Frage an Gregor Gysi von Roland B. bezüglich Landwirtschaft und Ernährung
Sehr geehrter Herr Dr. Gysi,
mit Aufmerksamkeit verfolge ich Ihre politischen Fähigkeiten, seit 1989 und muß Ihnen meinen Respekt zollen. Das soll nicht heißen, dass ich ihre politischen Ansichten teile aber im Kern feststelle muß, das Ihr Beruf als Rinderzüchter als Fundament Ihre Denke positiv politisch geprägt hat.
Nun sehe ich seit der Kollektivierung der 60 iger Jahre in der DDR und den Strukturwandel in der Landwirtschaft seit 1992 als einen fortlaufenden Wertegang, der weiter niemanden als den Banken, der Landmaschinenindustrie und der Chemieindustrie Türen und Tore geöffnet hat. Fest steht, dass wir es geschafft haben , dass der Bevölkerungsanteil aus 99% Fresser besteht und 1% Nahrungsmittelerzeuger. Vor hundert Jahren war in etwa das Verhältnis 60% Fresser(davon auch Teileigenversorger) und 40% Erzeuger. Allein nach den Regeln der Demokratie ist das sich daraus entwickelte Mehrheitsverhältnis so zu erkennen, dass es möglich sein kann das 99% die 1% überstimmen können und 100% verhungern. Wie sie bestimmt selbst noch Wissen waren wir in den 60er Jahren in der Lage eine perfekte Landmaschinenindustrie gehabt zu haben die durchaus den bäuerlichen Familiebetrieb eine Erleichterung gebracht hätte. Denken Sie nur bloß an den Geräteträger RS 09 oder GT 124. Aber egal wo auf der Welt in der DDR oder anderswo sollte und soll die freie bäuerliche Landwirtschaft dem Ziel der industriellen Nachungsmittelproduktion weichen. Ergebnis sehen wir heute. Den wenn es diesmal wirtschaftlich Zusammenbricht wird uns keiner wie 1990 Geld umtauschen, sondern wer keinen Schrebergarten hat geht in Arsch. Ich weis das Sie einer der wenigen im besetzten Deutschland sind, der das Weiß und auch begreift, aber wie sehen Sie wie man dieser Entwicklung, ohne Indeologie, einen Geschmack der Vernunft einpflanzen kann.
Mit freundlichem Gruß
Roland Beyer
Sehr geehrter Herr Beyer,
Ihre Nachricht vom 5. Februar hat mich erreicht.
Sie sprechen Fragen an, die auch mich beschäftigen. Unabhängig davon, habe ich Ihr Schreiben an unsere zuständige Fachpolitikerin mit der Bitte um eine Beantwortung weitergeleitet.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Gysi
Sehr geehrter Herr Beyer,
wie der Vorsitzende meiner Fraktion DIE LINKE im Bundestag, Herr Dr. Gregor Gysi MdB, Ihnen in seiner Antwort am 14. Februar 2011 bereits signalisierte, hat er mir Ihre abgeordnetenwatch-Anfrage mit der Bitte um eine fachpolitische Beantwortung weitergeleitet. Als agrarpolitische Sprecherin der Fraktion übernehme ich das sehr gern, denn Sie werfen sehr wichtige Fragen auf, die nach Auffassung der LINKEn mit hoher sozialer und ökologischer Verantwortung beantwortet werden müssen und die wir selbstverständlich anders bewerten als die schwarz-gelb-rot-grüne politische Konkurrenz.
Sie beschreiben eindrucksvoll den Wandel in der Landwirtschaft Ostdeutschlands, die ich als in Thüringen geborene, in Ost-Berlin aufgewachsene und in der Prignitz lebende Tierärztin sehr gut kenne. Insbesondere die damit erreichten Verbesserungen der sozialen Arbeits- und Lebensbedingungen in den Landwirtschaftsbetrieben und in den Dörfern werden in aktuellen Diskussionen über die ostdeutsche Agrarstrukturen oft übersehen. Richtig ist aber auch, dass mit der Technisierung der Landwirtschaft (Maschinen, Dünge- und Pflanzenschutzmittel) seit ca. 100 Jahren in nahezu allen Industriestaaten nicht nur der Ertrag stieg (mit negativen Wirkungen auf Natur und Umwelt) und die Arbeit erleichtert wurde, sondern auch der Bedarf an menschlichen Arbeitskräften kontinuierlich abgenommen hat. Das ist übrigens auch in den meisten anderen Branchen so, in denen moderne Technik menschliche Arbeit ersetzt. Grundsätzlich ist nach Auffassung der LINKEN eine Steigerung der Arbeitsproduktivität durchaus zu begrüßen, wenn sie gleichzeitig zur Verbesserung der sozialen und ökologischen Lebensbedingungen beiträgt.
