Frage an Gabriele Lösekrug-Möller von Rainer de B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Lösekrug-Möller,
ich arbeite als Politik-Wirtschaft-Lehrer in Niedersachsen und habe mit meinem Oberstufen-Kurs die Thesen Sarrazins diskutiert. In dieser sehr lebhaften und von konstruktiver Atmosphäre geprägten Diskussion sind wir zu einer interessanten Idee gelangt. Wir möchten den Vorschlag machen, Integrationsbemühungen durch Bildungsangebote (z.B. kostenlose Kurse zum Erlernen der deutschen Sprache und Kultur) und Erziehungshilfen (Seminare zu verschiedenen Themen, wie z.B. Umgang mit Medien) zu unterstützen. Um eine flächendeckende aktive und erfolgreiche Teilnahme an diesen Angeboten zu fördern, wäre jedoch ein gewisser "Schubser in die richtige Richtung" nötig.
Wäre es denkbar, die Höhe staatlicher Leistungen, wie z.B des Kindergeldes davon abhängig zu machen, wie nachweisbar engagiert man an Integrations- und Bildungsangeboten teilgenommen hat? Erst wenn ein gewisses Minimalengagement zu verzeichnen wäre, würde man demnach die vollen staatlichen Leistungen erhalten.
Wenn dies grundsätzlich nicht auszuschließen wäre, könnte man darüber nachdenken, das Angebot zumindest zum Teil über die einbehaltenen Mittel zu finanzieren.
Übrigens müsste dieser Vorschlag nicht auf Menschen mit Migrationshintergrund beschränkt bleiben, sondern könnte auch andere Gruppen wie z.B. alle Eltern betreffen.
Über eine Antwort würden wir uns sehr freuen!
Mit freundlichen Grüßen
Rainer de Boer
Sehr geehrter Herr de Boer,
ich danke Ihnen und den Schülern aus Ihrem Oberstufen Kurs für die Mail und freue mich über die an aktuellen Themen orientierte Diskussion. Außerdem freue ich mich natürlich auch, wieder von Ihnen zu hören und festzustellen, dass Sie das Thema Politik nicht los lässt.
Integrationsbemühungen, wie Sie vorschlagen durch Bildungsangebote (z.B. kostenlose Kurse zum Erlernen der deutschen Sprache und Kultur) und Erziehungshilfen (Seminare zu verschiedenen Themen, wie z.B. Umgang mit Medien) zu unterstützen, entspricht auch meiner Auffassung und der der SPD.
Überhaupt sehen wir über den Weg der Bildung die besten Integrationschancen.
Allerdings muss man genau prüfen, wie man Anreize, Sie nennen es Schubser, setzen kann. Mit einer Kürzung von Kindergeldleistungen geht dies z.B. aus Verfassungsgründen nicht.
Hier ein Auszug aus einem Merkblatt der Bundesfamilienkasse, die das Kindergeld auszahlt: "Das Kindergeld wird zur Steuerfreistellung des elterlichen Einkommens in Höhe des Existenzminimums eines Kindes gezahlt. Das Existenzminimum umfasst auch den Bedarf für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung des Kindes." http://www.arbeitsagentur.de/zentraler-Content/Veroeffentlichungen/Merkblatt-Sammlung/MB-Kindergeld.pdf
An einem verfassungsrechtlich Verbrieften Existenzminimum können keine Abzüge vorgenommen werden. Gerade das Urteil des BVerfG zu den Regelsätzen, deren Berechnung bis Ende des Jahres neu ermittelt werden muss, legt einen großen Wert auf ein Existenzminimum, welches über reine staatlichen Geldleistungen hinaus geht und den Aspekt der Teilhabe ins Zentrum rückt.
So ist der Vorschlag aus der CDU-Bundestagsfraktion "integrationsunwilligen" Migranten, die ihre Kinder nicht in die Kita schicken, den Hartz- IV-Regelsatz zu kürzen nicht nur unüberlegt sondern inakzeptabel. Bemerkenswert an dieser Forderung ist: Würde die migrantische Familie ihr Kind zuhause behalten, könnte die Familie ab 2013 das von schwarz-gelb geplante Betreuungsgeld ("Herdprämie") - das Lieblingsprojekt der CSU - erhalten. Der Integration der Kinder würde dies auch nicht helfen, im Gegenteil.
Außerdem hat die Regierung noch vor kurzem eingeräumt, dass sie nicht mehr als 233 Millionen Euro für Integrationskurse brauche - insbesondere weil diejenigen, die keine Neuzuwanderer sind, keinen Anspruch auf einen Kurs haben.
Wir warnen dringend davor, jetzt eine Liste der finanziellen Grausamkeiten zu erstellen, mit denen Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund bestraft werden könnten. Klar ist, dass zur Integration neben dem Fördern auch das Fordern gehört. Das Beherrschen der deutschen Sprache, die Anerkennung der Gesetze und der Respekt vor den Werten unserer Gesellschaft gehören selbstverständlich dazu.
Aber ein Wettstreit um die größten Strafen macht mehr kaputt, als die unsachliche Debatte ohnehin schon angerichtet hat.
Meine Position und die der SPD ist weiterhin die, staatliche und private Investitionen in Bildungs- und Betreuungsstrukturen zu investieren, die dann allen kostenlos zur Verfügung gestellt werden können. Das fängt mit der Kita an und endet beim kostenfreien Studium.
Mit herzlichen Grüßen an Ihren Oberstufen-Kurs.
Gabriele Lösekrug-Möller