Frage an Rüdiger Kruse von Helena P. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Kruse,
wie mittlerweile bekannt, sind die potentiellen ökonomischen Vorteile aus TTIP und CETA sehr viel geringer und ungewisser als ursprünglich von der EU-Kommission und von den frühen Studien behauptet. Der Abbau der nicht-tarifären Handelshemmnisse bedeutet vor allem, dass Kosten durch den Abbau von Personal erzielt werden, weil Produktions- und/oder Kontrollmaßnahmen, die selbstverständlich Kosten verursachen, verschwinden. Es ist außerdem eine gewagte Unterstellung, dass die Unternehmen die Kostensenkungen als Preissenkung an die Verbraucher weitergeben würden. Der Kostensenkung steht also immer ein Verlust von Arbeitsplätzen und von Kaufkraft der Bevölkerung entgegen. In keinem der weitgehend gesättigten Märkte wird wegen TTIP oder CETA mehr verkauft oder konsumiert. Wohl werden aber schwächere Marktteilnehmer hüben wie drüben durch die stärkeren vom Markt verdrängt.
Angesichts
- der schwachen bis nicht vorhandenen Vorteile, die TTIP & CETA vorzuweisen haben, und wissend dass
- die Verhandlungen über die Köpfe der 800+ Millionen Bürger geheim stattfinden, deren Alltag in so vielen Bereiche direkt betroffen sein wird
- die Wirtschaftslobby bereits früh und zahlenmäßig übermäßig und unkontrolliert Einfluss nehmen konnte
- die Parlamente geschwächt werden, indem ihnen nur nach Abschluss der Verhandlungen nur ein JA oder NEIN zum Gesamtpaket gewährt wird
- die Demokratie geschwächt wird, wenn Parlamente Beschlüsse eines demokratisch nicht legitimierten Regulierungsrates in EU-Richtlinien oder nationale Gesetze umsetzen müssen
- die Abkommen keinerlei Maßnahmen zur Korruptionsprävention vorsehen, obwohl die EU-Kommission nach einschlägigen Skandalen um diese Gefahr weiß
- die gravierenden Schwächen der ISDS-Verfahren keineswegs beseitigt worden sind
- fast 1 Million Deutsche diese Abkommen nicht will,
halten Sie es für vertretbar, als Vertreter des ganzen Volkes im Namen des Volkes für diese Abkommen zu stimmen?
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrte Frau Peltonen,
vielen Dank für Ihre Frage bei abgeordnetenwatch zu den beiden Freihandelsabkommen Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) und Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA).
CETA, das Wirtschafts- und Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada, ist bereits fertig verhandelt und befindet sich im Ratifizierungsprozess. Über TTIP laufen derzeit die Beratungen zwischen der EU und den USA. Aus diesem Grund betone ich in dieser Frage stets, dass es richtig ist, wenn sich Öffentlichkeit und Politik Gedanken über TTIP machen. Einzelne Punkte müssen wir ausführlich und sachlich hart diskutieren. Klar muss aber auch sein: Wir haben noch kein fertig formuliertes Regelwerk vorliegen. Über viele Sachfragen des Abkommens besteht noch keine Einigung. Daher können Sie von mir zu diesem Zeitpunkt nur einige grundlegende Anmerkungen zu Ihren Fragen erhalten.
In meinen Augen bietet ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA viele Chancen. Die wirtschaftlichen Vorteile, die von dem Abschluss eines Abkommens mit den USA ausgehen würden, sind enorm. Gerade für die deutsche Wirtschaft, die stark export-orientiert ist, wird es zu Impulsen kommen. Das führt zwangsläufig zu einem erhöhten Bedarf an Arbeitskräften deutscher Firmen. Für Europa gehen Studien von bis zu 1,3 Millionen neuer Jobs aus. Für Deutschland von bis zu 200.000 neuen Stellen. Studien können stets nur Prognosen liefern. Klar ist aber, dass die Wirtschaft und damit konkret die Menschen in unserem Land, in Europa und Amerika profitieren. Dass von einer wachsenden Wirtschaft auch die Bevölkerung Vorteile hat, ist eine volkswirtschaftliche Grundregel. Entsprechend halte ich den möglichen Nutzen nicht für schwach, sondern für stark ausgeprägt.
