Portrait von Gregor Gysi
Gregor Gysi
DIE LINKE
93 %
386 / 413 Fragen beantwortet
Frage von Mario S. •

Frage an Gregor Gysi von Mario S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte/r Abgeordnete/r,

ich schreibe gerade meine Bachelorarbeit zu den Jamaika-Sondierungen 2017. Um möglichst viele Eindrücke, Hintergründe und Ideen zu sammeln, habe ich mich entschlossen, Sie als gewählte/r Abgeordnete/r anzuschreiben. Dabei interessiert mich vor allem Ihre Meinung zu den gescheiterten Verhandlungen. Was könnte der Grund für das Scheitern sein? Welche Folgen machen Sie an dem Scheitern fest? Wie haben Sie die Verhandlungen und das Ergebnis verfolgt?
Welche Motivation gibt/gäbe es für Ihre Partei, in eine Regierung einzutreten und wie können Parteien wieder stärker die Gunst des Wählers erlangen? Welchen und wie viel Einfluss haben politische Parteien in Deutschland in der heutigen Zeit, auch im Vergleich zu anderen (europäischen) Ländern?
Abschließend würde mich noch interessieren, ob und inwiefern unser politisches (Wahl-)System in Zusammenhang mit der Thematik steht und wie es reformiert werden könnte.

Über Ihr Mitwirken würde ich mich sehr freuen. Falls Sie weitere Informationen (Links, Berichte etc.), wäre ich Ihnen sehr dankbar. Vielen Dank.

Mit freundlichen Grüßen
M. S.

Portrait von Gregor Gysi
Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr S.,

vielen Dank für Ihre Nachricht vom 16. April. Sie stellen so viele Fragen, dass ich ja längere Zeit benötigte, um all dies zu durchdenken und Ihnen umfassend zu antworten. Das schaffe ich beim besten Willen nicht. Deshalb kurz folgende Stellungnahme:

Meines Erachtens sind die Verhandlungen daran gescheitert, dass die FDP nicht wirklich entschlossen war, in eine Regierung mit den Grünen auf Bundesebene einzutreten. Sie dachte, in Opposition erfolgreicher zu sein, was auch ein Irrtum sein kann. Die Grünen sollen sich bei der Bundeskanzlerin sehr angebiedert haben, es hat ihnen auch nichts genutzt. Wahrscheinlich stimmte auch von Anfang an die Chemie zwischen den Dreien nicht. Außerdem glaube ich, dass die Bundeskanzlerin von Anfang an eine Wiederholung der Großen Koalition wollte und nicht die Jamaika-Koalition. Deshalb wird sie auch nicht mit Leidenschaft gekämpft haben. All das sind aber nur Vermutungen von mir.

Eine Partei, die bei Wahlen antritt, muss auch versuchen, Entscheidungen mittreffen zu können, also in eine Regierung zu gehen. Das geht allerdings nur, wenn man auch kompromissbereit ist. Wer nicht kompromissbereit ist, ist nicht demokratiefähig. Allerdings muss man aufpassen, nicht zu viele Kompromisse zu machen, weil man dann seine Identität verliert. Deshalb sage ich, alle Kompromisse müssen in die richtige Richtung gehen. Man darf keinem Kompromiss in die falsche Richtung zustimmen. Aber die Kompromisse können weniger enthalten als man sich wünschte.
Das Interesse der Menschen kann nur erweitert werden, wenn die Politik glaubwürdiger wird. Argumente werden benutzt, wie man sie benötigt. Einmal rechtfertigt man mit Menschenrechtsverletzungen einen Krieg, in einem anderen Fall stört es nicht, einem Staat, der Menschenrechte verletzt, Waffen zu liefern. Wie soll so Glaubwürdigkeit entstehen?

Ich schlage schon seit längerem Erweiterungen des Wahlrechts vor. Kann hier aber nur kurz darauf eingehen. Meines Erachtens müssten die Wählerinnen und Wähler die Möglichkeit erhalten, auf den Listen der Parteien durch drei Stimmen Veränderungen vornehmen zu können. Es kann nicht sein, dass die Landesverbände der Parteien allein über die Reihenfolge der Kandidatinnen und Kandidaten entscheiden. Außerdem würde ich die Bundestagswahlen mit Volksentscheiden verbinden.

Mit freundlichen Grüßen
Gregor Gysi

Was möchten Sie wissen von:
Portrait von Gregor Gysi
Gregor Gysi
DIE LINKE