Frage an Matthias Miersch von carsten R. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Hallo herr Miersch,
warum werden von den Politikern die Arbeitslosenzahlen schön geredet?
Laut Statistik haben wir ca. 3,6 Mio Arbeitslose in Wirklichkeit sind es aber ca.5,5 Mio.
Mit freundlichen Grüßen
Carsten Reusch aus Benthe
Sehr geehrter Herr Reusch,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Die Zahl der Arbeitslosen ist in Deutschland seit langer Zeit ein Politikum ersten Ranges. Natürlich lässt sich der wirtschaftliche Erfolg einer jeden Regierung plastisch auch an der Zahl der Arbeitslosen abbilden und ebenso haben Regierungen das natürliche Interesse, diese Zahl als Indikator ihres Erfolges möglichst niedrig zu halten. Sicherlich kann das aber kein Grund dafür sein, eine „verschleierte“ Statistik auszugeben, die ihrem Namen keine Ehre mehr machen kann. Ich denke allerdings auch nicht, dass dies in Deutschland der Fall ist. Um es vorweg zu stellen, im internationalen Vergleich stehen die deutschen Erhebungsmethoden auf einem Spitzenplatz, was die Genauigkeit betrifft. In den USA werden beispielweise nur stichprobenhafte Telefonanrufe durchgeführt, um die Arbeitslosigkeit zu erheben.
Die Zahl der Arbeitslosen sollte ursprünglich die Zahl derjenigen Personen abbilden, die für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Mittlerweile dient die Statistik eher der Überwachung wirtschaftpolitischer Performance einer Regierung. Die Diskussion um Definitionen von Arbeitslosigkeit ist daher auch eine politische Diskussion, bei der sich unterschiedliche Positionen zu unterschiedlichen Zeiten durchsetzen. Ich darf an den mutigen Schritt der Regierung Schröder erinnern, Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zusammenzulegen. Nur durch eine dadurch notwendige Veränderung der Definition von Arbeitslosigkeit schnellte die offizielle Zahl der Arbeitslosen damals über die magische Grenze von 5 Millionen, was für die Regierung Schröder bei der Wahl 2005 politisch durchaus nachteilig war.
Die Diskrepanz zwischen der „offiziellen“ Zahl der Arbeitslosen und der tatsächlichen Zahl an nicht erwerbstätigen Menschen liegt in Deutschland hauptsächlich in Definitionsfragen begründet. Durch jahrelange Veränderungen innerhalb des Paragraphenwerkes rund um die Arbeitslosigkeit haben sich einige Maßstäbe eingeschlichen, die möglicherweise der Überprüfung bedürfen. Dies führt dazu, dass manche Fälle als Arbeitslosigkeit gezählt werden, andere jedoch nicht, obwohl bei beiden Fällen auch eine andere Entscheidung denkbar wäre. So ist auch die von Ihnen zitierte Zahl von ca. 5,5 Millionen Arbeitslosen ebenfalls nur ein Konstrukt von Definitionen der Erwerbslosigkeit. Wie viele Menschen in diesem Land also letztlich arbeitslos sind, lässt sich nicht objektiv feststellen, sondern immer nur im Lichte vorher getroffener Definitionen. Ich möchte Ihnen dies an einigen Beispielen verdeutlichen:
Als arbeitslos gilt, wer sich bei einer Agentur als arbeitslos gemeldet hat, keinen Job hat und weniger als 15 Stunden in der Woche arbeitet. Dies führt dazu, dass viele Menschen zwar keinen Job haben, aber trotzdem nicht in der Statistik als Arbeitslose auffallen, da sie der Definition nicht genügen. Beispielsweise führen Arbeitsagenturen Wiedereingliederungskurse, Weiterbildungsmaßnahmen oder Förderprogramme durch, deren Teilnehmer nicht als Arbeitslose geführt werden. Genauso werden sogenannte „Ein-Euro-Jobber“ nicht mehr in die Statistik aufgenommen, obwohl sie keiner geregelten Beschäftigung nachgehen. Sicher kann man darüber streiten, ob diese Definitionen angemessen sind. Allerdings erscheinen mir Menschen mit einer geregelten Beschäftigung, und möglicherweise auch nur zu minimalen Konditionen (1-Euro-Jobs), nicht direkt als arbeitslos.
Man kann sich jedoch auch weitergehend darüber Gedanken machen, ob strukturelle Probleme mit in die Arbeitslosenstatistik aufgenommen werden sollten. Sogar die aktuell so prominente Kurzarbeit könnte als eine Form der Arbeitslosigkeit gezählt werden. Ohne die staatliche Übernahme der Sozialabgaben bei Kurzarbeit würden wohl gerade in der aktuellen Krise viele dieser Menschen arbeitslos werden. Durch die getroffenen Maßnahmen tauchen sie aber nun natürlich in der Statistik nicht auf. Außerdem gibt es in Deutschland mehr als eine halbe Millionen Bürger, die zwar arbeitslos sind, sich aber nicht bei einer Agentur melden und möglicherweise überhaupt keinen neuen Job anstreben, weil sie etwa vom Gehalt des Partners gut leben können oder selber über Rücklagen verfügen. Würden diese Menschen in die Statistik mit aufgenommen (wie etwa bei der Berechnung der 5,5 Millionen der Fall), dann käme ein ebenso verzerrtes Bild zustande, wie das, welches Sie aktuell kritisieren.
Wer sich für einen tiefergehenden Blick in die Beschäftigungssituation interessiert, dem empfehle ich den Bericht für Unterbeschäftigung der Bundesagentur für Arbeit, der sich detailliert mit den obigen Themen auseinandersetzt.
Ich hoffe, ich habe Ihre Frage zufriedenstellend beantwortet. Falls Sie noch Fragen oder Anregungen zum Thema haben oder einfach nur Lust auf ein Gespräch verspüren, kommen Sie doch zu einem meiner Infostände in nächster Zeit.
Mit freundlichen Grüßen
Matthias Miersch