Frage an Rüdiger Kruse von Helena P. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Kruse,
Korruption ist in seinen Ausmaßen das größte einzelne Handelshemmnis im internationalen Handel. Nach Schätzung der EU-Kommission aus dem Jahr 2011 verursacht Korruption Kosten von geschätzten 120 Mrd Euro jährlich. Dies ist gleich hoch wie die maximal erhofften wirtschaftlichen Vorteile aus dem TTIP-Abkommen mit den USA in zehn Jahren! Neue Schätzungen der OECD, der Weltbank und des IWF beziffern die Schäden noch weitaus höher.
In ihrer Funktion als EU-Kommissarin für Inneres schrieb Cecilia Malmström am 6. Juni 2011in ihrer Mitteilung an den EU-Rat und an das EU-Parlament:
„Wie die politischen Skandale der Vergangenheit gezeigt haben, werden oftmals komplexe Verbindungen zwischen einflussreichen politischen Akteuren, privaten Unternehmen, Medien und/oder Handelsverbänden und Stiftungen geknüpft. Hauptmotiv dieser Verbindungen sind die Vorteile, die den Beteiligten durch die Einflussnahme auf wichtige politische und wirtschaftliche Entscheidungen entstehen. Dadurch entsteht jedoch eine Gefährdung der demokratischen Institutionen und Verfahren, und die Aufdeckung korrupter Praktiken wird noch schwieriger.“
Das seit 5 Jahren verhandelte CETA-Abkommen enthält jedoch keinerlei Vorkehrungen gegen das größte Handelshemmnis (eine kleine Ausnahme bei den Investor-Staat-Schiedsgerichten), obwohl es die langfristige Basis für die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Kanada bilden soll und in Kanada ansässige Töchter ausländischer Unternehmen auf Basis dieses Abkommens agieren werden. Die Kommission plant Antikorruptiosmaßnahmen erst ab TTIP.
Halten Sie es für sinnvoll, das Handelsabkommen CETA in seiner jetzigen Form ohne effektive Antikorruptionsvorkehrungen in Kraft zu setzen, sogar „vorläufig“ bevor es durch die Parlamente ratifiziert worden ist?
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrte Frau Peltonen-Gassmann,
vielen Dank für Ihre Frage bei abgeordnetenwatch zu dem geplanten Freihandelsabkommen „Comprehensive Economic and Trade Agreement“ (CETA) zwischen der Europäischen Union und Kanada.
Bei CETA handelt es sich nicht um ein Antikorruptionsabkommen, sondern um ein Wirtschafts- und Handelsabkommen. Mit dem Abkommen werden vor allem in den Bereichen eines verbesserten Marktzugangs für Industriegüter, Agrarprodukte und Dienstleistungen sowie im Bereich des öffentlichen Auftragswesens Handelshemmnisse abgebaut. Dadurch sollen ökonomische Impulse in den wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der EU und Kanada freigesetzt werden. Mit CETA werden über 99 Prozent der Zölle zwischen den beiden Volkswirtschaften abgebaut. Das schafft neue Absatzmöglichkeiten von Waren und Dienstleistungen auf beiden Seiten des Atlantiks. Nach Schätzungen der EU-Kommission wird das bilaterale Handelsvolumen bei Waren und Dienstleistungen infolge der Umsetzung des Abkommens EU-weit um rund 23 Prozent steigen. Europäische Unternehmen würden infolge des Zollabbaus jährlich rund 470 Millionen Euro einsparen. Die EU-Kommission erwartet, dass sich durch CETA das Bruttoinlandsprodukt der Europäischen Union um ca. 12 Milliarden Euro pro Jahr erhöhen wird.
Kanada ist, ebenso wie Deutschland, kein von Korruption geplagtes Land. Alljährlich veröffentlicht die Nichtregierungsorganisation Transparency International einen „Corruption Perceptions Index“. Untersucht werden alljährlich 167 Staaten. Bei der Auflistung ist Platz eins das Land mit der geringsten, Platz 167 das Land mit der höchsten Korruption. Im Jahr 2015 rangierte Kanada auf Platz neun dieses Indexes und ist damit eines der Länder mit der wenigsten Korruption. Korruption spielt in den Handelsbeziehungen der EU mit Kanada eine untergeordnete Rolle. Bevor wir uns bei Handelsabkommen auf Antikorruptionsmaßnahmen konzentrieren, sollten wir für mehr Rechtsstaatlichkeit innerhalb der Europäischen Union arbeiten. Auf der einen Seite haben wir in der EU eine Gruppe von Staaten, in denen Bestechung kein Alltagsproblem darstellt. Deutschland, welches in dem genannten Index auf Platz zehn steht, zählt dazu. Ebenso wie z. B. Dänemark, Finnland, Schweden und die Niederlande, die zu den fünf Staaten mit der geringsten Korruption weltweit gehören (die komplette Übersicht zu dem „Corruption Perceptions Index“ finden Sie unter dem folgenden Link von Transparency International Deutschland e.V.:
https://www.transparency.de/Tabellarisches-Ranking.2754.0.html ).
