Frage an Simon Hiller von Gerrit G. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrte Frau Hiller,
im Laufe der Bewertung der politischen Thesen stiess ich bei der Frage "Sollten mehr Lehrer eingestellt werden?" auf Ihre folgende Antwort:
"Das allein reicht aber nicht. Die "Schule der Zukunft" braucht ebenso Psychologen,Sozialarbeiter und Sonderpädagogen. Ausserdem müssen die Lehrer besser auf die künftigen Aufgaben vorbereitet werden. Das bedeutet z.B.: auch vermehrt soziale Kompetenzen vermitteln und Förderbedarfe erkennen."
Ich kann mich einer gewissen Irritation nicht erwehren, denn die von Ihnen genannten Berufsgruppen weisen allesamt auf ein pathologisches Profil hin. Ein Psychologe ist bei psychischen Anormalien berufen, Sonderpädagogen betreuen vornehmlich verhaltensauffällige Kinder und Sozialarbeiter gleichen die fehlende Alltagskompetenz auf allen nur erdenklichen Ebenen aus. Es klingt, als gingen Sie von einer nationalen Misere aus. (?)
Die Vermittlung sozialer Kompetenzen ist bislang dem direkten Umfeld des Menschen, der Familie, Freunden und Bekannten, auferlegt. Was bewegt Sie zu dem Wunsch, dies zentral organisieren zu lassen?
Und worin bestehen die von Ihnen vermuteten "künftigen Aufgaben" der Lehrer?
Sehr geehrter Herr Gerdes,
zuallererst darf ich Sie darauf hinweisen, dass mein Vorname Simon und männlich ist.
Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie diese Fragen stellen, denn wie ich beim erneuten Lesen meines Beitrages feststellen muss, sind Ihre Irritationen durchaus nachvollziehbar.
Ich entschuldige mich für dieses teils missverständliche Erscheinungsbild und freue mich Ihnen meine Absichten im Folgenden erklären zu dürfen.
1) Von einer nationalen Misere kann glücklicherweise nicht die Rede sein, allerdings dürfen wir keinesfalls die Realität aus dem Blick verlieren. Die Realität ist, dass Deutschland im internationalen Vergleich relativ geringe Bildungsausgaben tätigt, dass Bildung in Deutschland in einem hohen Grad vom sozialen Status (der Eltern) abhängt und Realität ist auch die Ratifizierung der UN-Konvention zu den Rechten von Menschen mit Behinderung. Damit haben wir uns verpflichtet auch Kindern mit Behinderung ein Recht auf Teilhabe in Regelkindergärten und -schulen einzuräumen (Inklusion).
Um Inklusion angemessen umsetzen zu können bedarf es eines Systemwechels, bei dem das Kind und dessen individuelle Förderung in den Mittelpunkt gestellt wird. Hierfür ist es wichtig, dass verschiedene Professionen an den Schulen vertreten sind. So sind Sonderpädagogen und Sonderpädagoginnen wichtig um Kinder mit speziellem Förderbedarf zu unterstützen, damit diese nicht zurückfallen, aber gleichzeitig auch die Kinder, die gut vorankommen nicht aufgehalten werden.
(Schul-)Psychologinnen und (Schul-)Psychologen sowie Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter bilden einen Grundstein für unsere Zielsetzung in der Bildung. Wir wollen die Schule nicht als ein Ort wissen, an dem nur Qualifikationen für den Beruf gesammelt werden, sondern verstehen Bildung ganzheitlich, sodass kreatives, kritisches Denken, Demokratie und Persönlichkeitsentwicklung auch in den Blick genommen werden müssen. Verschiedene Professionen können auch - immer häufiger auftretende - Phänomene, wie Schulangst und Leistungsdruck bekämpfen und eine wichtige Anlaufstelle bzw. Vertrauensperson für die Schüler sein. Wichtig ist mir aber auch klarzustellen, dass die PsychologInnen nicht nur für die Schüler eingesetzt werden. Nach unserer Vorstellung besteht ein enger Kontakt zwischen Lehrkräften und SchulpsychologInnen um Einschätzungen auszutauschen, Problemsituationen zu besprechen und Druck bzw. Überforderung zu vermeiden.