Aber aktuell hat diese Medaille- um bei der Landwirtschaft zu bleiben -eine zweite Seite: sie trägt zu Problemen beim Natur- und Klimaschutz bei und hat einen massiven Verlust von Arbeitsplätzen in den ländlichen Räumen zur Folge. Während dies in der DDR wegen des chronischen Arbeitskräftemangels nicht zu individueller Arbeitslosigkeit führte, spitzt die aktuell weiter sinkende Zahl der Arbeitsplätze in den landwirtschaftlichen Betrieben die sozialen Probleme in den ländlichen Räumen weiter zu, zumal auch die Einkommen durch landwirtschaftliche Erwerbsarbeit oft am Existenzminimum liegen. Die Landwirtschaftsbetriebe brauchen aber funktionierende Dörfer und kleine Städte genauso, wie diese die Landwirtschaft brauchen. Insofern ist uns als LINKE einerseits wichtig, die flächendeckende, möglichst regionale Erzeugung und Verarbeitung von Nahrungs- und Futtermitteln (und Energie!) zu sichern, weil es eine soziale Schlüsselfrage ist, die Unabhängigkeit von einem unsicheren, weil zunehmend spekulativen Weltagrarmarkt zu bewahren. Dazu muss der Boden auch in den Händen der LandwirtInnen bleiben! Andererseits brauchen wir eine nachhaltige Landbewirtschaftung, die dazu beiträgt, Arbeitsplätze zu sichern und die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten.
Gleichzeitig hat die von Ihnen sehr richtig beschriebene Aufteilung in Lebensmittelproduzenten und -konsumenten zur Folge, dass immer weniger Menschen wissen, wie unsere Lebensmittel produziert werden. Entfremdung von pflanzlicher und tierischer Erzeugung ist die Folge. Damit einher gehen zunehmend fehlende Kenntnisse über gesunde Ernährung. Auch wenn wir es wollten werden diese Prozesse nur schwer wieder rückgängig zu machen, möglicherweise können wir sie nur bremsen.
DIE LINKE tritt für eine nachhaltige Landwirtschaft ein. Dabei verstehen wir das Wort "Nachhaltigkeit" wirklich so, wie es die Forstwissenschaften schon vor 200 Jahren beschrieben und die Vereinten Nationen 1992 in Rio de Janeiro (Agenda-Gipfel) verbindlich definiert haben: Als eine Einheit von Ökonomie, Ökologie und (für uns ganz wichtig) Sozialem! So setzen wir uns in der Debatte um die Zukunft der Gemeinsamen europäischen Agrarpolitik nach 2013 (GAP 2013) zum Beispiel für die Berücksichtigung des Faktors Arbeit bei der Zahlung von Fördermitteln an die Landwirtschaft ein. Wir wollen, dass vor allem die Betriebe gefördert werden, die Arbeitsplätze schaffen und erhalten (zum Beispiel durch Tierhaltung oder besondere Dienstleistungen) und zugleich bei ihrer landwirtschaftlichen Produktion die Umwelt schonen.
Ich verstehe Ihre Befürchtung, dass die Bevölkerungsteile, die keine Lebensmittel produzieren, die in der Landwirtschaft Beschäftigten "überstimmen" könnten. Gerade deshalb sehe ich es als eine wichtige Aufgabe der Agrarpolitikerinnen und -politiker die Öffentlichkeit über die Bedeutung der einheimischen Agrarwirtschaft für unsere Lebensgrundlagen aufzuklären und mehr Akzeptanz zu erreichen. Dafür brauchen wir aber ein offenes und ehrliches Miteinander und eine neue Belebung des Dialogs zwischen Verbraucherinnen und Verbraucher und der Landwirtschaft. Leider scheitert das zu oft an der Agrarwirtschaft selbst.
Mit freundlichen Grüßen aus Berlin,
Dr. Kirsten Tackmann, MdB