Frage an Katrin Göring-Eckardt von Tanja G. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrte Damen und Herren,
finden Sie es ein richtiges Signal, dass in diesen Zeiten wieder die Hartz 4-Sätze erhöht werden? Arbeitnehmer treten kürzer (Kurzarbeit, Ausfälle...). Selbstständige kämpfen um die Existenz, manche gehen bankrott.
Und warum mutet man denen, die jahrelang nicht arbeiten gehen obwohl sie könnten, nicht zu bspw, in Wohngemeinschaften zu leben? (Studenten müssen das aus Kostengründen auch). Warum bekommen die alle Möbel "neu" bezahlt. Die Kleinanzeigenofferten sind VOLL mit guten, gebrauchten Möbeln. Wer soll die denn nutzen? Die Geringverdiener? Die für sich selbst aufkommen? WARUM bitte?
Warum müssen die Nicht-Vermittelbaren nicht auch 8 Stunden/Tag irgendetwas (!) tun zwecks Motivation und sozialer Gerechtigkeit?
Bspw. Vorlesen in Seniorenheimen. Unkrautzupfen auf Pflasterflächen? Lotsendienste auf Schulwegen ...
Ich kenne Fälle, da weigern sich schon Teenager mit Inbrunst, einen Abschluss zu machen oder sich irgendwo ernsthaft zu bewerben etc. Und sie bekommen meist mehr Taschengeld als Altersgenossen aus Arbeiterfamilien.
Die Motivation ist nicht mehr gegeben, wenn das Geld ohne jegliche Gegenleistung ausgezahlt wird. Und fürs Kinderkriegen gibt es Boni obwohl die nur das Elend in die nächste Generation tragen.
Das ist doch weitab davon "gerecht" zu sein. Weit, weit ab....
Bitte gehen Sie in Ihrer Antwort auf die einzelnen Fragen ein. Danke.
Mit freundlichen Grüßen
Tanja
Sehr geehrte Frau Georg,
vielen Dank für Ihre Frage an Frau Göring-Eckardt. Sie hat uns gebeten, Ihnen zu antworten.
Artikel 1 Grundgesetz sichert allen Menschen in unserem Land ein Leben in Würde zu. Hartz IV, die Grundsicherung, hat die Aufgabe, Menschen vor Armut zu schützen und ihnen eine selbstbestimmte Teilhabe, die sich aus Artikel 1 ergibt, zu ermöglichen.
Bevor wir auf ihre zentrale Frage, ob die Hartz IV Sätze erhöht werden sollten, wollen wir aber ein paar grundsätzliche Punkte zu Hartz IV erörtern. Vielleicht der wichtigste Punkt: Menschen, die Hartz IV beziehen, sind mitnichten "ohne Motivation". Es sind auch keine Menschen, "die nicht arbeiten gehen, obwohl sie könnten." Ganz im Gegenteil. Jeder vierte Hartz IV Bezieher geht arbeiten, muss aber mit Sozialleistungen aufstocken, da das Einkommen allein nicht ausreicht, um den Lebensunterhalt zu bestreiben. Dazu kommen viele Menschen, die Grundsicherung im Alter beziehen (also bereits das Rentenalter erreicht haben) oder Erwerbsminderungsrenten mittels der Grundsicherung aufstocken. Alle diese Menschen befinden sich in existentiellen Nöten und sind von gesellschaftlicher Teilhabe oftmals ausgeschlossen. Im Übrigen sind Menschen, die Hartz IV beziehen, zur Mitwirkung angehalten, andernfalls können Sanktionen ausgesprochen und Leistungen gekürzt werden. Ein System, über das man zurecht streiten kann.
Auch ist es nicht zutreffend, dass Hartz IV Empfänger "alle Möbel 'neu' bezahlt" bekommen. Der Regelbedarf, den Hartz IV Empfänger erhalten, beinhaltet als pauschalen Anteil auch die Kosten für mögliche Einrichtungsgegenstände. Einzig bei Menschen, die zum ersten Mal in eine eigene Wohnung ziehen, einen Hausstand also komplett neu begründen, gibt das Amt Unterstützung in Geld oder Sachleistungen. Auch hier handelt es sich um eine Pauschale, die nur für wenige und äußerst günstige Möbel reicht.
Ihre Überlegung mit den Wohngemeinschaften erscheint vielleicht naheliegend, allerdings möchten wir uns einen Hinweis erlauben: Studierende wohnen freiwillig in Wohngemeinschaften. Sie werden nicht von Amts wegen dazu gezwungen. Ein solcher Zwang wäre mit einer ganzen Reihe von Grundrechten unvereinbar, angefangen bei Artikel 1.
Fakt ist: Wer seinen Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten kann, muss sich auf die Grundsicherung verlassen können, die ein würdevolles Leben und gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht. Das tut sie im Augenblick nicht, eine Reform der Regelsätze und der Methode ihrer Ermittlung ist dringend erforderlich. Mehr dazu können sie hier nachlesen: https://www.gruene-bundestag.de/files/beschluesse/beschluss-garantiesicherung.pdf
Fakt ist auch: Wer arbeitet, soll von der Arbeit gut leben können. Es ist nicht akzeptabel, dass manche Arbeit so niedrig bezahlt wird, dass sie zum Leben nicht reicht und die Menschen mit Hilfe zusätzlicher staatlicher Leistungen ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen. Deshalb muss auch der Mindestlohn deutlich steigen.
Mit freundlichen Grüßen
Büro Göring-Eckardt