Frage an Stephan Eisel von Martin E. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Eisel,
mit gemischten Gefuehlen betrachte ich die aktuelle Diskussion im Zusammenhang mit der Sperrung von Internetseiten mit kinderpornographischen Inhalten. Um keine Missverstaendnisse aufkommen zu lassen: der Kampf gegen Kinderpornographie muss mit der groesstmoeglichen Anstrengung gefuehrt werden, aber:
1. die hoechste Prioritaet muss bei der Taeterverfolgung und dem Opferschutz liegen; dass die Verbreitung kinderpornographischen Materials auf "virtuellem Weg" zunaechst Straftaten schlimmsten Ausmasses im realen Leben voraussetzt, geht m.E. in der aktuellen Diskussion unter.
2. demokratische Grundrechte duerfen nicht unterwandert werden.
Vor diesem Hintergrund halte ich die von Bundesfamilienministerin von der Leyen angestrebte Sperrung und Filterung von Internetangeboten und die dafuer notwendige Aenderung des Telemediengesetzes fuer Aktionismus mit gefaehrlichen Nebenwirkungen fuer die demokratischen Grundrechte und Informationsfreiheit. Ungeheuerlich finde ich den Vorschlag einer freiwilligen Selbstverpflichtung der Internetprovider auf heise.de (vgl. http://www.heise.de/newsticker/CCC-veroeffentlicht-Vertragsentwurf-zum-Sperren-von-Kinderpornographie--/meldung/132515 ). Ich zitiere daraus: "CCC-Sprecher Andy Müller-Maguhn bezeichnete die Vereinbarung als einen Versuch von Ministerien, eine "freiwillige" Vorzensur ohne gesetzliche Grundlage zu schaffen...". Dieser Formulierung moechte ich mich anschliessen. Zu alledem kommt die Unzulaenglichkeit der technische Umsetzung solcher Sperren auch nach Expertenansicht.
Wie beurteilen Sie diesen Sachverhalt und wie stehen Sie allgemein zu Entwicklungen bzgl. der Ueberwachung und Sperrung von Internetangeboten?
Mit freundlichen Gruessen,
Martin Engel
Sehr geehrter Herr Engel,
haben Sie vielen Dank für Ihre Frage zu Zugangssperren für Internetseiten mit kinderpornographischen Inhalten.
Zunächst einmal möchte ich festhalten, dass Kinderpornographie im Internet stark zunimmt und immer brutaler wird. Das Bundeskriminalamt stellte bei dem Vertrieb von Bildern und Videos mit kinderpornographischen Inhalten von 2006 auf 2007 eine Zunahme von 111 Prozent fest. Zudem hat die britische Internet Watch Foundation Zahlen veröffentlicht, nach denen 43 Prozent der dargestellten Opfer jünger als sechs Jahre und zehn Prozent sogar jünger als zwei Jahre waren.
Das sind schreckliche Tatsachen, denen wir gesellschaftlich wie politisch begegnen müssen. Daher begrüße ich die Initiative der Bundesfamilienministerin, den Zugang zu kinderpornographischen Internetseiten – rechtsstaatlich abgesichert – zu erschweren. Dazu müssen nun alle rechtlichen und praktischen Bedenken in einer breiten Debatte mit der Internetwirtschaft, den Strafverfolgungsbehörden und den zuständigen Fachpolitikern erörtert werden.
Meines Erachtens müssen Sperrungen allerdings Bestandteil einer Gesamtstrategie gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern und seiner Darstellung im Internet sein. Die Ermittlung der Täter und der Opferschutz sollen dadurch nicht ersetzt, sondern wirksam ergänzt werden. Dass das System auch technisch funktionieren kann, zeigen die jahrelangen Erfahrungen anderer Länder wie Großbritannien, Italien, der Schweiz, Neuseeland, Norwegen und Schweden. So können allein in Schweden täglich bis zu 50.000 Zugriffe auf Seiten mit kinderpornographischen Inhalten blockiert werden.
In Deutschland haben wir viele Jahre auf freiwillige Maßnahmen der Internetwirtschaft gesetzt. Aber andere Länder zeigen, dass noch mehr getan werden kann. In einem ersten Schritt haben sich nach meinem Kenntnisstand die Bundesregierung und die Internetwirtschaft jetzt darauf verständigt, bis Ende Februar gemeinsame Ergebnisse zu präsentieren.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Stephan Eisel