Frage an Günter Krings von Bernd R. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Krings,
Sie schrieben hier am 11.09.2013: "§ 159 Abs 4 FamFG ... sieht jedoch vor, dass das Gericht das Kind im Fall einer Anhörung ... informiert. Dabei dient die einleitende Information VOR ALLEM auch DEM GERICHT: sie vermittelt einen ersten Eindruck über die Einsichtsfähigkeit und psychische Belastbarkeit des Kindes (Schumann in Münchener Kommentar/ZPO § 159 FamFG Rn 10)." ( http://www.abgeordnetenwatch.de/guenter_krings-1031-71063--f400172.html#q400172 ).
Die Wahrung der Interessen des Kindes wird demgegenüber vor allem durch die Bestellung eines Verfahrensbegleiters nach § 158 FamFG gesichert.
Diesem obliegt die Erfassung der tatsächlich bestehenden kindlichen Wünsche, Vorstellungen und Bedürfnisse, deren Übermittlung an das Gericht, die Wahrung aller verfahrensmäßigen Einflussmöglichkeiten, um die Interessen des Kindes zur Geltung zu bringen, und die Begleitung des Kindes durch das gerichtliche Verfahren" (Schumann, in Münchener Kommentar/ZPO § 158 FamFG, Rn 25ff)."
Hierzu habe ich folgende Fragen:
1.) Wie kann denn ein Jurist bei Kindern von 1-14 (und Jugendlichen bis 18) Jahren "Einsichtsfähigkeit und psychische Belastbarkeit des Kindes" fachmännisch beurteilen?
2.) Wie sollte ein Verfahrenspfleger "kindlichen Wünsche, Vorstellungen und Bedürfnisse" - also Privatestes - in das Verfahren einbringen, ohne ggf. zu riskieren, für die Streitverschärfung in der Familie bis zur Verwirkung von Rechten des Kindes gegen einen Elternteil verantwortlich gemacht zu werden?
3.) In Sorgerechtsverfahren geht es doch in der Regel um wichtige Eigenarten der Eltern, welche die Sorgerechtskompetenz beeinflussen und zum Beispiel die Grundlage sind für einen Sorgerechts(teil)entzug bzw. das Zuprechen alleiniger Kompetenz auf einen Elternteil auf der Grundlage einer prognostischen Einschätzung (Mit welcher Regelung es dem Kinde besser gehe).
Wieso dürfen dazu überhaupt Daten beim Minderjährigen erhoben werden?
Mit frdl. Gruß
Bernd Rieder
Sehr geehrter Herr Rieder,
mit Ihrer Anfrage nehmen Sie Bezug auf meine Ausführungen zur Wahrung der Rechte des Kindes in Verfahren der Familienfürsorge vom 11.9.2013.
Der Gesamtschau Ihrer Fragen entnehme ich, dass es Ihnen weniger um eine rein juristische Betrachtung der aufgeworfenen Probleme geht. Vielmehr klingt aus
Ihrer Nachricht ein Misstrauen gegenüber der Fähigkeit der Justiz durch, in familiären Konflikten entscheiden zu können. Im Einzelnen weisen Sie damit in der Tat
auf Schwierigkeiten hin, denen der Gesetzgeber und die Rechtspraxis in Familiensachen regelmäßig gegenüberstehen:
Der Frage der familiären Lebensplanung, vor allem in Bezug auf die Sorge für und die Erziehung der Kinder gehören zum Bereich der höchstpersönlichen Lebensführung
eines jeden Bürger. Ein Bereich in dem der Staat die Privatsphäre und Autorität der einzelnen Bürger achten muss und nur subsidiär eingreifen darf. Konflikte in
Partnerschaften und Familien, zwischen Elternteilen untereinander ebenso wie zwischen Eltern und Kindern sollten im Idealfall familienintern, gegebenenfalls auch durch Unterstützung aus dem weiteren familiären oder privaten Umfeld gelöst werden.
Das Eingreifen des Staates sollte hier die ultima ratio bleiben. Es ist dann gerechtfertigt, wenn die Beteiligten selbst den Weg zu den öffentlichen Institutionen der
Familienhilfe oder auch den Gerichten suchen oder, wenn der Schutzauftrag des Staates gegenüber seinen Bürger, insbesondere Minderjährigen, dies erfordert.
Gerade zum Schutz der Kinder als schwächstem Glied in gravierenden Familienstreitigkeiten ist staatliches Eingreifen häufig die letzte Chance und auch Hoffnung.
Verfahren in Rechtsstreitigkeiten der Familienfürsorge werden in Deutschland von Richtern entschieden, die in der Regel jahrelange Erfahrung in Familienrechtssachen
mitbringen. Diese kann und soll jedoch nicht die fachliche Expertise von Ärzten, Psychologen und Sozialarbeitern ersetzen. So heißt es in der auch von Ihnen zitierten Stelle, dass der Richter sich durch die einleitende Information einen ersten Eindruck verschaffen kann. Sofern Zweifel an der "Einsichtsfähigkeit und psychischen Belastbarkeit des Kindes" aufkommen oder der Richter sich eine Einschätzung aus eigener Kompetenz nicht zutraut, kann er fachlichen Rat hinzuziehen und die Frage durch ein Sachverständigengutachten klären lassen. Gerade in diesen Fällen entscheidet der Richter also nicht allein, sondern holt Rat von Sachverständigen ein.
Die Verfahrensbeistände wiederum sind seit dem Jahr 2000 in der Bundesarbeitsgemeinschaft Verfahrensbeistandschaft / Interessenvertretung für Kinder und Jugendliche e. V.organisiert (BAG). In den gemeinsamen Standards ist niedergelegt, dass der Verfahrensbeistand eine juristische, pädagogische oder
psychosoziale Grundausbildung habenund über eine für die Aufgabe geeignete
Zusatzqualifikation verfügen soll, in der juristische, pädagogische und
psychologische Kompetenzen erworben und im Hinblick auf die besondere Aufgabe des Verfahrensbeistands integriert werden. Diese Zusatzqualifikationen müssen bei einem von der BAG anerkannten Weiterbildungsträger erworben werden. So wird eine höchstmögliche Eignung und Befähigung der Personen, die als
Verfahrensbeistände nach § 158 FamFG auftreten, sichergestellt. Darüberhinaus sollte Ziel aller Verfahrensbeteiligter stets die Schlichtung, nicht die Schürung des Konflikts sein. Gerade der Verfahrensbeistand, der zwar allein die Interessen desKindes vertritt, wird sicherlich besonders deutlich erkennen, dass eine Schlichtung, anders als etwa die Eskalation eines Konflikts, dem Interesse des Kindes am ehesten entsprechen wird.
Im Übrigen halte ich es für einen wichtigen und unerlässlichen Umstand, dass in Familienrechtsstreitigkeiten, insbesondere Sorgerechtsstreitigkeiten, die Kinder mit ihren Interessen vertreten sind und als unmittelbar Betroffene angehört werden. Das Ziel des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen ist es, insbesondere mit Blick auf
Verfahren zu Fragen des Sorgerechts, das Wohl des Kindes zu sichern. Das Kind hier nicht zu hören, hieße es zum Objekt des Verfahrens zu machen. Die Betreuung durch
einen Verfahrensbeistand sichert dabei, dass die Stimme des Kindes angemessen Berücksichtigung findet und seine Interessen gewahrt werden.
Mit freundlichen Grüßen
Günter Krings