Sehr geehrte Frau MdEP Jutta Paulus (Bündnis 90 / DIE GRÜNEN), DEUTSCHLAND wurde von *Journalisten ohne Grenzen* PRESSEFREIHEIT von Platz 16 auf 21 herunter gestuft. Was sagen Sie zu der Herabstufung?
Danke für Ihre freundliche Anfrage zur Herabstufung Deutschlands im Pressefreiheitsranking von Reporter ohne Grenzen (RSF). Ich bin kein Mitglied des Innenauschuss des Europäischen Parlamentes ( LIBE) und verfolge die einzelnen Indikatoren nicht regelmäßig im Detail, möchte aber gern kurz auf Ihre Frage aus meiner eigenen parlamentarischen Arbeit eingehen:
Neben dem Vorbeiziehen/Verbessern einzelner Länder sind zwei Indikatoren für den verschlechterten Rankinplatz Deutschlands im RSF-Bericht ausschlaggebend: Sicherheit und rechtlicher Rahmen. Laut RSF gab es im Jahr 2022 so viele physische Angriffe auf Journalist*innen wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen in 2015. Ingesamt 103 erfasste Fälle 87 davon sind verschwörungsideologischen, antisemitischen und rechtsextremen Kontexten zuzuordnen. Zudem erleben Medienschaffende zunehmend Queerfeindlichkeit, Sexismus und Rassismus. RSF kritisiert darüber hinaus das Gesetz zur Chatkontrolle, das novellierte BND-Gesetz und das Artikel-10 Gesetz in Deutschland.
Presse- und Meinungsfreiheit sind maßgebliche demokratische Rechte und es ist Verantwortung und Pflicht des Staates, diese zu schützen. Sie sind auch Bestandteil der Kopenhagener Kritierien und ihre Wahrung für EU-Mitgliedsstaaten verpflichtend. Das europäische Parlament veröffentlicht jedes Jahr einen Bericht zu Grundrechten in der EU. Federführend ist hier der Innensausschus (LIBE): https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2022-0325_DE.html
Daraus Zitat: "79. stellt fest, dass sich mehrere Mitgliedsstaaten in den internationalen Ranglisten zur Pressefreiheit verschlechtert haben, betont, dass den öffentlich-rechtlichen Medien eine unverzichtbare Rolle zukommt und ihre Unabhängigkeit von politischer Einflussnahme sichergestellt und aufrechterhalten werden muss, verurteilt nachdrücklich jede Bedrohung der Medienfreiheit, daruner auch Schikane gegen und Übergriffe auf Journalisten und Hinweisgeber, die Missachtung ihres rechtlichen Schutzes, die Vereinnahmung der Medien, sowie politisch motivierte Eingriffe in die Medienbranche."
Meine Kolleg*innen im LIBE könnnen sicherlich detaillierte Informationen zu EU-Maßnahmen, Statistiken etc. zur Gewalt an Journalist*innen, ihrer Sanktionierung und Vorbeugung geben. Hier ein Erfahrungsbericht aus meiner eigenen parlamentarischen Arbeit:
Als Mitglied im Sonderausschuss zur Corona-Pandemie (COVI) habe ich mich unter anderem auch mit Verschwörungstheorien, Falschinformationen und damit einhergehender steigende Gewaltbereitschaft beschäftigt. Wir wissen alle: Hassrede führt früher oder später zu Gewalt. Gezielte und organisierte Falsch- und Fehlinformation tritt europaweit immer häufiger auf, oftmals befeuert durch rechtsextreme und/oder staatsfeindliche Netzwerke. Das konnte auch in der Corona-Pandemie beobachtet werden, inklusive Angriffe auf Journalis*innen, aber auch Expert*innen, Politiker*innen, Gesundheitsbedienstete etc.
Der COVI-Ausschuss erarbeitet aktuell in diesem Zusammenhang einen Bericht mit Empfehlungen an die EU-Kommission, der im Juli abgestimmt werden soll. Der Bericht wird unter anderem auf die Verbreitung von Mis- und Desinformation und Maßnahmen zu ihrer Vermeidung eingehen. Uns GRÜNEN/EFA ist hierbei wichtig, dass Hass, Hetze und Falschinformation nicht nur bekämpft werden, sondern die dafür ergriffenen Maßnahmen nicht zu Lasten der Presse- und Meinungsfreiheit gehen. Gleichzeitig sind Maßnahmen gegen Falschinformation notwendig, um Gewalt gegen Journalis*innen zu vermeiden. Wir betonen in diesem Zusammenhang z.B. eine Berücksichtigung von Algorithmen bei der Verbreitung und Vermehrung von Falschinformationen. Soziale Netzwerke müssen verstärkt in die Pflicht genommen werden. Leider waren keine Vertreter*innen der großen Social Media Plattformen bereit uns Abgeordneten Rede und Antwort zu stehen.