Frage an Rüdiger Kruse von Wiebke H. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Kruse,
um am 22/September die für mich richtige Entscheidung treffen zu können, würde ich gern von Ihnen wissen, wie Sie zu dem unseligen deutschen Kammerwesen stehen.
Jeder, der in Deutschland ein Gewerbe anmeldet, wird automatisch und ohne gefragt zu werden, Mitglied – besser gesagt Zwangsmitglied - einer Kammer. Die allermeisten dieser Zwangsmitglieder haben nicht den geringsten Nutzen von dieser Mitgliedschaft. Im Gegenteil, sie werden dazu verdonnert, teils horrende Beiträge zu zahlen, für die sie keinerlei Gegenwert erhalten. Und wenn sie dann tatsächlich einmal den Versuch unternehmen, Unterstützung von der jeweiligen Kammer zu erhalten, hält diese als erstes wieder die Hand auf und gewährt Hilfe ggf. nur gegen Bares. Das ist unverschämt! Außerdem erdreisten sich die Mitarbeiter – insbesondere die sog. höheren Chargen – permanent sich zu allen möglichen Themen, die sie in der Regel gar nichts angehen, in der Öffentlichkeit zu äußern und behaupten dann auch noch, "die Wirtschaft/das Handwerk usw." des jeweiligen Bundeslandes zu vertreten, was ganz sicher nicht zutrifft! Das drücken allein die Beteiligungszahlen bei den sog. Kammerwahlen aus.
Die Betreuung von Auszubildenden gehört, genau wie die allgemeine Schulbildung, in die Hand des Staates. Dafür bräuchte man also schon mal keine Kammern. Im- und Exportfirmen z.B., die Hilfe bei irgendwelchen Formalien brauchen, können sich diese auch woanders als bei den Handelskammern holen. (Dort müssen sie dafür auch extra zahlen.) Also braucht es auch dafür keine Anstalt öffentlichen Rechts mit Zwangsmitgliedern. Und wer meint, dass er unbedingt so etwas wie einen Berufsverband braucht, kann sich ja gern mit Gleichgesinnten zusammenschließen und einen entsprechenden Verein gründen, dem dann jeder der mag, freiwillig beitreten kann. Die Kammern jedenfalls halte ich für so unnötig wie einen Kropf!
Sind Sie bereit, sich in der nächsten Legislaturperiode dafür einzusetzen, dass das Kammerwesen abgeschafft wird?
Mit freundlichem Gruß
Wiebke Hildener
Sehr geehrte Frau Hildener,
vielen Dank für Ihre Frage bei abgeordnetenwatch zum Kammerwesen.
Ich schätze es sehr, dass sie Ihre Entscheidung bei der Bundestagswahl sorgfältig vorbereiten und sich im Vorfeld mit inhaltlichen Themen auseinandersetzen.
Von meinem Naturell her bin ich Pflichtmitgliedschaften gegenüber skeptisch eingestellt, weil ich alles, was man freiwillig tut, höher bewerte und Zwang immer kritisch sehe. In der Abwägung komme ich aber bei den Kammern zu der Überzeugung, dass die Pflichtmitgliedschaft beibehalten werden soll. Folgende Gründe sprechen dafür:
• Die Pflichtmitgliedschaft hat sich in letzten Jahrzenten bewährt, da ansonsten die Aufgaben der Selbstverwaltung durch die unmittelbare Staatsverwaltung ausgeführt werden müssten. Die Selbstverwaltung der Wirtschaft ist auch näher an den Mitgliedsunternehmen, als es eine Behörde sein könnte.
• Die IHKs bringen in die Bauleit- und Infrastrukturplanung das spezifische Interesse der gewerblichen Wirtschaft ein. Keine andere Institution – wie z.B. Verkehrsausschüsse bei den Kommunen und Landkreisen, TÜV, DEKRA – nimmt diese spezifischen Interessen wahr.
• Zwar gab es in letzter Zeit auch berechtigte Kritik an der Kammerorganisation. Auf viele Argumente der Kritiker hat der Deutsche Industrie- und Handelskammertag sowie die IHKs konstruktiv reagiert. Beispiele sind: Erhöhung der Transparenz; Benchmarking; Qualitätskontrolle; Prüfung, ob IHK-Dienstleistungen nicht auch von Privaten erbracht werden können; bei der Mehrzahl der IHKs, teilweise erhebliche, Beitragssenkungen.
• Das Bundesverfassungsgericht hat zu der Pflichtmitgliedschaft in der IHK ausgeführt, dass sie keine erhebliche Einschränkung der unternehmerischen Handlungsfreiheit darstellt, sondern dass sie vielmehr eine freiheitssichernde und legitimatorische Funktion hat. Außerdem haben auch andere Mitgliedsstaaten der EU, wie zum Beispiel Frankreich, die Niederlande, Italien und Österreich, die Mitgliedschaft in der IHK als Pflichtmitgliedschaft ausgestattet.
• Die Kammern vertreten die Positionen ihrer Mitglieder, zum Beispiel gegenüber der Politik und den Medien. Es können durchaus auch Mehrheitspositionen vertreten werden, die den Interessen einzelner Mitglieder konträr entgegenstehen. Entscheidend ist nur, dass diese Positionen in einem verfassten Verfahren erarbeitet werden. Ein solches verfasstes Verfahren ist aber nur deshalb möglich, weil es Pflichtmitgliedschaft gibt. Denn gäbe es diese nicht, könnten einzelne finanzstarke Mitglieder, allein durch die Drohung des Austritts, die von der IHK vertretenen Positionen in ihrem Sinne beeinflussen.
Anhand der aufgeführten Argumente sowie aufgrund anderer, von den Kammern übernommener Aufgaben bin ich der Meinung, dass das Kammerwesen mit der Pflichtmitgliedschaft sinnvoll ist.
Ich hoffe, Ihnen mit diesen Informationen gedient zu haben und verbleibe mit besten Grüßen
Beste Grüße
Rüdiger Kruse