Mitten in unsere Freitagskonferenz platzte kürzlich ein Anruf aus Saarbrücken. Die wenig frohe Kunde: Der stellvertretende Landtagspräsident des Saarlands, Karl-Josef Jochem (FDP), zieht seine bereits zugesagte Schirmherrschaft vorerst zurück. Denn diese war mit einem Mal zum Politikum geworden. Bei einer Präsidiumssitzung im Saarländischen Landtag, die am darauffolgenden Montag stattfinden sollte, würde das Thema zur Sprache kommen. Bis dahin wollte der stellvertretende Landtagspräsident abwarten.
Jochem hatten wir als Schirmherren gewinnen können, nachdem Landtagspräsident Hans Ley (CDU, im Bild rechts neben dem früheren Ministerpräsidenten Peter Müller) abgelehnt hatte. Ein Schirmherr, so ist es üblich, verfasst ein Grußwort und nimmt an einer Pressekonferenz zum Onlinestart teil. So war es zuletzt in Schleswig-Holstein mit Landtagspräsident Torsten Geerdts (CDU) oder in Mecklenburg-Vorpommern mit Parlamentspräsidentin Sylvia Bretschneider (SPD), und so war es auch im Saarland geplant. Doch dort kam besagte Präsidiumssitzung am 27. Februar dazwischen. Als Karl-Josef Jochem darin auf seine Schirmherrschaft zu sprechen kam, wurde ihm von Landtagspräsident Ley unmissverständlich klar gemacht, dass eine Unterstützung von abgeordnetenwatch nicht erwünscht sei. Dies berichten auf Nachfrage übereinstimmend mehrere Teilnehmer der Sitzung. Der Landtagspräsident und seine 1. Stellvertreterin Isolde Ries (SPD) hätten vereinbart, die Schirmherrschaft abzulehnen. Die Stimmung während der Sitzung wird von den befragten Teilnehmern als äußerst angespannt beschrieben, das Verhalten des Landtagspräsidenten gegenüber seinem Stellvertreter Jochem als unangemessen. Dass sich ein Landtagspräsident gegen die Übernahme einer Schirmherrschaft entscheidet, ist selbstverständlich sein gutes Recht. Dass hier aber offenbar Druck ausgeübt wurde auf jenen, der sich dafür entscheidet, ist vollkommen inakzeptabel. Eine Anfrage von abgeordnetenwatch.de an ihn ließ Parlamentspräsident Ley durch den Direktor des Saarländischen Landtags beantworten. Dessen Darstellung, wonach Ley die Entscheidung seines Stellvertreters Karl-Josef Jochem zur Absage der Schirmherrschaft lediglich
zur Kenntnis genommen habe, deckt sich nicht mit den Angaben von Teilnehmern der Sitzung. Diese schilderten den Ablauf vielmehr so, dass dem stellvertretenden Landtagspräsidenten Jochem unmissverständlich mitgeteilt wurde, dass die Schirmherrschaft nicht erwünscht sei. Um so erstaunlicher ist deswegen die Aussage des Landtagsdirektors, dass jeder Vizepräsident frei darüber entscheiden könne, ob er eine Schirmherrschaft übernehme. Im Saarland gilt dies offenbar nicht. Um das Verhältnis innerhalb des Präsidiums nicht zu belasten, zog Jochem die Schirmherrschaft schließlich zurück, wie er auf Nachfrage von abgeordnetenwatch.de mitteilte. Im Folgenden dokumentieren wir das Grußwort, das der stellvertretende Landtagspräsident Karl-Josef Jochem bereits verfasst hatte, das aber nach dem Rückzug der Schirmherrschaft hinfällig wurde:
Demokratie bedeutet für mich eine lebendige Auseinandersetzung von parlamentarischen Repräsentanten mit Bürgern. Besonders stark setzen sich Wähler vor dem Gang zur Urne mit parteipolitischen Inhalten und Kandidaten auseinander. Am 25. März sind die Saarländer aufgerufen ihren Kandidaten zu unterstützen. Für viele gehört das Internet als Informationsquelle und Kommunikationsweg zum alltäglichen Leben. Abgeordnetenwatch.de nutzt dieses Medium, um Politik für Bürgerinnen und Bürger transparenter zu gestalten und sie für eine interaktive Demokratie zu begeistern. Durch eine virtuelle Plattform wird der Kontakt zwischen Wählern und Abgeordneten vereinfacht und stärkt viele darin sich aktiv mit Politik auseinanderzusetzen. Ich ermuntere alle Saarländer dazu, im bevorstehenden Wahlkampf in einen Dialog mit den Kandidaten zur Landtagswahl zu treten. Nutzen Sie die Möglichkeiten sich über abgeordnetenwatch.de, auf dem Marktplatz oder in persönlichen Gesprächen über Parteiziele und Politikinhalte zu informieren. Unsere Demokratie lebt von der aktiven Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger.
