Frage an Katrin Göring-Eckardt von Nicole K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Göring-Eckardt,
am 19.05.2021 soll über das sog. Selbstbestimmungsgesetz abgestimmt werden. Die vorlegten Entwürfe sehen vor, dass Menschen ihr Geschlecht via Sprechakt selbst bestimmen dürfen. Nach dem Selbstbestimmungsgesetz ist eine chirurgische und hormonelle Geschlechtsanpassung nicht mehr notwendig, um als Mann den Status „Frau“ in den Personalausweis eingetragen zu lassen.
Beide Gesetzesentwürfe untersagen das Hinterfragen des selbstgewählten Geschlechts, was dazu führt, dass in Notsituationen Sicherheitskräfte, wie z.B. Bademeister, einen Mann nicht mehr aus einem Umkleideraum für Frauen und Mädchen werfen dürfen, wenn dieser dort eindringt. Wie viele Frauen und Mädchen werden in Großstädten künftig auf den Besuch eines Schwimmbads oder eines Sportvereins verzichten, wenn sie sich nicht vor Männern und männlichen Jugendlichen geschützt fühlen? Wie viele Mädchen werden künftig nicht ohne Begleitung auf eine Toilette gehen können, wenn Männer und männliche Jugendliche, die sich als "Frau" definieren, eine Frauentoilette betreten dürfen?
Die räumliche Geschlechtertrennung, wie in Umkleideräumen, Frauenhäusern, Frauengefängnissen, Frauenpsychiatrien, wurde für Frauen und Mädchen zum Schutz vor Voyeurismus, Exhibitionismus und psychischen und sexuellen Übergriffen geschaffen. Diese Schutzräumen wären keine mehr, wenn jeder, lt. Entwürfen 1x pro Jahr ohne jegliche Überprüfung der Motive (!), sein Geschlecht selbst bestimmen dürfte. Es wird nicht einmal ein polizeiliches Führungszeugnis verlangt, so dass kriminelle Personen jederzeit ihren Geschlechtsstatus ändern könnten - z.B. während eines Prozesses wg. Vergewaltigung, um im Anschluss einer Verurteilung als Vergewaltiger in ein Frauengefängnis verlegt zu werden.
Werde Sie helfen, dass Frauen und Mädchen den räumlichen Schutz vor Männern und männlichen Jugendlichen behalten? Werden Sie gegen das Selbstbestimmungsgesetz stimmen?
Sehr geehrte Frau Kampl,
vielen Dank für Ihre Frage an Frau Göring-Eckardt. Sie hat uns gebeten, Ihnen zu antworten.
Der Gesetzentwurf für ein Selbstbestimmungsgesetz, über den am Mittwoch beraten wird, wurde von der Grünen Bundestagsfraktion eingebracht. Schon seit dem Jahr 2007 wir uns immer wieder intensiv mit dem Transsexuellengesetz auseinandergesetzt, sich mit Fachverbänden beraten und Vorschläge zur Reformierung gemacht. Damit ist sie auch der Forderung des Bundesverfassungsgerichtes nachgekommen, das bereits sechs Mal einzelne Vorschriften des Gesetzes für verfassungswidrig erklärt hat. Auch weitere Vorschriften des TSG stehen verfassungsrechtlich in der Kritik, wie der psychopathologisierende Begutachtungszwang
Nach langen Konsultationen mit Expert*innen, Vertreter*innen verschiedener NGOs und Menschen aus der Praxis hat die GRÜNE Bundestagsfraktion einen Entwurf für ein Selbstbestimmungsgesetz vorgelegt (SelbstBestG: Gesetzentwurf zur Abschaffung des Transsexuellengesetzes und Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes) und dieses am 19. Juni 2020 in erster Lesung in den Bundestag eingebracht.
