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Thomas Barth
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Frage von Urs Anton L. •

Frage an Thomas Barth von Urs Anton L. bezüglich Menschenrechte

Direkte Demokratie Menschenrecht auf Abstimmungen
Sind Sie für die Einführung der Direkten Demokratie nach dem Vorbild der Schweiz?
Dies umfasst
- Das obligatorische Referendum für alle Verfassungsänderungen
- Das fakultative Referendum bei allen Gesetzesänderungen
- Das Initiativrecht für Verfassungsänderungen
Wären Sie bereit sich in Direkter Demokratie ausbilden zu lassen von ausgewiesenen Experten mit den grössten praktischen Erfahrungen auf der Welt?

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Antwort von
CDU

Sehr geehrte Damen und Herren,

anbei erhalten Sie meine Antwort auf die Frage von Herrn Urs Anton Löpfe wie folgt:

Bürgerinnen und Bürger im Sinne von Jean-Jacques Rousseau über wichtige Fragen selbst entscheiden zu lassen, ist eine ebenso attraktive wie populäre Idee. Doch so verlockend Referenden und Volksentscheide klingen mögen, halte ich direktdemokratische Verfahren in einer parlamentarischen Demokratie für nicht sinnvoll. Zum einen steht der deutsche Föderalismus einer Einführung der Volksgesetzgebung auf Bundesebene entgegen. Zum anderen ist die repräsentative Demokratie die Demokratie unseres Grundgesetzes. Nach Artikel 20 geht alle Staatsgewalt vom Volk, das politische Entscheidungen den von ihm gewählten Vertretern überlässt – und das ist auch gut so. Warum?

1. Direkte Volksvoten können kontraproduktiv sein, wenn die Initiatoren sie zu eigenen Zwecken instrumentalisieren.
Bsp. Ungarn: Die Regierung Orban legte den Ungarn die Suggestivfrage vor, ob Europa ihnen die Ansiedlung fremder Menschen aufzwingen solle.
Bsp. England: Der frühere Premier Cameron setzte den Briten ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens an, um die Europa-Gegner bei den Tories kleinzuhalten.

Das spricht natürlich nicht generell gegen Volksentscheide und Referenden. Die Bürgerinnen und Bürger unmittelbar in politische Entscheidungsprozesse miteinzubinden und über diese mitentscheiden zu lassen, kann eine Demokratie beleben, wenn die Bürgerinnen und Bürger gut informiert sind und Vor- und Nachteile einer Entscheidung klar abschätzen können. Direkte Demokratie wird aber problematisch, wenn es an fairen Bedingungen fehlt und die Gefahr der Manipulation der Öffentlichkeit besteht. Im Falle der Abstimmung über den Brexit waren die Bürger Großbritanniens schlecht informiert bzw. wurden bewusst mit Halb- und Unwahrheiten gefüttert.

2. Referenden eignen sich nicht dafür, komplexe Fragen zu entscheiden
In einer Zeit gefühlter Wahrheiten halte ich Referenden mit ihrer Verkürzung komplexer Sachfragen auf Ja oder Nein für problematisch, weil sie sich nicht dafür eignen, komplexe Fragen zu entscheiden. In der repräsentativen Demokratie setzen wir auf die Arbeit von Abgeordneten, die sich oft über Jahre systematisch mit äußerst komplexen, zukunftswichtigen Themen (z.B. Sicherheit, Steuern, Währungspolitik, Klimaschutz, Europapolitik) beschäftigen. Oft müssen schwierige Kompromisse gefunden werden, die bei einer Ja- oder Nein-Entscheidung nicht vorgesehen sind. Solch ein Votum kennt nur Sieger und Verlierer. Deshalb sollten nicht kurzfristige Stimmungen, Emotionen und Individualinteressen, sondern Sachkompetenz, langfristiges Denken und der Blick auf das große Ganze das Abstimmungsverhalten bestimmen.

Denn es geht darum, die Folgen, über das, was abgestimmt wird, besser einschätzen können. Parlamente bieten dafür einen festen institutionellen Rahmen für gesamtgesellschaftliche Willensbildungsprozesse.

3. Direkte Demokratie heißt nicht, dass alle Bürger mitbestimmen
Bei direktdemokratischen Verfahren entscheidet nicht zwingend die Mehrheit, sondern gut organisierte kleine Gruppierungen, die ihre Anhänger besser mobilisieren können. Problematisch ist, dass dadurch eine Minderheit einen viel größeren Einfluss erlangt, als sie über parlamentarische Wahlen je erreichen würde. So besteht die Gefahr, dass vor allem Populisten, sogenannte Wutbürger und „Wir-sind-das-Volk-Rufer“ Volksbegehren und –entscheide vorantreiben; dann würden die extremen Lösungen gewinnen. Die Gründerväter der Bundesrepublik Deutschland haben aus gutem Grund die Lehren aus der Weimarer Republik gezogen und sich gegen einen Ausbau der plebiszitären Elemente ausgesprochen.

4. Frage der Verantwortlichkeit
Das Verführerische an Volksentscheidungen ist, dass man A sagen darf ohne über das B – die Folgen – nachzudenken (vgl. Brexit). Das wirft automatisch die Frage nach der Verantwortlichkeit auf. Für das Volk, das eine verfehlte Entscheidung trifft, gibt es keine Rechenschaftspflicht, für die politischen Entscheidungsträger schon, die der Wähler für deren verfehlte Politik abwählen kann.

5. Frage der Polarisierung
Mit Referenden und Volksentscheiden, etwa durch ihre radikale Trennung von Befürwortern und Gegnern, geht eine Polarisierung einher, die dazu beiträgt, gesellschaftliche Gräben zu vertiefen.

6. Zu viel direkte Demokratie kann die repräsentative Demokratie an ihre Grenzen bringen
Ich sehe durchaus die Gefahr, dass Bürgerentscheide auf kommunalpolitischer Ebene in Konkurrenz zur Arbeit der Gemeindeparlamente und deren Beschlussfassungen treten können, was die Bereitschaft, ein ehrenamtliches politisches Mandat zu übernehmen, auf Dauer erschweren kann.

Fazit: Angesichts all dieser Punkte bin ich ein Verfechter der parlamentarischen Demokratie. Sie reduziert komplizierte Sachfragen nicht auf ein Ja-Nein-Schema und bietet Populisten weniger Raum. Sie ist, wie der vormalige Bundespräsident Joachim Gauck zu Recht resümierte, „auf Bundesebene […] die beste Antwort auf die komplizierten Probleme unserer Zeit“.

Mit freundlichen Grüßen

Thomas Barth, MdL

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