Update 10:45h: Per Fax und Mail hat der Landtagsdirektor des Saarlands, Dr. Christof Zeyer, unserer Darstellung soeben widersprochen. Seiner Bitte, seine Korrespondenz mit abgeordnetenwatch.de hier im Blog öffentlich zu machen, kommen wir gerne nach. Wir ergänzen diese durch unsere Mail an Landtagspräsident Hans Ley vom vergangenen Dienstag, in der wir ihn um Stellungnahme baten. Beantwortet wurde diese Anfrage von Landtagsdirektor Dr. Zeyer am gestrigen Donnerstag. Darauf folgte unsere Antwort, die wir ebenso wie das heutige Schreiben von Dr. Zeyer nachfolgend dokumentieren: Mail von abgeordnetenwatch.de an Landtagspräsident Hans Ley:
-------- Original-Nachricht -------- Datum: Tue, 20 Mar 2012 17:23:58 +0100 Sehr geehrter Herr Ley, in Ihrer Funktion als Landtagspräsident des Saarlandes bitten wir Sie um Stellungnahme zum Ablauf der Präsidiumssitzung am 27.02.2012. Aus verschiedenen Quellen haben wir erfahren, dass Sie in der besagten Präsidiumssitzung veranlasst haben, dass der 2. Vize-Landtagspräsident Karl-Josef Jochem von seiner geplanten Schirmherrschaft für abgeordnetenwatch.de absieht. Als Begründung hätten Sie gesagt, dass man sich bereits mit der 1. Vize-Landtagspräsidentin Frau Isolde Ries (SPD) darauf verständigt hätte, innerhalb des Präsidiums von einer Schirmherrschaft abzusehen. Grund sei, dass die Internetplattform abgeordnetenwatch.de Kandidaten und Abgeordnete aggressiv angehen würde und im Falle nicht-beantworteter Fragen die jeweiligen Kandidaten bloßstelle. Außerdem haben wir erfahren, dass Sie in Ihrer Funktion als Vorsitzender die Mitarbeiter der Kreisgeschäftsstelle St. Wendel veranlasst haben, die Herausgabe von datenschutzrechtlich-unbedenklichen Kandidateninformationen, welche abgeordnetenwatch.de zur Erstellung der Grundprofile und späteren Zustellung von Wähleranfragen benötigt, zu verweigern. Da wir darüber in unserem Blog auf abgeordnetenwatch.de berichten möchten, wäre es nett, wenn Sie zum Ablauf der Präsidiumssitzung und zu den oben aufgeführten Aussagen bis Donnerstag, den 22.03.2012, bis 15:00 Uhr Stellung nehmen würden. Außerdem bitten wir Sie, genau darzulegen, welche schlechten Erfahrungen Sie mit abgeordnetenwatch.de in der Vergangenheit gemacht haben. Mit freundlichen Grüßen Frederik Röse
Mail von Landtagsdirektor Dr. Christof Zeyer:
-------- Original-Nachricht -------- Datum: Thu, 22 Mar 2012 12:00:03 +0100 Sehr geehrter Herr Röse, vielen Dank für Ihre E-Mail an Herrn Landtagspräsidenten Hans Ley vom Dienstagabend, dem 20. März 2012. Herr Landtagspräsident Hans Ley hat mich beauftragt, Ihnen zu antworten: Wie Ihnen mitgeteilt wurde, hat Landtagspräsident Hans Ley die Übernahme einer Schirmherrschaft für das privat betriebene Internetportal abgelehnt. Es ist die freie Entscheidung eines jeden Landtagspräsidenten, eine Schirmherrschaft zu übernehmen. So haben beispielsweise der Präsident des Deutschen Bundestages, Prof. Dr. Norbert Lammert, alle Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages und andere Landtagspräsidenten nicht die Schirmherrschaft übernommen (so z.B. auch bei den vergangenen Landtagswahlen in Baden-Württemberg, in Nordrhein-Westfalen, in Hessen sowie in Bayern). Darüber hinaus obliegt es jeder Vizepräsidentin und jedem Vizepräsidenten selbst, frei darüber zu entscheiden, inwiefern sie oder er eine solche Schirmherrschaft übernimmt. Landtagspräsident Hans Ley hat von den Entscheidungen der beiden Vizepräsidenten des Landtages des Saarlandes Kenntnis genommen, eine Schirmherrschaft ebenfalls nicht zu übernehmen. Des Weiteren sind alle Abgeordneten und alle Kandidaten frei, darüber zu entscheiden, inwieweit sie www.abgeordnetenwatch.de nutzen. Hans Ley ist als Landtagspräsident nicht Dienstvorgesetzter und nicht weisungsbefugt gegenüber frei gewählten Abgeordneten und eigenverantwortlichen Kandidaten für den Landtag. Diese nehmen Ihr Angebot auch ganz unterschiedlich wahr; die Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer und die Spitzenkandidaten der im Landtag vertretenen Parteien nutzen Ihr Angebot zum Beispiel sehr rege. Ich habe zur Kenntnis genommen, dass