Auf der anderen Seite haben einige, vor allem süd- und südosteuropäische Mitgliedsstaaten der EU, relativ große Probleme mit Korruption. Hier besteht Handlungsbedarf. Wir wollen die Korruption bekämpfen und sie in der gesamten EU auf ein möglichst geringes Niveau bringen. Deutschland kann mit anderen korruptionsschwachen Staaten als Vorbild dienen und auf schärfere Regeln drängen. Korruption ist ein Verbrechen und ein Problem für jede Gesellschaft. Das machen die von Ihnen genannten Zahlen deutlich, auch wenn diese weltweit gelten und damit über die EU hinausgehen. Korruption geht stets zu Lasten der Allgemeinheit. Deshalb müssen wir sie bekämpfen. Dabei sollten wir uns primär auf den Wirtschaftsraum der EU konzentrieren.
Zu der von Ihnen angesprochenen „Vorläufigkeit“ von CETA noch einige Worte: Die EU-Kommission hat dem Europäischen Rat am 5. Juli vorgeschlagen, CETA als ein „gemischtes Abkommen“ abzuschließen. Dies bedeutet, dass Teile des CETA-Abkommens unter die Zuständigkeit der EU-Mitgliedsstaaten fallen. In diesem Fall müssen auch die nationalen Parlamente dem Abkommen zustimmen. Neben Kanada und der Europäischen Union werden damit auch die EU-Mitgliedsstaaten Vertragsparteien sein. Eine Unterzeichnung des Abkommens durch die Mitgliedstaaten wird im Rahmen des EU-Kanada-Gipfels Ende Oktober 2016 angestrebt. Anschließend folgt die Befassung des Europäischen Parlaments, die Anfang 2017 zu erwarten ist. Das Europäische Parlament muss dem Abkommen zustimmen. Nach Zustimmung des Europäischen Parlaments folgt der Ratifikationsprozess in den 28 EU-Mitgliedstaaten nach Maßgabe der jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften, d. h. in Deutschland durch Zustimmung von Bundestag und Bundesrat. Erfahrungsgemäß dauert es ungefähr zwei bis vier Jahre bis alle Mitgliedstaaten ein solches Abkommen ratifiziert haben.
Da CETA voraussichtlich als gemischtes Abkommen behandelt wird, können die Teile, die in alleiniger Zuständigkeit der EU liegen, vorläufig angewendet werden. Diese nach Artikel 218, Absatz 5 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) bestehende Möglichkeit sieht vor, dass die Mitgliedsstaaten im EU-Rat über eine vorläufige Anwendung all jener Regelungsbereiche, die unbestritten in alleiniger EU-Zuständigkeit liegen, entscheiden können. Die vorläufige Anwendung würde es ermöglichen, dass Unternehmen innerhalb der EU so schnell wie möglich von den neuen CETA-Regelungen profitieren. Welche Teile von CETA die vorläufige Anwendung konkret umfasst, wird durch die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten geprüft und danach – genau wie die Unterzeichnung – im Ratsbeschluss festgelegt. Nach aktueller Auffassung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) sind beispielsweise die Vorschriften über Investitionsschutz und Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren von der vorläufigen Anwendung auszunehmen. Eine vorläufige Anwendung kann erst nach Zustimmung des Europäischen Parlaments eintreten. Dies ist zwar nicht im AEUV vorgeschrieben, entspricht aber ständiger Praxis und verschafft dem Abkommen eine demokratische Legitimation auf EU-Ebene. Die vorläufige Anwendung könnte in der ersten Jahreshälfte 2017 wirksam werden. Die Teile des CETA-Vertrages, die nicht von der vorläufigen Anwendung umfasst sind, können erst nach der Ratifizierung durch alle Mitgliedsstaaten der EU in Kraft treten.
Beste Grüße
Rüdiger Kruse