Ziel des Gesetzesentwurfs ist es, die Grundrechte aller Menschen unabhängig von deren geschlechtlicher Identität in vollem Umfang zu verwirklichen, indem die tatsächlich existente geschlechtliche Vielfalt akzeptiert wird, anstatt Menschen in vorgegebene Raster zu pressen und ihnen das Leben damit zu erschweren. Die Reform beinhaltet:
- die Aufhebung des Transsexuellengesetzes,
- einen selbstbestimmten Zugang zu Namens- und Personenstandsänderung (PStG),
- ein Schutzgesetz für trans- und intergeschlechtliche Menschen (SelbstBestG)
Einige andere europäische Länder haben eine ähnliche Regelung: Schweden (2012), Dänemark (2014), Malta (2015), Irland (2015), Norwegen (2016), Belgien (2018) und Island (2019) haben ein Antragsverfahren ohne Begutachtung für die rechtliche Anerkennung der geschlechtlichen Identität eingeführt (Personenstands- und Namensänderung)
Der Missbrauch von Gesetzen ist nie ganz auszuschließen. Bisher sind auf internationaler Ebene aus Ländern mit ähnlicher Regelung aber nur sehr wenige Einzelfälle bekannt. Eine Anfrage der Grünen Bundestagsfraktion an die Bundesregierung hat gezeigt, dass schwerer Missbrauch einer Selbstbestimmung beim Geschlechtseintrag auch international nicht bekannt ist. Tausenden von Menschen ihr Recht auf Selbstbestimmung nicht zu gewähren, weil einzelne Personen solche Regelungen missbrauchen könnten, steht in keinem Verhältnis zum Leiden der Personen, die um Anerkennung ihrer Persönlichkeit ringen. Den Weg einer Änderung im Personenstand zu gehen ist eine im persönlichen und beruflichen Leben sehr einschneidende Entscheidung. Der Vorwurf, dass cis Männer dies nutzen würden, um auf diesem Weg Frauen Gewalt anzutun, verkennt dies. Trans* Frauen grundsätzlich das Frausein abzusprechen, sie weiterhin als Männer zu bezeichnen und zu potentiellen Tätern zu stilisieren, stigmatisiert und diskriminiert transgeschlechtliche Menschen aufs Äußerste und ignoriert die Lebensrealität und die vielen Hürden, mit denen trans- und intergeschlechtliche Menschen immer noch konfrontiert sind.
Vollkommen klar ist, dass Gewaltschutz von Frauen ohne Wenn und Aber gelten muss. Frauen müssen sich sicher und diskriminierungsfrei im öffentlichen Raum bewegen können. Dies schließt selbstverständlich auch trans* Frauen ein. Deshalb sind Schulen, Sportvereine, Schwimmbäder und ebenso Geflüchteteneinrichtungen oder Obdachlosenunterkünfte etc. dazu aufgefordert ihre Angebote so zu gestalten, dass Gewaltschutz für alle Frauen gewährleistet wird. Schutz zu gewährleisten heißt, konsequent die zu Schützenden in den Mittelpunkt zu stellen und die Hilfestrukturen zu stärken, sodass sie ihrem Schutzauftrag nachgehen können. Damit allen Menschen eine Teilhabe ohne Angst möglich ist, ist es wichtig, dass Toiletten, Umkleiden etc. gendersensibel gestaltet werden und geschützte Rückzugsräume zur Verfügung stehen. Viele Kommunen planen solche öffentlichen Orte inzwischen auf dieser Grundlage. Im Einzelfall muss immer vor Ort entschieden werden, welches Schutzbedürfnis für welche Person besteht, und wie dieses gesichert werden kann.
In Bezug auf Hilfsangebote oder Hilfseinrichtungen für Frauen mit Gewalterfahrung und/oder Traumatisierung müssen spezifische Unterstützungsbedarfe mitgedacht. Lesbische, bisexuelle Frauen sowie trans- und intergeschlechtliche Menschen erfahren Gewalt und Diskriminierung in der Öffentlichkeit, am Arbeitsplatz, in der Familie oder in Beziehungen, aber auch in sozialen Einrichtungen oder Organisationen. So kann eine Mehrfach- Diskriminierung beispielsweise die Hilfesuche und die Überwindung von Gewalt zusätzlich erschweren.
Die Frauenhauskoordinierung berichtet aus der Praxis der Frauenhäuser, dass ihr Personal entsprechend geschult ist. Die Fachfrauen wissen ob die Voraussetzungen vorhanden sind, um eine betroffene Person aufzunehmen und können ihr individuelles Schutzbedürfnis einschätzen. Dies wird mit den (örtlichen) Gegebenheiten der einzelnen Frauenhäuser, ihrem Schutzangebot und der Bedarfe der bereits dort lebenden Frauen in Einklang gebracht. Die Hilfeeinrichtungen entscheiden also im Einzelfall, wie sie Frauen aufnehmen und unterstützen können. Viele Frauenhäuser bundesweit sprechen sich explizit für die Aufnahme von trans* Frauen aus und passen ihre Angebote entsprechend an.
Fälle, in denen Menschen mit trans- oder intergeschlechtlicher Geschichte die Angebote der Schutzräume missbräuchlich genutzt haben, sind nach Rücksprache mit der Geschäftsführerin der Frauenhauskoordinierung (sie vertritt ca. 2/3 der Frauenhäuser in Deutschland) ausdrücklich nicht bekannt.
Der unbegründete Vorwurf, Frauenhäuser seien mit der Einführung eines Selbstbestimmungsgesetzes nicht mehr sicher, diskreditiert auch die professionelle Arbeit der einzelnen Hilfeeinrichtungen. Dort arbeiten erfahrene, sensibilisierte, engagierte Frauen, die dazu ausgebildet sind, potentielle Konfliktsituationen einzuschätzen und entsprechend vorbeugend zu handeln und entscheiden.
Mit freundlichen Grüßen
Büro Göring-Eckardt