Frage an Maria Böhmer von Stephan L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Prof Dr. Böhmer,
heute abend während ich in der Essener Straßenbahn saß, kam ich mit einer türkischen Mitbürgerin in einem Gespräch. Mir fiel die ganze Zeit auf, dass sie mit ihrer vierjährigen Tochter nur auf türkisch geredet hat anstatt auf deutsch. Auf meiner Anmerkung hin ob sie mit ihrer Tochter mal auf deutsch redet, sagte sie mir, dass ihre Tochter erst mal hier in Deutschland türkisch lerne müsse und später in der Kita die Gelegenheit hat, ausreichend deutsch zu lernen weil Sie als Mutter sowieso einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für ihre Tochter in Deutschland habe.
Meine Frage hierzu: Welche Strategie verfolgt die Bundesregierung zurzeit um die potentiellen Bildungsverlierer von Morgen in die Gesellschaft zu integrieren? Welche Strategie gibt es, um den demographischen Wandel hinsichtlich der Tatsache das in einigen Jahrzehnten mehr Mitbürger mit Migrationshintergrund als Mitbürger ohne Migrationshintergrund in Deutschland leben? Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen das wenn die Bürger ohne Migrationshintergrund in Deutschland als Minderheit eine türkisch, moslemische Mehrheitsgesellschaft dann besser Integrieren kann als in der Vergangenheit. Zum Thema demographische Entwickung verweise ich auf das Buch von Thilo Sarrazin mit dem Titel "Deutschland schafft sich ab" als auch auf den Mikrozensus vom Statistischen Bundesamt in Wiesbaden. Ich als in Deutschland lebender Halbtürke bin der beste Beweis für eine gelungene Integration.
Für eine ausführliche Antwort von Ihnen würde ich mich sehr freuen und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Stephan Luckaßen
Sehr geehrter Herr Luckaßen,
die Sprachförderung ist seit Jahren das zentrale Thema der Integrationsförderung. Gute Sprachkenntnisse gehören zu den zentralen Voraussetzungen für eine gelingende Integration. Auch hier gilt das Prinzip "Fördern und Fordern". Bund, Länder und Kommunen sowie die Freien Träger von Kindertageseinrichtungen haben mit zahlreichen Maßnahmen die Angebote massiv ausgebaut. Angefangen bei den Integrationssprachkursen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge über die frühe Sprachförderung in Kindertagesstätten bis hin zu unterrichtsbegleitenden Sprachfördermaßnahmen haben wir heute ein breites Spektrum zur Verfügung gestellt, das es Migrantinnen und Migranten jeden Alters ermöglicht, Deutsch zu lernen. Doch Spracherwerb braucht Zeit - eine neue Sprache erlernt niemand von heute auf morgen.
Wenn Sie die Situation in der Essener Straßenbahn schildern, dann sprechen Sie damit eine ganz bestimmte Spracherwerbssituation an, die durch die Mutter-Kind-Beziehung, das Sprachvermögen der Mutter und die Mehrsprachigkeit des Kindes definiert wird. Möglicherweise ist es in diesem Fall so, dass die Mutter Deutsch nur schlecht beherrscht und für Ihre Tochter kein schlechtes Sprachvorbild abgeben will? Vielleicht spricht sie aber auch ein gutes Deutsch und ist dennoch überzeugt, dass ihr Kind zunächst die Muttersprache lernen sollte, bevor es Deutsch als Zweitsprache zusätzlich erwirbt? Meine Position dazu ist, dass Eltern, die selbst nicht die deutsche Sprache vermitteln können, ihre Kinder so früh möglich für eine Kinderbetreuung anmelden, damit sie dort die nötigen sprachlichen Anreize bekommen können. Mit dem Ausbau der Kindertagesbetreuung, dem ab 2013 geltenden Betreuungsanspruch für unter dreijährige Kinder und den Förderprogrammen von Bund, Ländern und Kommunen werden gute Voraussetzungen dafür geschaffen, dass alle Kinder sehr früh - auch sprachlich - gefördert werden können. Über einzelne Maßnahmen können Sie sich gern über die Website www.integrationsbeauftragte.de informieren. Schauen Sie dort bitte nach dem "Nationalen Aktionsplan Integration" und dem "9. Bericht der Beauftragten für Migration, Flüchtlinge und Integration über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland".
In den genannten Publikationen können Sie sich auch zu Ihren weiteren Fragen informieren. Haben Sie bitte Verständnis dafür, dass ich an dieser Stelle nicht die gesamte integrationspolitische Strategie der Bundesregierung darstellen kann.
Mit freundlichen Grüßen
Maria Böhmer