Dr. Reinhard Brandl
Reinhard Brandl
CSU
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Frage von Leopold S. •

Sind Sie für oder gegen eine Chatkontrolle mit Umgehung einer Ende-zu-Ende Verschlüsselung, wie sie von der EU Kommission vorgeschlagen wurde? [KOM(2022) 209]

Sehr geehrter Herr Brandl,

hiermit bitte ich Sie als Vorsitzenden der AG Digitales der Union um Stellungnahme zur "Chatkontrolle" (EU Vorschlag). Ihre Fraktion hat sich bisher als Einzige (!) im BT nicht explizit ablehnend gegenüber diese Technologie geäußert.

Gegenüber netzpolitik.org bezeichnete bspw. der Geschäftsführer des Deutsche Kindervereins, Rainer Rettinger, die Chatkontrolle als „massiven Eingriff in rechtsstaatliche Grundsätze“. Auch für den wiss. Dienst sieht eine solche Chatkontrolle "unverhältnismäßige Eingriffe in die geprüften Grundrechte der GRCh vor" [WD 10 – 3000 – 026/22].

Sind Sie, die AG Digitales und insbesondere die CSU gegen eine Chatkontrolle mit Umgehung einer E2E Verschlüsselung?

Ich weise darauf hin, dass eine reine "Forderung nach Klärung technischer Fragen" für den Bürger nicht als Ablehnung der Chatkontrolle aufgefasst werden dürfte. Auch eine Begrüßung der Zielrichtung der Verordnung durch die Union ist bekannt und bedarf keiner Wiederholung.

Dr. Reinhard Brandl
Antwort von
CSU

Sehr geehrter Herr S.

haben Sie vielen Dank für Ihre Frage, in der Sie auf den Vorschlag der EU-Kommission über die sogenannte CSA-Verordnung zu sprechen kommen, mit der die EU insbesondere die Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen von Kindern im Internet eindämmen will.

Dem Vorschlag zufolge sollten Anbieter wie Google oder Facebook unter bestimmten Umständen verpflichtet werden können, ihre verschlüsselten, privaten Kommunikationskanäle mithilfe von Software nach Missbrauchsdarstellungen von Kindern zu durchsuchen. Der Vorschlag fand trotz mehrerer Anpassungen – zuletzt am 24. September 2024 – bisher keine Mehrheit. Auch die Bundesregierung hat aufgrund rechtsstaatlicher Bedenken bisher nicht zugestimmt. Dem Vernehmen nach ist mit Stand vom 09. Oktober 2024 auch bei der EU-Ministerratssitzung der Justiz- und Innenministerinnen und -minister am 10. Oktober 2024 keine Einigung über den Vorschlag in Sicht.

Wir als CDU/CSU im Deutschen Bundestag wollen den Kinderschutz in der digitalen Welt grundsätzlich weiter verbessern. Wir stehen vor der dringenden Aufgabe, Sicherheit und Wohlbefinden insbesondere der jüngsten Generation – der Kinder und Jugendlichen – im digitalen Raum zu gewährleisten. Kinder und Jugendliche nutzen das Internet heute mehr denn je – sei es für Bildung, soziale Interaktion oder Unterhaltung. Doch das Internet birgt auch Gefahren, wie etwa Anbahnung von sexuellem Missbrauch und der Verbreitung von Kinderpornografie. Kinderpornografische Medien werden in noch nie dagewesenem Umfang über das Internet verbreitet. Das ist ein unerträglicher Zustand, den wir beenden müssen.

Wir als Unionsfraktion teilen das Anliegen der Kommission, die Bekämpfung des sexuellen Kindesmissbrauchs effektiver zu gestalten. Die massiv angestiegene Anzahl der Verbrechen gegen Kinder kann uns nicht kalt lassen. Sie zwingt uns, alle Instrumente zum Schutz der Kinder zu nutzen, die rechtlich vertretbar und verhältnismäßig einzusetzen sind. Dabei fordern wir eine differenzierte Betrachtung der Vorschläge der EU-Kommission. Einen wesentlichen Teil der Vorschläge unterstützen wir nachdrücklich. Andere sind hingegen aus unserer Sicht derzeit nicht geeignet, um einen rechtssicheren Beitrag zur Bekämpfung des sexuellen Kindesmissbrauchs zu leisten, der auch die Grundrechte unbeteiligter Dritter achtet. Für uns gilt: Die juristische Ausgestaltung der Vorschläge auf EU-Ebene muss mit geltenden europäischen und deutschen Grundrechten sowie der EuGH-Rechtsprechung vereinbar sein.

Als CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag haben wir bereits eine Reihe von konkreten Maßnahmen vorgeschlagen, um unseren Kindern und Jugendlichen eine sichere Nutzung des Internets ermöglichen und besser vor den Risiken der Online-Welt schützen. Einige davon möchte im Nachfolgenden kurz ansprechen.