Mit unseren Vorschlägen wollen wir Investitionen dort erbringen, wo sie nachhaltig wirken, wie etwa in Bildung. Wir wollen dadurch die Chancengerechtigkeit verbessern und individuelle Förderung gewährleistet wissen.
Ich hoffe es wird nun etwas klarer, dass es keineswegs darum geht, Kinder als Problemfälle zu sehen und zu behandeln, sondern darum, dass wir die Schule und auch die SchülerInnen mit veränderten Problemen konfrontiert sehen, für die neue Lösungen gefunden werden müssen. Ich glaube, dass es der richtige Weg ist, wenn wir daran arbeiten in unseren Schulen für ein angemessenes Lernklima zu sorgen und nicht durch immer mehr Druck und Stress die Kinder zu überfordern.
2) Sollten meine Ausführungen zu diesem Punkt Zweifel aufkommen lassen, tut es mir sehr leid, denn ich hege keinesfalls den Wunsch die sozialen Kompetenzen von den Schulen aufoktroyieren zu lassen.
Aber auch hier darf die Realität nicht außer Acht gelassen werden, denn in unserer digitalen Welt wird beispielsweise das Spielen mit Gleichaltrigen zunehmend durch Internetpräsenz ersetzt (dies ist ausdrücklich nicht als Generalisierung, sondern als ein Hinweis gedacht.). Deshalb finde ich es wichtig, dass Eltern diesen Herausforderungen nicht alleine gegenüberstehen, sondern durch die Schulen unterstützt werden. Hiermit soll keinsefalls die Kompetenz der Eltern in Frage gestellt werden, allerdings gibt es durchaus Fälle von überforderten Eltern, deren Kinder enorm profitieren, wenn sie in der Schule auch Unterstützung von etwa Sozialarbeitern erhalten und nicht nur "Stoff pauken". Die Idee ist also nicht, den Eltern diese Aufgabe zu entziehen, sondern die Kinder bei Bedarf zusätzlich zu unterstützen und ihnen neben den Unterrichtsfächern auch durch Nachmittagsangebote und freie Zeit die Möglichkeit zu geben sich selber zu entwickeln und Erfahrungen zu sammlen.
3) Die künftigen Aufgaben der Lehrkräfte, die durch unsere Vorstellungen in den Mittelpunkt rücken, sind verschiedener Gestalt.
Wie oben angesprochen, dürfen die Lehrkräfte mit dem erhöhten Förderbedarf einiger Kinder nicht allein gelassen werden, sondern schon in der Ausbildung Kompetenzen erwerben und durch Zusammenarbeit mit den anderen Professionen diese ausbauen und reflektieren. Aber auch für die Aufgaben des Ganztags müssen neue Aspekte beachtet werden, denn dabei geht es nicht allein um Wissenstransfer, sondern beispielsweise auch um den Umgang mit Kindern, die eine Behinderung haben. Unser Ziel einer individuelleren Förderung muss ebenfalls Rechnung getragen werden, indem die LehrerInnen verschiedenartige Lehrmethoden kennen lernen und auch einsetzen. Weitere Aspekte sind etwa gesunde Ernährung oder Sportangebote. Nicht zuletzt müssen wir der großen Zahl von Kindern mit Migrationsgeschichte gerecht werden. Hierzu bedarf es vermehrt interkulturelle Kompetenzen zu schaffen und auch Menschen mit Migrationsgeschichte zu einer Lehramtsausbildung zu ermutigen.
Ich hoffe ich konnte Ihre Irritaionen etwas entwirren und Ihnen weiterhelfen.
Sollte dies nicht der Fall sein, fragen Sie gerne einfach weiter nach, ich bin für jede Frage dankbar, die Interesse zeigt und sich kritisch mit Politik auseinandersetzt.
Mit den besten Grüßen
Simon Hiller