Frage an Markus Ferber von Anna S. bezüglich Europapolitik und Europäische Union
Sehr geehrter Herr Ferber,
Auch wenn die Coronakrise aktuell alle anderen Probleme überschattet, sind diese doch nicht verschwunden. Vielmehr lohnt es sich gerade jetzt, sie anzugehen.
1. Beispielsweise eine faire Besteuerung großer Unternehmen wie Amazon, die aktuell Milliarden an Steuern einsparen, indem sie in Länder mit einem geringen Steuersatz ausweichen: Geld, das für die Bewältigung der aktuell zu erwartenden Wirtschaftskrise und Rezession dringend nötig wäre.
Welche Maßnahmen erachten Sie für sinnvoll, um an dieser Situation etwas zu ändern?
2. Auch über die sofortigen Grenzschließungen nach den ersten Coronafällen sollte diskutiert werden: Immerhin ist die Binnenfreizügigkeit der EU eine ihrer größten Errungenschaften.
Ich persönlich halte Grenzschließungen wegen des Coronavirus insbesondere zwischen Regionen, in denen das Virus annähernd gleich weit verbreitet ist, für höchst fragwürdig. Davon sind nämlich insbesondere diejenigen betroffen, die in den unmittelbaren Grenzregionen leben und die in ihrem täglichen Alltag die offenen Grenzen bisher als selbstverständlich erleben durften. Manche Städte, beispielsweise Passau, liegen in zwei Ländern, da sie sich über die Grenze hinweg ausgedehnt haben. Mich trifft das ganz persönlich. Meine Wohnung dort ist sowohl von Supermärkten als auch von der Universität abgeschnitten. Würde der Universitätsbetrieb wieder vor Ort stattfinden, die Grenzen wären aber noch geschlossen, wäre ich nicht in der Lage, weiter zu studieren. Das liegt auch daran, dass der Grenzübergang so klein ist, dass er nicht kontrolliert wird, und damit auch keine Ausnahmen möglich sind.
Gerade die kleinen Grenzübergänge müssen also, sofern sie nicht kontrolliert werden können, geöffnet bleiben: Die sonst folgenden Eingriffe in die Freiheit der dort lebenden Menschen wären sonst in meinen Augen nicht mehr zu rechtfertigen.
Was halten Sie von den Grenzschließungen? Wie kann gerade im Hinblick auf die Binnengrenzen eine europäische Lösung gefunden werden?
3. Auch der Klimaschutz sollte nicht aus dem Fokus geraten: Ein Ausbau beziehungsweise eine Verschärfung des europäischen Emissionshandels würde nicht nur diejenigen zur Verantwortung ziehen, die die langfristigen Schäden tatsächlich verursachen, sondern auch effektiv durch einen starken Anreiz dazu beitragen, deutlich Emissionen einzusparen.
Was ist Ihre Haltung zu einem Ausbau beziehungsweise einer Verschärfung des europäischen Emissionshandels? Halten Sie diese für sinnvoll? Falls nein, welche Maßnahmen halten Sie für sinnvoller?
4. Der internationale Handel trägt mit der Schifffahrt und dem Transport durch LKWs enorm zum Ausstoß von Kohlenstoffdioxid bei. Viele Schiffsfahrten ließen sich vermeiden, wenn die einzelnen Produktionsschritte nicht so verstreut stattfinden würden. Auch wird der Güterverkehr auf den Schienen aktuell leider noch weiter abgebaut.
Was wollen Sie persönlich dazu beitragen, dass Transportwege kürzer werden und sich der Güterverkehr wieder auf die Schienen verlagert? Welche Maßnahmen halten Sie für sinnvoll?
Vielen Dank schon einmal im Voraus für die Beantwortung meiner umfangreichen Fragen!
Mit freundlichen Grüßen,
Anna Schmitt
Sehr geehrte Frau Schmitt,
haben Sie vielen Dank für Ihre Nachricht zu verschiedenen relevanten europapolitischen Fragestellungen.
Ich teile Ihre Einschätzung, dass die von Ihnen genannten Aspekte trotz eines verständlichen Fokus auf die unmittelbare Krisenbewältigung nicht aus dem Blick geraten dürfen und auch in Zukunft entsprechender Aufmerksamkeit bedürfen. Gern nehme ich zu den von Ihnen skizzierten Fragen Stellung.
Zum Thema Digitalsteuer: Eine faire Besteuerung der Digitalwirtschaft halte ich für absolut entscheidend für die Glaubwürdigkeit unseres Steuersystems. Das entscheidende Instrument dabei sehe ich darin, unser Unternehmenssteuerrecht um das Konzept einer virtuellen Betriebsstätte zu ergänzen. Denn derzeit orientiert sich unser Unternehmenssteuerrecht noch zu sehr am Konzept einer physischen Betriebsstätte, was den Geschäftsmodellen der Digitalwirtschaft nicht gerecht wird. Mit einer virtuellen Betriebsstätte würden auch Geschäftsmodelle der Digitalwirtschaft, die ohne physische Betriebsstätte auskommen, steuerrechtlich angemessen erfasst werden.
