Frage an Katrin Göring-Eckardt von Daniel S. bezüglich Familie
Sehr geehrte Frau Göring-Eckhardt,
Ich lese Ihre Antworten in Bezug auf Familie mit besonderen Interesse. Ich möchte sie daran erinnern das unsere Mütter und Väter des Grundgesetzes besonderen Wert auf den Schutz von Ehe und Familie legten. Nach meinen Verständnis gilt der Begriff der Familie selbstverständlich in der heutigen Zeit auf die vielfältigen Formen der Familien. Wie halten sie es mit der Gleichstellung von behinderten Kindern? Als Vater habe ich häufig leider das Gefühl das gerade grüne Frauen uns als Väter Verantwortung für unsere Kinder zu tragen nicht zutrauen. Das ist auch gesellschaftlich noch ein großes Problem. Ich musste im wahrsten Sinne des Wortes um das Recht nicht nur als Zahlmeister sondern um die Anerkennung der Vaterschaft mit unseren Behörden ringen und bin meiner Frau sehr dankbar das sie mir mit unserer Nothochzeit nicht nur die Krankenversicherung unseres Herzkranken Sohnes ermöglichte sondern auch den schnelleren Weg zu den Rechten als Vater.
Wir wollen Gleichberechtigung, dann müssen sie als Mütter den Vätern die Verantwortung tragen wollen auch zulassen. Im Sinne des Kindeswohl.
Familie heute sehr bunt, Patchworkfamilie, Alleinerziehende Mutter oder aber auch Vater, Gleichgeschlechtliche Ehen mit Kindern gehören selbsverständlich auch dazu.
Umso mehr bedauer ich aber den Einsatz für die Gleichstellung von behinderten Kindern die in unserer Gesellschaft noch nicht angekommen ist.
In Bereich der Bildung sehe ich die Inklusion gerade in Thüringen auf einen sehr schweren Weg aus eigenen Erlebnissen in Gotha und den Schulen dort. Es fehlt weiter an den baulichen Umsetzungen als auch erst recht an geschulten Personal. Förderschullehrer.
Weiter fehlt es im sozialen Bereich an Familienhelfern und Sozialarbeitern nicht nur in Thüringen, sondern Bundesweit. Wie sieht es also aus mit den besonderen Schutz der Familie? Wie gehen wir mit Familien um die nicht nur Pflegebedürftige Eltern sondern auch behinderte Kinder haben?
Vielen Dank
Daniel Senger
Sehr geehrter Herr Senger,
vielen Dank für Ihre Nachricht bezüglich der sorgerechtlichen Anpassungsbedürfnisse und die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Schulbereich. Nachfolgend möchten wir Ihnen die GRÜNE Position zu diesem Themenbereich erläutern.
Die Lebenswelten von Familien befinden sich schon lange in einem Prozess der Ausdifferenzierung und des Umbruchs. Die Familienformen sind vielfältiger, Lebensverläufe individueller aber gleichzeitig auch unsteter geworden. Geschlechterverhältnisse und Rollenverteilungen sind in Bewegung geraten. Kinder werden heute ungleich stärker als eigenständige Persönlichkeiten mit spezifischen Rechten und Ansprüchen wahrgenommen. Verstärkt werden diese Prozesse gesellschaftlichen Wandels durch eine rasante ökonomische und gesellschaftliche Dynamik. Sie verlangt gerade von Familien enorme Anpassungsleistungen, eröffnet aber auch Chancen für individuelle Lebensgestaltung.
Diese Veränderung der Realität erfordert familienpolitische Neubestimmungen. Um Familien in ihrer Vielfalt zu unterstützen, brauchen wir einen Paradigmenwechsel in vielen Politikbereichen – beim konsequenten Ausbau Familien unterstützender Infrastruktur, bei der Entwicklung neuer Lebensphasenpolitik und Arbeitszeitmodelle bis hin zu grundlegenden Reformen in der Steuer- und Sozialpolitik. Bereits in der letzten Wahlperiode hat sich die Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen deshalb auch für eine Neuregelung des Sorgerechts eingesetzt. Wir waren die einzige Bundestagsfraktion, die Vätern schon damals die Möglichkeit schaffen wollte, beim Familiengericht einen Antrag auf Erteilung des gemeinsamen elterlichen Sorgerechts stellen zu können (Drucksache 16/9361).
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat im Dezember 2009 entschieden, dass die Regelung zum Sorgerecht für unverheiratete Väter eine Benachteiligung dieser gegenüber Müttern und verheirateten Vätern darstellt. Das deutsche Recht verstoße damit gegen die Europäische Menschrechtskonvention. Im Juli 2010 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sein Urteil aus dem Jahr 2003 revidiert. Es kommt zu dem Schluss, dass das verfassungsgeschützte Elternrecht des Vaters eines nichtehelichen Kindes verletzt ist. Der Vater ist generell ohne Zustimmung der Mutter von der Sorgetragung für sein Kind ausgeschlossen. Er kann nicht gerichtlich überprüfen lassen, ob es aus Gründen des Kindeswohls angezeigt ist, ihm zusammen mit der Mutter die Sorge für sein Kind einzuräumen oder ihm anstelle der Mutter die Alleinsorge für das Kind zu übertragen.
