Frage an Markus Schalk von Anika D. bezüglich Bildung und Erziehung
Sehr geehrter Herr Schalk,
was muss Ihrer Meinung nach getan werden, um die Achtung vor dem Lehrerberuf und dessen Attraktivität zu steigern? Sie als Lehrer können sicher am besten beurteilen welche politischen Maßnahmen erforderlich sind, damit den Lehrern endlich wieder mehr Respekt von Seiten der Schüler und der Gesellschaft entgegengebracht wird. Oft wird diese Berufsgruppe als unfähig hingestellt, wenn Kinder gravierende Wissenslücken oder Benehmensdefizite aufweisen, obwohl dort meist eher ein gesellschaftliche Problem zugrunde liegt (soziales Umfeld und Situation). Immer weniger Abiturienten wollen auf Lehramt studieren, da man aus eigener Erfahrung den Lehrer als ungerecht empfindet oder das Verhalten der Kameraden den Lehrern gegenüber beschämend ist. Vor allem ist die Angst vor einer Anstellung in Förder-, Haupt- und Realschulen groß. Zu viele Gruselgeschichten sind im Umlauf, die immer mehr Realität werden. Lehrer werden gemobbt, ignoriert, in Frage gestellt und beschimpft. Das führt zu Lehrermangel, was widerrum zu unqualifizierter Besetzung beiträgt (Physikstunden werden an einigen Schulen "übergangsweise" von Fachfremden unterrichtet).
Außerdem interessiert mich Ihr Standpunkt zu diesen Fragen:
Halten Sie eine völlige Umstellung des Schulsystems für notwendig, um das Lehrerbild zu ändern?
Wie weit dürfen die Befugnisse eines Lehrers gehen und finden Sie strenge Autorität gut?
Sollen die Schüler weiterhin mit dem jetzigen Notensystem bewertet werden?
Fehlt es dem Unterricht an praktischer, kreativer und kritischer Richtung?
Sollten Kopfnoten wieder eingeführt werden, wenn ja: welche?
Was haben Sie persönlich für Erfahrungen gemacht und wird Ihr Unterricht von Lehrplanvorschriften stark eingeschränkt?
Wie viele Stunden am Tag arbeitet ein Lehrer wirklich?
Sollte im Unterricht mehr über Politik und Nachrichten gesprochen werden (mit oder ohne Wertung)?
Ich hoffe Sie können mir einige dieser Fragen beantworten.
Mit solidarischen Grüßen
Anika Dathe
Sehr geehrte Frau Dathe,
ich bedanke mich für Ihr Interesse, viele der aufgeworfenen Fragen beantworten Sie praktisch selbst. Ich ergänze nur: Um sich bei SchülerInnen anzubiedern, setzte der damalige Ministerpräsident Gerhard Schröder das Unwort "faule Säcke" in die Welt. Die meisten SchülerInnen erkannten dies selbst inhaltlich als abwegig, einige missdeuteten es aber als Halali auf strenge LehrerInnen. Natürlich stimmten auch einige Eltern ein ("Lehrerhasserbuch") und Medienvertreter nutzten nur zu gern das Thema für Krawall-Talkshows. Es ist aber ein geistiges Armutszeugnis für einige Politikern, sich einzubilden, sie könnten auf Dauer Eltern, SchülerInnen und LehrerInnen spalten. Motto: Wir würden ja gern mehr für die Bildung tun, aber die "faulen Lehrer" bekommen so viel Geld, dass nichts mehr übrig bleibt. Die gemeinsamen Demonstrationen von Eltern, SchülerInnen und LehrerInnen gegen die verfehlte Bildungspolitik z.B. in Niedersachsen zeigen, dass diese Taktik nicht aufgeht.
Desgleichen der vergebliche Versuch, den nieders. GEW-Vorsitzenden durch ein Disziplinarverfahren mundtot zu machen oder Schulen zu verbieten, vor der Wahl mit Politikern zu diskutieren. Arbeitslosigkeit, Minijobs und flexible Arbeitsverhältnisse haben die Struktur vieler Familien zerschlagen. Ganztagschulen sind die Ausnahme, Umgangsformen werden nachmittags vom Krawallfernsehen vermittelt, moralische Werte vom Boulevard definiert. Ein oft gnadenloser Verdrängungswettbewerb lässt besonders die zahlreicher werdenden SchülerInnen ohne Abschluss "durchs Rost" fallen. Woher sollen solche SchülerInnen Zuversicht und Vertrauen schöpfen, die Voraussetzung für Freundlichkeit und Respekt sind? Die Lehrerausbildung berücksichtigt diese Parameter aber zunehmend und die LehrerInnen lernen mehr und mehr, sich kollegial selbst zu unterstützen, das Problem lösen kann aber nur die Politik: Ganztagsschulen, Gesamtschulen, Fördermaßnahmen, d. h. aber Bildungsinvestitionen statt Pampern der Banken.
Die restlichen Fragen kann ich damit kurz beantworten:
Das Lehrerbild in der Öffentlichkeit ist mittlerweile wieder positiv, der 6. Platz in der Prestigeskala der Berufe beweist sein Ansehen. In einer offenen respektvollen Schulatmosphäre stellt sich die Frage nach Lehrerbefugnissen nicht, weil alle gemeinsam das selbe Ziel ansteuern. Das jetzige Notenziffernsystem kann nicht aussagekräftig sein, die z.T. wieder eingeführten Kopfnoten sind ein pädagogischer Rückschritt. Die Lehrerfortbildung wird zwar zurückgefahren (!), viele LehrerInnen haben aber selbst wissenschaftliche Impulse aufgegriffen, um ihren Unterricht praktischer, kreativer und kritischer zu gestalten. Lehrplanvorschriften sind in Ordnung, sie müssen aber noch Luft zum spontanen Aufgreifen von SchülerInnenproblemen lassen. Die Arbeitszeit von LehrerInnen schwankt stark, während der Schulzeit häufen sich oft unerkannt viele Überstunden an, die dann in den Ferien abgefeiert werden. Politik ist in der Regel normales Unterrichtsfach, gute LehrerInnen stellen ihren SchülerInnen möglichst kontroverse Positionen vor und erkennen Meinungen an, die von den eigenen abweichen.
Wenn ich es noch mal entscheiden müsste, würde ich den Lehrerberuf wieder wählen, mich aber in Studium und Seminar weniger von abgehobenen Theorien beeindrucken lassen.
Ich wünsche Ihnen für Ihre Berufswahl alles Gute!