Die Verhandlungen sind nicht geheim. Die EU-Kommission veröffentlicht einen Großteil der TTIP-Dokumente. Unter dem folgenden Link können Sie sogar die Verhandlungstexte der EU nachlesen:
http://trade.ec.europa.eu/doclib/press/index.cfm?id=1252&langId=de
Daneben werden die Namen und die Funktionen der beteiligten Akteure und die Ergebnisse einzelner Verhandlungsrunden regelmäßig publiziert. Der Beteiligungsprozess ist, entsprechend der Möglichkeit des Verfahrens, breit angelegt. Von Ende März bis Juli 2014 führte die EU-Kommission eine öffentliche Konsultation zu Investitionsschutz und Investor-Staat-Schiedsverfahren durch. Im Rahmen der Konsultationen wurden ca. 150.000 Antworten von Bürgern, Unternehmen und interessierten Gruppen ausgewertet und veröffentlicht. An dem laufenden Prozess sind auch Gewerkschaften und Umweltverbände beteiligt.
Am 04. Mai 2015 hat der Bundesminister für Wirtschaft und Energie ein Gutachten von Professor Dr. Markus Krajewski bezüglich der ISDS-Verfahren vorgestellt. Darin wird unter anderem vorgeschlagen, statt der Schiedsgerichte einen bilateralen Investitionsgerichtshof einzurichten. In diesem sollen ständige Richter sitzen und ihre Urteile bei möglichen Verfahren fällen. Die Richter sollen zu 1/3 von der EU und deren Mitgliedsstaaten benannt werden, zu 1/3 von den USA. Das letzte Drittel soll einvernehmlich zwischen der EU und den USA eingesetzt werden. Investoren haben demnach keinen Einfluss auf die Zusammensetzung des Gerichtes. Die Verfahren sollen öffentlich sein, alle Verhandlungsdokumente sind ebenfalls zu veröffentlichen. Das Gutachten wurde der EU-Kommission durch das Bundeswirtschaftsministerium zugesendet und soll nun Berücksichtigung in den Verhandlungen finden. Deutschland muss in diesem Punkt die übrigen EU-Staaten und die Kommission überzeugen, den Entwurf als Verhandlungsbasis mit den USA zu nutzen. Das komplette Gutachten können Sie hier abrufen: http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/M-O/modell-investitionsschutzvertrag-mit-investor-staat-schiedsverfahren-gutachten,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf
Den präsentierten Vorschlag halte ich für positiv. Er geht auf die Bedenken ein, die viele Bürger im Bereich der Schiedsverfahren haben. Schiedsgerichtsverfahren beugen vor allem der Gefahr vor, dass ein Land einen Investor durch eine Verstaatlichung enteignen kann oder Gesetze erlässt, die seine Investition wertlos machen. Dies ist in den Beziehungen zwischen der EU und den USA ohnehin relativ unwahrscheinlich.
Ein weiterer Aspekt, der für den Abschluss eines Abkommens mit den USA spricht, ist die normative Komponente. Wir teilen mit den USA viele freiheitliche Grundwerte und unser demokratisches System. Mit dem Abschluss eines Freihandelsabkommens können Europa und die USA ihre Partnerschaft weiter vertiefen. Dies wäre ein positives Zeichen gegen gewisse Widrigkeiten, denen unser Bündnis aktuell ausgesetzt ist. Zudem würde TTIP die Attraktivität des freiheitlichen marktwirtschaftlich-demokratischen Modells stärken. Gerade in einer Zeit, in der autoritäre Systeme wie Russland oder die Volksrepublik China ihren globalen Einfluss ausbauen, müssen wir unseren gemeinsamen Grundwert – die Freiheit des einzelnen Menschen – stärker vertreten.
Liegt das fertige TTIP-Abkommen vor, werden wir es prüfen. Halten wir es für zustimmungswürdig, werden wir zustimmen. Halten wir es für unvereinbar mit unseren Werten, Normen und Standards, werden wir es ablehnen.
Beste Grüße
Rüdiger Kruse