst nebenberuflich als Anwälte arbeiten. So etwa Klaus-Heiner Lehne von der CDU, der als Anwalt für die Kanzlei Taylor Wessing arbeitet – und zwar zu Fragen des EU-Rechts. (...) Andere positive Änderungsanträge für einen ambitionierten Zeitplan, für stärkere Sanktionen und sofortige Verbesserungen der Regeln des Europaparlaments selbst als ersten Schritt wurden dagegen mit den Stimmen von Konservativen und Liberalen abgelehnt, ebenso Forderungen an die EU-Kommission für mehr Transparenz und Ausgewogenheit ihrer Beratungsgremien und Sonderberater.

 

Update 11.5.2012: Klaus-Heiner Lehne hat sich inzwischen in einer Antwort auf abgeordnetenwatch.de zu seiner Nebentätigkeit geäußert. Ein Bürger hatte gestern vor dem Hintergrund dieses Blogartikels gefragt:

Was sagen Sie zu den Ermittlungen von Abgeordnetenwatch, nach denen Sie neben Ihrem EU-Mandat 120 000 € als Partner einer Anwaltskanzlei verdienen? Ich gehe davon aus, dass man für 120 000 € eine ganze Menge arbeiten muss - jedenfalls müsste jeder Ottonormalbürger das tun. Und hat, wer eine ganze Menge als Anwalt arbeitet es nicht schwer, sein Abgeordnetenmandat auszufüllen? Das soll doch auch eine ganze Menge Arbeit mit sich bringen. Was halten Sie unter diesen Umständen von einem entsprechend angepassten Verhaltenskodex für EU-Parlamentarier?

Lehnes Antwort:

Vielen Dank für Ihre Frage. Am 1. Januar 2012 ist ein neuer Verhaltenskodex für die Mitglieder des Europäischen Parlaments in Kraft getreten. Gem. Art. 4 des Kodex muss jeder Abgeordnete eine Erklärung zu seinen finanziellen Interessen abgeben. Aufgrund einer Übergangsfrist von 90 Tagen war die Erklärung bis spätestens zum 30. März auszufüllen. Die finanzielle Erklärung eines jeden Abgeordneten wird auf der website des Europäischen Parlaments veröffentlicht und ist für jeden frei zugänglich. Abgeordnete müssen auch während ihres Mandats die Möglichkeit haben, ihren Zivilberuf auszuüben. Die dort gesammelten Erfahrungen kommen letztlich gerade auch der politischen Tätigkeit zugute. So wie ein Landwirt im Agrarausschuss und ein Künstler im Kulturausschuss muss auch ein Anwalt im Rechtsausschuss diese Möglichkeit haben. Meine finanzielle Erklärung können Sie unter folgendem link abrufen: http://www.europarl.europa.eu/meps/de/2224/Klaus-Heiner_LEHNE.html Der Kodex ist abrufbar unter: http://www.europarl.europa.eu/pdf/meps/Code_of_conduct_DE.pdf.

 

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