Frage an Roy Kühne von Lisa M. bezüglich Gesundheit
Im Zusammenhang mit dem Verbot von sog. Konversionstherapien betr. „Gender-Identität“?
1) Welche Unterstützung gibt es für Eltern, die vermuten, dass die Transidentifikation ihrer Kinder mit psychischen Erkrankungen oder Belastungen in Zusammenhang steht (ROGD)? Wo können sie kompetente Beratung bekommen? Derzeit werden sie zu Transgender-Selbsthilfegruppen verwiesen, dort sind aber keine Kenntnisse über Depressionen oder Angststörungen, undiagnostizierte AD(H)S- oder Autismussprektrum-Störungen vorhanden. (dies gilt im übrigen auch für die auf "Gender" spezialisierten psychotherapeutischen Praxen)
2) Wer erstellt für Deutschland zusammenfassenden Statistiken zur Prävalenz und zu den Behandlungen von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen (inklusive Sex Ratio): Wieviele Menschen sind mit der Diagnose F 64.0 (gesichert und Verdacht) in Behandlung bei Kliniken, psychiatrischen und psychotherapeutischen Praxen, Gyn, Endo und Chirurgie? Wie hat sich die Häufigkeit der Diagnose gegenüber F 66.0 und anderen Diagnosen (z.B. Essstörungen, Körperdysmorphismus) verschoben?
3) Gibt es eine Bilanzierung der Kosten für die medikamentöse und chirurgischen Behandlung: Pubertätsblocker, gegengeschlechtliche Hormone, Chirurgische Eingriffe bei den Krankenkassen/in der Gesundheitsberichterstattung?
4) Erfasst die Gesundheitsberichterstattung Detransitioner, insb. FtMtF? Nach der Entfernung von Gebärmutter und Eierstöcken ist eine lebenslange Behandlung mit Östrogenen nötig. Gibt es Studien zur Langzeit-Verträglichkeit?
5) Wie werden Regretter und Detransitioner in den Spezialambulanzen behandelt? Gibt es Leitlinien? Gibt es Patientenfürsprecher für diese Zielgruppe? Wie ist die rechtliche Vertretung für diese Menschen geregelt, wenn sie ihre ehemaligen Behandler verklagen wollen?
Sehr geehrte Frau Müller,
vielen Dank für Ihre Anfrage.
Anbei meine Antworten auf Ihre Fragen:
1) Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages schreibt in seinem Bericht „Störungen der Geschlechtsidentität und Geschlechtsdysphorie bei Kindern und Jugendlichen“ (2019):
"Einigkeit besteht bei den Vertretern der verschiedenen medizinischen Fachrichtungen darüber, dass eine gute langfristige psychologische und psychiatrische Betreuung der Betroffenen unabdingbar ist bzw. wäre, um die Kinder und Jugendlichen, wie auch ihre Angehörigen bei Fragen zu geschlechtsverändernden Maßnahmen und deren Durchführung richtig zu begleiten.
Die Standards of Care benennen eine Reihe von Aufgaben, die im Rahmen der psychischen und psychiatrischen Beratung und Begleitung angeboten bzw. übernommen werden sollten. Hierzu zählen die Begleitung bei der diagnostischen Einschätzung und bei der Aufklärung über Möglichkeiten, eine Störung der geschlechtlichen Identität bzw. Geschlechtsdysphorie zu lindern, die Vorbereitung auf eine Hormontherapie oder eine Operation bis hin zu Angeboten der Familientherapie und der Unterstützung der Betroffenen in ihrer sozialen Umgebung wie Schule, Ausbildung, Studium bzw. Beruf" (S.19).
2) Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages schreibt in seinem Bericht „Störungen der Geschlechtsidentität und Geschlechtsdysphorie bei Kindern und Jugendlichen“ (2019):
"Die bisherigen prospektiv angelegten Nachuntersuchungen zur psychosexuellen Entwicklung im Jugendalter zeigen, dass sich eine im Kindesalter im Rahmen einer klinischen Untersuchung diagnostizierte Geschlechtsidentitätsstörung bzw. Geschlechtsdysphorie bei der Mehrzahl der Jugendlichen offenbar remittiert (sog. „Desisters“) und diese Entwicklung häufig mit einer späteren homo- oder bisexuellen Orientierung einhergeht. Unter Berücksichtigung aller bisher dazu veröffentlichten Studien wird eine Geschlechtsidentitätsstörung bzw. Geschlechtsdysphorie bis ins Jugendalter – je nach Studie – nur bei 2 Prozent bis maximal etwa 25 Prozent der untersuchten Kinder angenommen (sog. „Persisters“), wobei die unterschiedlichen Persistenzraten in der Fachliteratur vor allem mit Unterschieden in den Studiendesigns der untersuchenden Zentren erklärt werden. 23 Es wird aber auch darauf hingewiesen, dass die Aussagekraft entsprechender Werte schon deshalb problematisch sei, weil bei Studien unterschiedliche Zeiträume berücksichtigt und die Stichprobenauswahl unterschiedlich festgelegt würden. Ergebnisse würden dadurch verzerrt.
