Frage an Gregor Gysi von Johannes N. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Gysi,
da Sie sich am 06.02.19 hier nicht zu Artikel 11 und 13 äußern konnten, wollte ich diesbezüglich noch einmal nachfragen, da die Finale Form schon ausgehandelt wurde.
Wie sehen Sie diese Reform aus juristischer Perspektive? Zudem, wie ist Ihre Haltung ggü. der gesamten Auseinandersetzung mit diesem Thema von unserer regierende Koalition, den "neuen" und "alten" Medien sowie der allgemeinen Umgang mit den protestierenden?
Ich bedanke mich sehr für eine Antwort.
Mit freundlichen Grüßen,
J. N.
Sehr geehrter Herr N.,
Ihr Anfrage hat mich erreicht. DIE LINKE lehnt zentrale Regelungen des vorliegenden Entwurfs zur europäischen Urheberrechtsreform, namentlich Artikel 13 (Uploadfilter) und Artikel 11 (Leistungsschutzrecht für Presseverlage), ausdrücklich ab. Die Abgeordneten der LINKEN im Europaparlament haben daher bereits im September 2018 geschlossen gegen das entsprechende Verhandlungsmandat gestimmt, und dies als einzige unter den im Bundestag vertretenen Parteien (CDU/CSU und der Großteil der SPD haben zugestimmt, ebenso wie etwa der Hälfte der Grünen, FDP und über die Liste der AfD gewählten Abgeordneten).
Artikel 13 würde in der jetzt vorliegenden Version Online-Plattformen zwingen, bei ihnen hochgeladene Inhalte automatisiert auf Urheberrechtsverletzungen zu scannen. Uploadfilter sind allerdings völlig ungeeignet, urheberrechtlich erlaubte von unerlaubten Nutzungen zu unterscheiden. Kein Computerprogramm kann den Kontext eines Werkes so einordnen, dass es etwa eine Parodie oder ein urheberrechtlich zulässiges Zitat erkennen kann. Die praktischen Erfahrungen mit dem begrenzten Einsatz von Uploadfiltern auf Plattformen wie Youtube oder Facebook bestätigen diese Probleme. Ein flächendeckender Einsatz von Uploadfiltern wäre also eine ernsthafte Bedrohung der Meinungsfreiheit. Die damit aufgebaute Infrastruktur würde auch andere Eingriffe erleichtern. Schließlich wären insbesondere für kleinere Diensteanbieter damit auch hohe Kosten und rechtliche Unsicherheit verbunden.
Mit Artikel 11 soll das bereits in Deutschland vor einigen Jahren eingeführte Leistungsschutzrecht für Presseverlage europaweit eingeführt werden. Das Leistungsschutzrecht ist bereits in Deutschland auf ganzer Linie gescheitert: Nicht nur hat es keinerlei Einnahmen generiert, es hat die Marktposition von Google gegenüber kleineren Nachrichtenaggregatoren sogar gestärkt. Die jetzt drohende Version ist aber in einem Punkt noch deutlich weitergehend: Sie bezieht sich, anders als das deutsche Leistungsschutzrecht, nicht nur auf Suchmaschinen. Damit würde in Zukunft bereits das Zitieren von journalistischen Inhalten zu einem rechtlichen Risiko. In Zeiten, in denen wir auf unabhängigen, qualitativ hochwertigen Journalismus und seine möglichst weite Verbreitung angewiesen sind, wäre dies nahezu fatal.
Die Urheberrechtsreform wird immer wieder damit begründet, sie würde die Rechte der Kreativen stärken und insbesondere die großen Internetkonzerne wie Google und Facebook zu ihren Gunsten stärker in die Pflicht nehmen. Dazu ist der vorliegende Entwurf aber leider gänzlich ungeeignet.
Den Interessen der Kreativen wäre vor allem damit gedient, über die Verwertung ihrer Werke im Einzelnen informiert zu sein und auch vergütet zu werden. Das, was in der Reform in dieser Richtung noch im Verhandlungsmandat des Europaparlaments vorgesehen war und auch Total-Buy-Out-Verträge, also eine pauschale Übertragung aller Rechte ohne weitergehende Ansprüche, erschwert hätte, ist im Entwurf unter dem Druck großer Verlagsunternehmen wieder gestrichen oder relativiert worden. Umgekehrt werden mit Artikel 12 sogar über Verwertungsgesellschaften wahrgenommene Vergütungsrechte von Urheber*innen auf Verlage übertragen.
Was Google, Facebook und Co. angeht, ist es unserer Auffassung nach fraglos richtig, dass diese großen Konzerne stärker in die Verantwortung genommen werden müssen, auch finanziell. Dazu ist ein erster dringender Schritt eine faire Besteuerung ihrer Profite, perspektivisch muss es auch darum gehen, Alternativen zu ihren Geschäftsmodellen zu schaffen. Eine Verpflichtung zum Einsatz von Uploadfiltern ist aber wenig hilfreich. Zum einen sind es gerade die großen Plattformen, die bereits jetzt solche Technologien einsetzen und wohl auch am wenigsten Probleme hätten, ihren Einsatz fortzuführen und auszubauen. In anderen Kontexten hat Facebook, wie inzwischen bekannt ist, sogar für den Einsatz von Uploadfiltern lobbyiert. Kleinere Plattformen hätten damit ein größeres Problem und müssten gegebenenfalls sogar die Filtersysteme der Großen als Dienstleistung in Anspruch nehmen, was auch unter dem Aspekt des Datenschutzes ein Problem ist.
Zum anderen werden Uploadfilter auch keine zusätzliche Vergütung generieren, denn ihr Einsatz soll die Plattformen ja gerade von der Haftung für Urheberrechtsverletzungen entbinden. Wie die nun in Artikel 13 aufgenommene Pflicht zur Lizenzierung zu verstehen sein soll, ist völlig unklar: Denn für Inhalte, von denen Plattformen Kenntnis haben, besteht diese Pflicht ja sowieso, während es eine praktisch Unmöglichkeit ist, für alle Werke, die jemals erstellt wurden, sicherheitshalber Lizenzvereinbarungen einzuholen, zumal für kleine Plattformen.
Alles in allem ist die Urheberrechtsreform in der vorliegenden Form undurchdacht, ungeeignet die Probleme des gegenwärtigen Urheberrechts tatsächlich zu adressieren, und droht die Freiheit des Internets zu beeinträchtigen. Wir setzen uns für ein modernes Urheberrecht ein, dass die Interessen der Urheber*innen und Nutzer*innen in den Vordergrund stellt und sowohl gerechte Vergütungen wie den freien Zugang zu und Umgang mit Wissen und Kultur absichert. Auch wenn einzelne Details der Urheberrechtsreform in die richtige Richtung gehen, muss das Gesamtpaket in dieser Form aus unserer Sicht abgelehnt werden.
Eine juristische Prüfung auf die Verfassungsmäßigkeit dürfte mit größter Wahrscheinlichkeit angestrengt werden, sofern diese Regelungen Gesetzeskraft erlangen.
Mit freundlichen Grüßen
Gregor Gysi