Die Europäische Kommission hat diese Idee bereits aufgegriffen und im Jahr 2018 zwei Legislativvorschläge zur Besteuerung der Digitalwirtschaft vorgelegt: Zu beiden Vorschlägen hat das Europäische Parlament Ende 2018 positive Stellungnahmen verabschiedet, die ich selbst auch unterstützt habe. Im Finanzministerrat wurden beide Vorschläge zwar diskutiert, aber noch nicht verabschiedet. Die EU-Finanzminister verweisen bei diesem Thema auf andauernde internationale Verhandlungen. Auf internationaler Ebene laufen im Rahmen des „OECD/G20 Inclusive Framework on Base Erosion and Profit Shifting“ derzeit nämlich Verhandlungen über eine Reform des internationalen Körperschaftssteuerrechts, die auch die Besteuerung digitaler Tätigkeiten umfassen soll.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich in ihren politischen Leitlinien darüber hinaus klar dazu bekannt, dass die Europäische Kommission klar für eine faire Besteuerung der Digitalwirtschaft eintritt und auch dann einen neuen Gesetzgebungsvorschlag vorlegen wird, sollte es auf internationaler Ebene nicht zu einer Einigung kommen. Angesichts der Tatsache, dass wir uns in einer zunehmend verwobenen internationalen Wirtschaftsordnung befinden, wäre eine Einigung auf internationaler Ebene zwar deutlich vorzuziehen und würde auch eine spätere Verabschiedung durch die Mitgliedsstaaten im Finanzministerrat deutlich erleichtern. Sollte sich diese Einigung aber zu lange verzögern, muss die EU selbst handeln. Als finanzpolitischer Sprecher meiner Fraktion im Europäischen Parlament werde ich das Thema einer fairen Besteuerung der Digitalwirtschaft in jedem Fall weiterhin konstruktiv begleiten.
Zum Thema Grenzschließungen: Auch ich sehe die Grenzschließungen kritisch. Die Europäischen Staaten sind kulturell, sozial und wirtschaftlich eng miteinander verwoben, ganz besonders in den Grenzregionen. Ihre Geschichte ist ein gutes Beispiel dafür. Das ist eine große Errungenschaft, die wir nicht leichtfertig aufs Spiel setzen dürfen. Gerade in einer Krisensituation liegt es allerdings bis zu einem gewissen Grad in der Natur der Sache, dass ein Staat seine Maßnahmen innerhalb der eigenen Grenzen ansetzt. Eine Abschottung zu den Nachbarstaaten ist jedoch kontraproduktiv und im Nutzen fraglich. Wie sehr wir aufeinander angewiesen sind, sehen wir nicht zuletzt durch die vielen pendelnden Arbeitskräfte und den Austausch essentieller Waren. Was hilft, Grenzen offen zu halten, ist eine enge Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten - die ist nur möglich, wenn nationale Entscheider europäisch denken. Ich setze mich in meiner Arbeit als Europaabgeordneter und als Vorsitzender der international tätigen Hanns-Seidel-Stiftung intensiv für diese europäische Perspektive ein.
Zum Thema Emissionshandel: Ich persönlich halte das europäische Emissionshandelssystem für das richtige Instrument zur Bekämpfung des Klimawandels, denn es setzt auf marktwirtschaftliche Anreize und sorgt dafür, dass Emissionen dort eingespart werden, wo dies am kostengünstigsten möglich ist. Die derzeitige Klimapolitik verstrickt sich leider sehr oft in detaillierten Detailregelungen, die nur einen begrenzten Effekt haben, aber gleichzeitig mit großen regulatorischen Belastungen einhergehen. Ein übergeordnetes Instrument wie das Emissionshandelssystem wäre meines Erachtens deutlich wirksamer und unbürokratischer.
Vor diesem Hintergrund halte ich einen Ausbau des bestehenden Emissionshandelssystems für deutlich zielführender als sektorspezifisches Mikromanagement. Ich würde es entsprechend sehr begrüßen, wenn ein leistungsfähiges und wirksames europäisches Emissionshandelssystem eine wesentliche stärkere Rolle dabei spielen könnte, unsere ambitionierten europäischen Klimaschutzziele zu erreichen.
Zum Thema Verkehrspolitik: Die aktuelle Krise zeigt uns einmal mehr, wie wichtig es ist, essentielle Güter in Europa herzustellen. Dafür ist die Attraktivität des Produktionsstandorts Europa ebenso wichtig wie eine politische Strategie, die die Unabhängigkeit Europas bei der Versorgung sowie die Auswirkungen auf die Umwelt im Blick hat. Ergänzend ist die Aufklärung des Konsumenten durch transparente Information wesentlich: nur so kann ein Bewusstsein geschaffen werden. Nun zu der Verwendung umweltfreundlicherer Verkehrsmittel: Die Stärkung der Schiene ist ein Anliegen, das mich schon lange beschäftigt. Sie stellen zu Recht fest, dass hier schon zu lange Stillstand herrscht. Die Probleme dahinter sind vielfältig: stark national orientierte Eisenbahnorganisationen, die begrenzte Kapazität und schließlich das unzureichende Preis-Leistungs-Verhältnis im Vergleich zur Straße. Staatliche Förderung ist wichtig, aber zu wenig. Lösungsansätze sind die Vereinheitlichung der national unterschiedlichen Regeln, Technik sowie die Verbesserung der aktuell vernachlässigten Grenzübergänge - hier ist einiges im vierten Eisenbahnpaket auf europäischer Ebene schon beschlossen, das noch von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden muss, ich setze mich bereits jetzt für ein weiteres Zusammenwachsen des Regelwerks ein - und die Digitalisierung der Schiene, die eine wesentliche Kapazitätsvergrößerung bei gleichbleibendem Schienennetz durch bessere Auslastung ermöglicht. Um es positiv zu formulieren: Die Schiene hat noch viel Potential.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Markus Ferber, MdEP