Frage an Marc Mulia von Michael W. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrter Herr Mulia,
Sie arbeiten laut Homepage der Linken an einem Duisburger Gymnasium, also an einer Schulform, die Sie abschaffen wollen. Dazu habe ich einige Fragen:
1. Wie ist diese Position mit Ihrer Arbeit an einem Gymnasium zu vereinbaren? Sind Sie nicht überzeugt von dem, was Sie und Ihre Kollegen dort täglich leisten?
2. Halten Sie es nicht für sinnvoll, dass leistungsstarke Schülerinnen und Schüler (deren Potential bereits nach 4 Jahren Grundschule festgestellt wurde) zielgerichtet und auf hohem Niveau an einem Gymnasium unterrichtet werden? Oder sollen sie an einer Gemeinschaftsschule gebremst werden? (Mir ist durchaus bewusst, dass an einer Gemeinschaftsschule nach Leistung differenziert wird/werden kann. Außerdem denke ich auch, dass die Durchlässigkeit nach oben verbessert werden muss. Aber warum sollten gymnasiale Schüler nicht ein Gymnasium besuchen können?)
3. Wie stellen Sie sich den von Ihnen gewünschten kompletten Umbau des Bildungssystems vor allem in finanzieller Hinsicht vor? Gerade im Hinblick auf die leeren Kassen der Kommunen stelle ich mir das schwierig vor.
4. Gibt es einen Plan, wie der besagte Umbau des Bildungssystems organisatorisch von statten gehen kann?
Über Antworten würde ich mich freuen. Mit freundlichen Grüßen
Michael Winsen
Sehr geehrter Herr Winsen,
erstmal muss ich mich für die späte Antwort entschuldigen. Die Mail ist bei mir in einer Mailflut mit untergegangen.
1. Wie ist diese Position mit Ihrer Arbeit an einem Gymnasium zu vereinbaren? Sind Sie nicht überzeugt von dem, was Sie und Ihre Kollegen dort täglich leisten?
Klar bin ich überzeugt, dass wir eine gute Arbeit machen. Ich glaube aber auch, dass das schwedische oder das finnische Schulsystem unserem überlegen ist. Das ist nicht nur eine Frage der Struktur, sondern das hängt auch damit zusammen, dass diese Länder pro Kopf deutlich mehr Geld in die Bildung stecken als Deutschland. Die Schulen sind besser ausgestattet, haben kleinere Klassen und mehr Personal. Diese Länder setzen auf individuelle Förderung statt Trennung in verschiedene Schulformen. Ich setze mich dafür ein, dass wir auch in Deutschland zu einem solchen System kommen.
2. Halten Sie es nicht für sinnvoll, dass leistungsstarke Schülerinnen und Schüler (deren Potential bereits nach 4 Jahren Grundschule festgestellt wurde) zielgerichtet und auf hohem Niveau an einem Gymnasium unterrichtet werden? Oder sollen sie an einer Gemeinschaftsschule gebremst werden? (Mir ist durchaus bewusst, dass an einer Gemeinschaftsschule nach Leistung differenziert wird/werden kann. Außerdem denke ich auch, dass die Durchlässigkeit nach oben verbessert werden muss. Aber warum sollten gymnasiale Schüler nicht ein Gymnasium besuchen können?)
Das Problem ist, dass man eben im Alter von 10 Jahren keine sicheren Prognosen machen kann, wieviel Potential in einem Schüler steckt. Deshalb führt die Trennung in verschiedene Schulformen dazu, dass Chancen für Kinder verbaut werden, die in einem integrativen System besser gefördert werden können. Schweden und Finnland zeigen auch, dass das den von Anfang an starken Schülerinnen und Schülern überhaupt nicht schadet. Im Gegenteil: Auch die starken werden in den skandinavischen Ländern besser gefördert. Belegt wird das durch die PISA-Studie.
3. Wie stellen Sie sich den von Ihnen gewünschten kompletten Umbau des Bildungssystems vor allem in finanzieller Hinsicht vor? Gerade im Hinblick auf die leeren Kassen der Kommunen stelle ich mir das schwierig vor.
Das ist das Hauptproblem. Ein System, wie ich es mir vorstelle, braucht erheblich mehr Geld. Wenn wir bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt soviel Geld für Bildung ausgeben würden wie Schweden, müssten die Bildungsausgaben um mehr als 50 Mrd. Euro insgesamt erhöht werden. Das lässt sich nur durch eine andere Steuerpolitik realisieren. Deshalb fordern wir als LINKE eine Millionärssteuer und die Einführung einer Börsenumsatzsteuer. Wenn wir das durchsetzen könnten, ließen sich daraus enorme Bildungsinvestitionen finanzieren. Zum Konzept gehört dann natürlich auch eine andere Verteilung des Steueraufkommens zwischen Bund, Länder und Kommunen.
4. Gibt es einen Plan, wie der besagte Umbau des Bildungssystems organisatorisch von statten gehen kann?
Organisatorisch kann der Landtag durch eine Änderung des Schulgesetzes den Rahmen vorgeben. Dann sollten die bestehenden Schulen möglichst zügig umgewandelt werden. Ich bin dafür, dass wir am Ende zu kleinen, überschaubaren Schulen kommen. Das Vorbild sind also nicht riesige Gesamtschulen, die es heute teilweise gibt. Um die bestehenden Gebäude optimal nutzen zu können, bin ich für flexibele Lösungen. Dazu gehört zum Beispiel die Einrichtung von Oberstufenzentren, wie das in Duisburg in den vergangenen Jahren schon öfter diskutiert worden ist, z.B. am Standort des auslaufenden Clauberg-Gymnasiums. Um das an dem Beispiel weiter auszuführen: An den bestehenden kleineren Schulen im Umfeld, wie den jetzigen zwei Realschulen könnten kleine Gemeinschaftsschulen (Klassen 5 bis 10) eingerichtet werden. Die Schülerinnen und Schüler, die das Abitur machen wollen, könnten dann das Oberstufenzentrum besuchen. Das Bündnis "Länger gemeinsam lernen in Duisburg" hat ein solches Umwandlungsmodell schon vor einigen Jahren für den Stadtteil Meiderich komplett durchrechnen lassen. Es wäre tatsächlich möglich, mit den vorhandenen Gebäuden innerhalb relativ kurzer Zeit die Schulstruktur zu ändern. In dem Fall wären übrigens auch das Max- Planck-Gymnasium und die Gesamtschule Meiderich weiterhin als Schulen mit gymnasialer Oberstufe berücksichtigt.
Ich hoffe, ich habe mit meinen Antworten meine Vorstellungen deutlich machen können. Wenn nicht, fragen Sie bitte einfach nochmal nach. Sie können mir gerne eine persönliche Mail schicken. (Meine Mailadresse finden Sie leicht im Internet.) Dann verspreche ich auch schneller zu antworten als hier.
Mit besten Grüßen
Marc Mulia