Auf Grundlage dieser Entscheidungen vertritt die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen folgende Position (siehe auch die Drucksache 17/3219):
Für uns gilt der Grundsatz, dass alle Kinder die gleichen Rechte haben. Diesem Grundsatz muss das Familienrecht gerecht werden. Auch sollte das Familienrecht nicht unbegründet zwischen Kindern unterscheiden, deren Eltern verheiratet sind und denen, deren Eltern nicht verheiratet sind. Eltern haben ein genuines und von der Verfassung geschütztes Recht für ihre Kinder die Verantwortung zu tragen und verantwortungsbewusst Entscheidungen stellvertretend für und im Sinne ihrer Kinder zu treffen; sie stehen aber auch in dieser Verpflichtung. Wenn es dem Kindeswohl nicht widerspricht, sollten Vater und Mutter gleichberechtigt behandelt werden. Kinder sollten ein Recht darauf haben, dass beide Eltern für sie die Verantwortung übernehmen, die sich auch im Sorgerecht ausdrückt. Alle Väter, die sorgerechtliche Verantwortung für ihr Kind übernehmen wollen, sollen diese unter vergleichbaren Bedingungen erhalten können. Ein Vater soll zukünftig jederzeit ab Anerkennung der Vaterschaft beim Jugendamt die gemeinsame Sorge beantragen können. Das Jugendamt erteilt sie, wenn die Mutter dem nicht widerspricht oder dem Jugendamt keine Kindeswohl gefährdende Aspekte bekannt sind. Die Mutter soll acht Wochen Zeit haben, dem Anliegen des Vaters zu widersprechen. (Dieser Zeitraum kann sich gegebenenfalls um den Mutterschutz verlängern.) Wenn die Mutter widerspricht, erhält der Vater die gemeinsame Sorge im "Jugendamtsverfahren" nicht. Er kann dann jedoch einen Antrag beim Familiengericht stellen. Dasselbe gilt, wenn das Jugendamt eine Kindeswohlgefährdung festgestellt hat. Auch die Mutter soll umgekehrt die Möglichkeit bekommen, beim Jugendamt zu beantragen, dass der Vater mit ihr gemeinsam die elterliche Verantwortung wahrnimmt. Das Verfahren soll dann ähnlich gestaltet sein, jedoch muss der Vater innerhalb einer Frist von acht Wochen dem Antrag der Mutter zustimmen. Erfolgt diese Zustimmung nicht, wird das gemeinsame Sorgerecht vom Jugendamt nicht erteilt. Unser Ziel ist es also, Konflikte um die elterliche Verantwortung gar nicht erst entstehen zu lassen.
Bezüglich der Gleichstellung in unserem Bildungssystem stimmen wir Ihnen zu: Hier gibt es noch viel zu tun, um die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen umzusetzen und für ein inklusives Bildungssystem zu sorgen. Dafür müssen die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Erst drei Bundesländer haben ihre Schulgesetze den neuen Anforderungen angepasst und verfolgen wie in Bremen einen Plan zur nahezu vollständigen Abschaffung der Sonderschulen oder machen das Recht auf Gemeinsamen Unterricht nicht von den vorhandenen Mitteln der Schule abhängig (Berlin, Hamburg). Die Bundesbildungsministerin gibt zwar gelegentlich Lippenbekenntnisse zur Inklusion ab, wirkt aber nicht entsprechend auf die Länder ein.
Gleiche Teilhabe und Chancen für alle Menschen müssen über inklusive und qualitativ hochwertige Betreuungs- und Bildungseinrichtungen eröffnet werden. In allen Bildungsstufen von der frühkindlichen über die schulische, berufliche bis zur akademischen sowie Aus- und Weiterbildung muss Inklusion Leitbild und gelebte pädagogische Praxis werden. Die Bundesregierung ist deshalb aufgefordert, mit den Ländern ein neues Ganztagsschulprogramm auszuhandeln, dessen Mittel auch dafür genutzt werden können, an den Schulen die Voraussetzungen und Bedingungen für das Recht auf inklusive Bildung zu schaffen. Deswegen muss die Bundesregierung endlich initiativ werden, um das Kooperationsverbot in der Bildung im Grundgesetz aufzuheben. Außerdem muss ein realistischer Zeitplan zu erarbeitet werden, wie der Rechtsanspruch auf inklusive Bildung schnellstmöglich, aber auch mit hoher Qualität und Akzeptanz bei allen Beteiligten umgesetzt werden kann.
Angesichts der hohen Förderschulquote in Thüringen brauchen wir ein ganzheitliches Konzept, wie Thüringen den Weg zu einem chancengerechten und diskriminierungsfreien Bildungswesen beschreiten und dabei Eltern, Lehrerinnen und Lehrer und die Schülerinnen und Schüler mitnehmen kann. In diesem Zusammenhang können wir Ihnen auch die Studie "Zum Stand und zu den Perspektiven inklusiver sonderpädagogischer Förderung in Thüringen" empfehlen, welche im Auftrag der Thüringer Grünen Landtagsfraktion entstanden ist und online unter http://gruenlink.de/em9 abgerufen werden kann. Im europäischen Vergleich ist Thüringen außerdem Schlusslicht bei Schulsozialarbeit und Schulpsychologie. Hier blockiert die CDU seit Jahren das vom eigenen Koalitionspartner SPD angekündigte Landesprogramm für Schulsozialarbeit. 90 SchulsozialarbeiterInnen für 240.000 SchülerInnen sind definitiv zu wenig, um den besonderen Bedürfnissen von Schülerinnen und Schülern im Schulalltag gerecht zu werden. Hier wird an falscher Stelle gespart, denn die Folgekosten sind enorm.
Unter diesen Bedingungen rückt eine zukunftsfähige und auf Teilhabe und Gleichberechtigung ausgerichtete Bildungslandschaft in weite Ferne. Einen Aufschub, den wir uns nicht leisten können.
Mit freundlichen Grüßen
Büro Katrin Göring-Eckardt