Weitere Zahlen liegen mir nicht vor" (S. 17).
3) Bitte wenden Sie sich mit dieser Fragen an den GKV-Spitzenverband. Mir liegen keine Informationen vor.
4) Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages schreibt in seinem Bericht „Störungen der Geschlechtsidentität und Geschlechtsdysphorie bei Kindern und Jugendlichen“ (2019):
„Im Gegensatz zur Datenlage bei der pubertätshemmenden und gegengeschlechtlichen Hormontherapie stehen aufgrund der Gesundheitsberichterstattung des Bundes für den Zeitraum von 2005 bis 2018 für Deutschland Daten zu Operationen und Prozeduren „5-646 Operationen zur Geschlechtsumwandlung“ bei Kindern und Jugendlichen unter 25 Jahren zur Verfügung, die als vollstationäre Patientinnen und Patienten in Krankenhäusern behandelt worden sind. Die vorliegende Erhebung erstreckt sich dabei auf alle Krankenhäuser, die nach dem DRG-Vergütungssystem abrechnen und dem Anwendungsbereich des § 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG)96 unterliegen. In der Altersgruppe der 15- bis unter 20-Jährigen sei die Anzahl der durchgeführten Operationen zur Geschlechtsumwandlung danach von 7 im Jahr 2006 auf 110 im Jahr 2018 angestiegen. Für die Altersgruppe der 20- bis unter 25-Jährigen werde demgegenüber für das Jahr 2005 eine Anzahl von acht und für das Jahr 2018 eine Anzahl von 384 Operationen ausgewiesen“ (S.42).
Eine Erfassung der Detransitioner, insbesondere FtMtF, ist mir persönlich nicht bekannt.
Zu den Langzeitfolgen der Behandlung mit Östrogenen schreibt der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages (2019):
„Randomisierte Studien haben Langzeitnebenwirkungen einer postmenopausalen Hormontherapie gezeigt. Ein instruktiver Überblick über den aktuellen internationalen Forschungsstand zu den Risiken dieser Therapie findet sich bei Strowitzki im Arzneiverordnungs-Report 2019. Der Autor berücksichtigt dabei unter anderem auch die erste Leitlinie des „National Institute for Health and Care Excellence (NICE)“ zur Behandlung der Menopause aus dem Jahr 2015, mit der die Risiken der postmenopausalen Hormontherapie eine gewisse Neubewertung erfahren haben. Bei der Auswertung der Langzeitrisiken stellte das NICE fest, dass das thromboembolische Risiko durch orale Präparate signifikant erhöht werde, nicht aber durch transdermale Präparate. Auch das kardiovaskuläre Risiko werde bei Frauen unter 60 Jahren durch die Hormontherapie nicht erhöht. Das koronare Risiko und das Brustkrebsrisiko würden nur durch Östrogen-Gestagenkombinationen erhöht, jedoch kaum oder gar nicht durch die Östrogenmonotherapie. Die NICE Guideline bildet auch eine der Grundlagen der im Jahr 2018 neu erschienenen deutschen S3-Leitlinie „Peri- und Postmenopause – Diagnostik und Interventionen“ der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe , die insbesondere auch ausführliche Informationen über Nutzen und Risiken der Hormonersatztherapie enthält" (S.39f).
5) Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages schreibt in seinem Bericht „Störungen der Geschlechtsidentität und Geschlechtsdysphorie bei Kindern und Jugendlichen“ (2019):
"Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) hat eine Reihe von Leitlinien für bestimmte Diagnosetypen bzw. Symptomenkomplexe erarbeitet, die von der AWMF bereitgestellt werden. Diese Leitlinien sind keine Rechtsnormen sondern, so die AWMF, systematisch entwickelte Hilfen für Ärzte zur Entscheidungsfindung in spezifischen Situationen. Sie werden danach eingestuft, auf welchen Grundlagen bzw. inwieweit
evidenzbasiert die Empfehlungen entwickelt wurden und werden dann entsprechend als S1 (Expertengruppe erarbeitet im informellen Konsens eine Empfehlung), S2e und S2k sowie S3-Leitlinien erfasst.14 Die DGKJP-Leitlinie „Störungen der Geschlechtsidentität im Kindes- und Jugendalter (F64)“ ist publiziert bei: AWMF, Stand: August 2013 (Aktualisierung geplant für September 2020), abrufbar unter: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/028-014l_S1_Störungen_Geschlechtsidentität_2013-08_01.pdf. Sie gibt den behandelnden Ärztinnen und Ärzten Empfehlungen zu den Leitsymptomen und diagnostischen Hauptkriterien für das Vorliegen einer Geschlechtsidentitätsstörung, zur störungsspezifischen Diagnostik sowie zu den in Betracht kommenden medizinischen Interventionen, insbesondere zu den verschiedenen geschlechtsangleichenden Maßnahmen" (S.13).
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Roy Kühne