Wenn das Volk seinen Abgeordneten in den Kalender schauen will - ein Versuch

von Martin Reyher, 21.04.2011

Wie reagieren unsere Volksvertreter eigentlich, wenn ihnen das Volk in den Terminkalender schauen möchte? Wir haben es einmal ausprobiert und vergangene Woche fünf Bundestagsabgeordneten pro Partei eine Mail mit folgendem Inhalt geschickt:

Sehr geehrter Herr xxx / Sehr geehrte Frau xxx, gerne möchte ich Sie für ein Dokumentationsprojekt unter dem Titel "Mittwoch, 30. März 2011" gewinnen. In unserem Blog möchte ich darstellen, mit welchen Terminen Bundestagsabgeordnete diesen - beliebig gewählten - Tag verbracht haben. Die Idee ist, für diesen Tag die Terminkalendereinträge von Bundestagsabgeordneten zu sammeln und sie unkommentiert in den Blog einzustellen. Ich würde mich freuen, wenn Sie mir für diese Aktion ihre Dienstkalendereinträge vom 30. März 2011 zukommen lassen würden, sei es - als digitales Foto (ein abfotografierter Kalendereintrag wäre natürlich die schönste Form), - als Scan, - als Fax. (Bitte nicht als Textmail, da ich die Originaleinträge als zeitgeschichtliches Dokument veröffentlichen möchte). Neben Ihnen habe ich aus jeder Fraktion fünf MdBs angeschrieben, als Tag habe ich bewusst einen Termin außerhalb der Berliner Sitzungswoche gewählt, so dass hoffentlich deutlich wird, mit welchen vielfältigen Aufgaben Abgeordnete außerhalb der üblichen Gremiensitzung beschäftigt sind. Gleichzeitig soll dies auch eine Transparenzaktion sein und Bürgerinnen und Bürgern das Signal aussenden: Als Mitglied des Bundestags stehe ich in Ihren Diensten und möchte Ihnen einen Einblick geben, wie mein Tag als Ihr Volksvertreter aussieht. Über Ihre Teilnahme an der Aktion und die Zusendung Ihres Kalendereintrags bis Freitagnachmittag, 15.4.2011, würde ich mich freuen. Für Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung. Beste Grüße aus Hamburg

Die 30 von uns angemailten Abgeordneten dürfen als durchaus jung und internetaffin gelten, was zumindest eine gewisse Offenheit für eine solche Aktion versprach. Insgesamt 15 Volksvertreter haben sich innerhalb einer Woche zurückgemeldet, wovon acht - in der Regel mit Bedauern - mitteilten, dass sie an der Aktion nicht teilnehmen würden. Einige Begründungen waren nachvollziehbar, etwa die Geburt eines Kindes wenige Tage vor dem ausgewählten Termin 30. März, weswegen der Terminkalender an jenem Tag verständlicherweise leer war. Eine andere Abgeordnete verbrachte den gesamten Tag mit "Fotoaufnahmen für Broschüren, Internet, Autogrammkarten" und schlug ein anderes Datum vor, an dem sie sich gerne beteiligen würde. Mehrere Volksvertreter verwiesen darauf, dass sich bei ihnen der 30. März nicht eignen würde für das Projekt, ohne dies näher zu erläutern. Ein weiterer Parlamentarier begründete seine Absage u.a. damit, dass aus dem Kalenderausschnitt eines einzelnen Tages nicht hervorgehe, ob er bspw. Bürgerfragen auf abgeordnetenwatch.de beantworte oder sich eine Meinung zu wichtigen Themen wie aktuell der Präimplantationsdiagnostik bilde. Ein anderer Abgeordneter ließ durch einen Mitarbeiter ausrichten, dass seine Termine bereits jetzt öffentlich auf seiner Webseite einsehbar seien. Insgesamt sieben der 30 Bundestagsabgeordneten gewährten einen Einblick in ihren Dienstkalender (SPD 3, CDU 2, Grüne 1, Linke 1):

 

(Zur Großansicht bitte auf die Grafik klicken.)

 

Marco Bülow, Wahlkreis Dortmund I, SPD

 

Katja Dörner, Wahlkreis Bonn, Grüne
Eva Högl, Wahlkreis Berlin-Mitte, SPD

 

Roderich Kiesewetter, Wahlkreis Aalen-Heidenheim, CDU

 

Lars Klingbeil, Wahlkreis Rotenburg I - Soltau - Fallingbostel, SPD

 

Jan Korte, Wahlkreis Anhalt, Die Linke

 

Nadine Schön, Wahlkreis Sankt Wendel, CDU

 

Was bleibt: Mehrere Abgeordnete empfanden den von uns ausgewählten 30. März als ungeeignet für die Dokumentation ihres Kalenders, weil sie an diesem Tag nur wenige Termine hatten, in einem Fall etwa die Rückreise von Berlin in den Wahlkreis. Wahrscheinlich war damit die Sorge verbunden, den Bürgern keine relevanten Termine bieten zu können und damit das Bild des faulen Politikers weiter zu zementieren. Doch das führt zur kritischen Frage an uns selbst: Gestehen wir Bürger es einer Abgeordneten zu, dass sie am 30. März nur einen einzigen Eintrag in ihrem Kalender hat - und zwar ein Fotoshooting für Pressebilder, Internetauftritt, Autogrammkarten?

 

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