Erstens, wir wollen eine weitere Stärkung der personellen, finanziellen und technischen Ausstattung der Behörden, insbesondere auch beim Bundeskriminalamt (BKA). Es muss sichergestellt sein, dass die Ermittlungsbehörden hinsichtlich der Fähigkeiten und Befugnisse dauerhaft mit den Verbrechern Schritt halten können. Darüber hinaus wollen wir eine verhältnismäßige und an den Grundrechten sowie der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts orientierten Ausweitung der strafprozessualen und gefahrenabwehrrechtlichen Befugnisse zur Bekämpfung des sexuellen Kindesmissbrauchs.

Zweitens, bei Vorliegen eines konkreten Verdachts schwerer Straftaten – wie des sexuellen Missbrauchs von Kindern – und einer richterlichen Anordnung muss im Einzelfall Telekommunikationsüberwachung bei interpersonellen Kommunikationsdiensten möglich und durchsetzbar sein.

Drittens, wir brauchen unverzüglich eine gesetzliche Regelung zur Speicherung von IP-Adressen für die Dauer von sechs Monaten zur Verfolgung schwerer Straftaten wie des Kindesmissbrauchs und der Kinderpornografie. Die Bundesregierung muss hier ihre Blockade aufgeben. Dabei muss insbesondere eine praxistaugliche Regelung zur Speicherung von Portnummern getroffen werden, damit digitale Tatortspuren dem Verursacher sicher zugeordnet werden können.

Viertens, wir wollen die Möglichkeit für Dienstanbieter erhalten und stärken, freiwillige Maßnahmen zur Aufdeckung des sexuellen Kindesmissbrauchs und zur Verhinderung der Verbreitung von Kinderpornografie auf ihren Plattformen zu treffen. Freiwillige Maßnahmen der Anbieter sollen sich positiv auf eine Risikobewertung auswirken. Die Weitergabe von Informationen über mögliche Treffer an die Strafverfolgungsbehörden muss für die Dienstanbieter rechtssicher möglich sein.

Fünftens, die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Aufdeckungsanordnungen als ultima ratio in einem mehrstufigen Vorgehen wären stets von einer unabhängigen mitgliedstaatlichen Behörde oder einem Gericht anzuordnen und zu kontrollieren. Wir wollen, dass technische und juristische Maßnahmen grundsätzlich so angelegt sind, dass sie zu keiner unnötigen Erhöhung der Datenmenge und damit zu einem übermäßig hohen manuellen Überprüfungsaufwand führen. So verhindern wir, dass wichtige Kapazitäten bei den Strafverfolgungsbehörden unnötig gebunden werden.

Sechstens, wir treten dafür ein, nur technisch ausgereifte und zuverlässigen Maßnahmen umzusetzen, die sexuellen Missbrauch verhindern und die Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen unterbinden. Dies setzt voraus, dass Aufdeckungsanordnungen derzeit auf die Suche mit (robusten) Hash-Werten nach bekannten und eindeutig strafbaren Missbrauchsdarstellungen beschränkt werden. Durch diese Einschränkungen schließen wir falsche Verdächtigungen weitestgehend aus und wahren die Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf den Schutz der Grundrechte sowohl der Nutzer als auch der zu schützenden Kinder.

Siebtens, eine Einschränkung von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung über einen gesamten Dienst oder auf einem Endgerät (sog. Client-Side-Scanning) – ohne konkreten Tatverdacht im Einzelfall – lehnen wir ab. Wir wollen das Instrument der Aufdeckungsanordnungen zudem so ausgestalten, dass serverseitig gespeicherte unverschlüsselte Daten – bei entsprechender Risikoneigung – einbezogen werden können. Dies ist in den USA bereits gängige Praxis; unzählige Missbrauchstaten konnten so aufgeklärt werden.

Achtens, beim derzeitigen Stand der Forschung und Entwicklung sehen wir eine Pflicht zur Anwendung von KI im Rahmen von Aufdeckungsanordnungen bei der Suche nach neuen Missbrauchsdarstellung und Grooming kritisch. Der Anteil falschpositiver Treffer bei der Aufdeckung neuer Missbrauchsdarstellungen und bei Grooming ist nach den uns vorliegenden Erkenntnissen zu hoch, um dieses Instrument rechtssicher und in einer für Nutzer und Behörden akzeptablen Form einzusetzen. Wir sprechen uns deshalb für eine Ausweitung der Forschung in diesem Bereich aus.

Sehr geehrter Herr S., haben Sie noch einmal vielen Dank für Ihre Frage. Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit meinen Ausführungen unsere Position etwas näherbringen. Der Kampf gegen den Missbrauch von Minderjährigen im Internet erfordert starke Maßnahmen auf europäischer und nationaler Ebene, um die Sicherheit von Kindern und Jugendlichen im Internet zu gewährleisten. Im Sinne des Schutzes der Grundrechte der Nutzer dürfen die Maßnahmen jedoch nicht zu einer Massenüberwachung der Bürger führen dürfen. Unter dem Link https://www.cducsu.de/sites/default/files/2023-11/PP%20Kinderschutz.pdf finden Sie das Positionspapier „Kinderschutz 4.0 – Unsere Agenda für den Schutz von Kindern in der digitalen Welt“ der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, in dem Sie die oben aufgeführten Vorschläge noch detaillierter nachlesen können.

Mit freundlichen Grüßen

Reinhard Brandl

 

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