Frage an Wolfgang Dreßen von Birgitt F. bezüglich Bildung und Erziehung
Sehr geehrter Hr. Dr. Dreßen!
1. Wie ist Ihre Position zu den Förderschulen, Kompetenzzentren und zu dem gemeinsamen Unterricht behinderter Kinder an allgemeinbildenden Schulen? Ich möchte den Fokus auf die Kinder lenken, die eine geistige Beeinträchtigung / Behinderung haben, wie z.B. bei der Lernbehinderung.
Das z.B. reine körperliche behinderte Kinder, die im Rollstuhl sitzen müssen, aber dem Unterricht kognitiv folgen können nicht unbedingt in eine Förderschule müssen, stelle ich außer Frage!
2. Wie kann man jedes Kind tatsächlich adäquat und optimal fördern, wenn die Klassen im GU nicht kleiner werden können, da lieber Schulen geschlossen oder zusammengelegt werden anstatt darauf zu achten, dass die Rahmenbedingungen wirklich im GU besser werden? Stecken da Finanzprobleme hinter?
3. Bisher hat man, wenn Förderschulpädagogen an die allg. Schulen versetzt wurden, Lehrer/innen im allg. Unterricht abgezogen, damit der Schüler-Lehrer-Schlüssel gleich blieb und damit es nicht zu teuer wurde. Wird sich das ändern?
4. Förderschullehrer/innen sollen gezwungen werden, vielseitig zu arbeiten.
Das kann keine optimale und adäquate Förderung des Kindes sein, wenn es keine Spezialisierungen auf max. zwei Förderbedarfe und der jeweilige Unterrichtsschwerpunkte mehr geben soll. Worauf soll ein Pädagoge sich noch konzentrieren ohne auszubrennen und andauernd überfordert zu sein?
5. Wie soll flächendeckend der GU umgesetzt werden, wenn an den Förderschulen der Unterricht nicht ausfallen darf, obwohl von da aus die Fach-Pädagogen zu den allg. Schulen geschickt werden sollen?
6. Können nicht vielmehr auch nur die "Grenzfälle" wirklich sinnvoll im GU unterrichtet werden?
7. Wo sollen die stärker behinderten Kinder hin, wenn auch deren Eltern sich nicht um diese richtig kümmern (soziale Vernachlässigung)?
8. Warum werden Kinder mit Förderbedarf zur Förderschule mit einem Fahrdienst gebracht, zum GU aber nicht? Die Behinderung ist doch die selbe beim selben Kind!
DANKE!
Sehr geehrte Frau Ferrier,
zunächst bitte ich um Entschuldigung, dass ich Ihre Fragen erst jetzt beantworte. Leider hatte sie micht nicht erreicht, warum auch immer.
Ich möchte nicht von "Behinderungen" sprechen. Das setzt bereits einen Normalitätsdiskurs voraus, den ich ablehne: Es gibt Menschen mit verschiedenen Eigenschaften, Fähigkeiten. Daraus folgt bereits die Notwendigkeit eines gemeinsamen und nicht aussondernden Unterrichts.
Dieser Unterricht hat sich nicht nach den Erfordernissen eines Arbeitsmarktes auszurichten, sondern an der Entwicklung der Kinder, entsprechend ihren Bedürfnissen. Und: Auch die Kinder müssen lernen, verschiedene Fähigkeiten anzuerkennen.
Das heißt: Die Größe der Klassen, ihre Ausstattung, die Anzahl der LehrerInnen, ihre Ausbildung, der Lehrplan hat sich ebenfalls der Bedürfnissen der unterschiedlichen Kinder anzupassen.
Das heißt selbstverständlich auch, dass Fahrdienste bereits gestellt werden müssen, wenn dies für die Kinder notwendig ist.
Eltern: Auch die Eltern unterliegen einem Normalitätsdiskurs, oft auch gegen ihre eigenen Kinder: Die Eltern sollten einem gemeinsamen Unterricht nicht aus der Ferne zuschauen, sondern müssten möglichst in diesen Erfahrungsaustausch, das ist Unterricht, einbezogen werden.
Die Umsetzung dieser Vorstellungen kostet Geld, das aber durchaus vorhanden ist: In einer Gesellschaft, die verschiedene Menschen anerkennt, fördert und unterstützt, in einer Gesellschaft, die danach ihre Prioritäten setzt.
Ich hoffe, ich konnte Ihre Fragen wenigstens annähernd beantworten und würde mich über einen weiteren Briefaustausch freuen.
Prof. Dr. Wolfgang Dreßen