Sie Auskunft zu Sachverhalten erbitten, die Sie vermeintlich von mehreren Quellen aus einer Sitzung des Erweiterten Präsidiums erfahren haben wollen. Im Sinne des geordneten Parlamentsablaufs sind solche Sitzungen und ihre Beratungen nicht öffentlich; das bedeutet, dass auch der Inhalt nicht an die Öffentlichkeit weiterzugeben ist. Auf diese Vertraulichkeit legen alle Fraktionen wert. Deshalb bitte ich Sie – auch im Sinne des von Ihnen vertretenen Gebotes der Transparenz – mir mitzuteilen, vom wem Ihre Informationen stammen. Herrn Landtagspräsidenten liegt die Transparenz politischer Meinungsbildung und die politische Willensbildung insbesondere junger Wähler besonders am Herzen. So startete Hans Ley am Donnerstag, dem 8. März 2012, den „Wahl-o-mat“ im Saarland. Dieses Angebot der Bundes- und Landeszentrale für politische Bildung, des Landesjugendrings, der Arbeitskammer des Saarlandes haben bereits etwa 120.000 Saarländerinnen und Saarländern genutzt. Auch unterstützte der Präsident das Projekt „Jugendwahl“, das leider aus terminlichen Engpässen nicht mehr vor der Landtagswahl am 25. März durchgeführt werden konnte. Die Verantwortlichen der „Jugendwahl“ bedankten sich auch ausdrücklich für diese Unterstützung durch Herrn Landtagspräsidenten Hans Ley. Ich darf Sie darauf hinweisen, dass ich meine Direktorenkollegen in den Parlamenten in der Bundesrepublik Deutschland über Ihre E-Mail und meine Antwort hierauf in Kenntnis setzen werde. Mit freundlichen Grüßen Dr. Christof Zeyer Direktor beim Landtag des Saarlandes
Mail von abgeordnetenwatch.de an Landtagsdirektor Dr. Christof Zeyer:
-------- Original-Nachricht -------- Datum: Thu, 22 Mar 2012 16:58:04 +0100 Sehr geehrter Herr Dr. Zeyer, vielen Dank für Ihre E-mail, die wir zur Kenntnis genommen haben. Wir berufen uns bei unseren Gesprächspartnern auf den Quellenschutz und sind sicher, dass Sie dafür Verständnis haben. Es geht uns in unserem Beitrag nicht darum, Herrn Ley oder sonstige Personen bloßzustellen. Wir möchten lediglich über die Umstände berichten, die zum Rückzug der Schirmherrschaft Herrn Jochems führten. Selbstverständlich stimmen wir mit Ihnen darin überein, dass jeder Landtagspräsident über die Annahme einer Schirmherrschaft selbst entscheiden kann. Mit freundlichen Grüßen Frederik Röse
Fax und Mail von Landtagsdirektor Dr. Christof Zeyer von heute, 10:23 Uhr (nach Erscheinen des oben stehenden Blogartikels):
Sehr geehrter Herr Röse, mit Befremden habe ich Ihre Darstellung der Gründe für den Rückzug von Vizepräsident Jochem aus der Schirmherrschaft für Abgeordnetenwatch zur Kenntnis genommen. Da ich Ihnen die Umstände, soweit es die Vertraulichkeit der Sitzung des Erweiterten Präsidiums zulässt geschildert habe, gehe ich davon aus, dass Sie bewusst eine falsche und verzerrende Art der Darstellung gewählt haben. Dies entspricht weder den hehren Grundsätzen von Abgeordnetenwatch noch den Grundsätzen sorgfältiger und seriöser Berichterstattung. Ich fordere Sie daher auf, diese Darstellung von Ihrer Internetseite zu entfernen. Sollten Sie hierzu nicht bereit sein, fordere ich Sie auf, meine Reaktion auf Ihre Anfrage im Wortlaut auf Ihrer Internetseite widerzugeben, d.h. den Text dieser Mail und denjenigen der Mail vom 22. März 2012 in Ihrem Blog aufzunehmen. Auf diese Weise könnten Sie dem Eindruck der unseriösen, tendenziösen Berichterstattung entgegenwirken. Dass Sie, wenn auch falsch, aus vertraulichen Beratungen berichten, steht für sich und bedarf keiner weiteren Kommentierung. Wie ich Ihnen bereits mitgeteilt habe, unterrichte ich auch die Direktoren der Parlamente der Bundesrepublik Deutschland über Ihre Vorgehensweise. Mit freundlichen Grüßen Dr. Christof Zeyer
abgeordnetenwatch.de bleibt bei seiner Darstellung. Vielmehr verwundert uns, dass Herr Dr. Zeyer in seinen Schreiben auf ein eindeutiges Dementi ("Herr Jochem wurde in der Präsidiumssitzung von niemandem gedrängt,...") verzichtet und nur ganz pauschal von einer "falschen Darstellung" durch abgeordnetenwatch.de spricht.
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Foto: EPei / Wikipedia / CC BY-SA 3.0