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Fabio De Masi
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Frage von Jens T. •

Frage an Fabio De Masi von Jens T. bezüglich Wirtschaft

Wie ist der aktuelle Stand der Freihandelsabkommen TTIP, CETA und TISA? Eine allgemeine Übersicht wäre schön. Im speziellen geht es mir um die Schiedsgerichte. Nach meinem Stand möchte die EU anstelle der unabhängigen privaten Schiedsgerichte ein internationales Handelsgericht. Wie ist da der Stand?
Und in wie weit können die Konzerne die Politik beeinflussen? Wie weit wird der öffentliche Sektor, die Kommunen und das Gesundheitswesen betroffen werden?

Mit freundlichen Grüßen
J. T.

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Sehr geehrter Herr T.,

vielen Dank für Ihre Zuschrift. Ich lehne die von Ihnen genannten Abkommen ab. Nähere Informationen zu meinen Positionen entnehmen Sie meiner Sonderseite http://www.fabio-de-masi.de/de/topic/13.freihandel.html sowie der Themenseite der Linken im Europaparlament: http://www.fair-handeln-statt-ttip.eu

Zu Ihren konkreten Fragen:

Das EU-Abkommen mit Kanada (CETA) ist ausverhandelt und wird seit etwa einem halben Jahr in die unterschiedlichen Rechtssprachen übersetzt. Das Europäische Parlament wird sich damit im Herbst befassen.

Für das EU-Abkommen mit den USA (TTIP) wird ein Abschluss nicht mehr in 2015 erwartet. Eine Behandlung im Europäischen Parlament wird daher frühestens Ende 2016, eventuell auch später erfolgen. Diese Verzögerung ist bereits ein erheblicher Erfolg der Kritiker. Sollte das Abkommen nicht mehr unter US-Präsident Obama verabschiedet werden, könnte es gänzlich scheitern.

Für TISA (kein EU-Abkommen sondern ein multilaterales Abkommen von etwa 50 Staaten incl. aller 28 EU-Staaten) wird laut Bundeswirtschaftsministerium ein Abschluss der Verhandlungen in 2015 angestrebt. Dies ist jedoch nicht sicher. Wikileaks unterrichtet regelmäßig mit geheimen Dokumenten über den Verhandlungsfortgang. (siehe https://wikileaks.org/tisa/)

Noch offen ist, ob es sich bei CETA und TTIP um gemischte Abkommen handelt. Ein gemischtes Abkommen liegt nach überwiegender Rechtsauffassung etwa vor, wenn Portfolioinvestitionen (Kapitalverkehr) oder andere Bereiche geregelt werden, die nicht in die Kompetenz der EU-Kommission für den Außenhandel fallen. Bei einem gemischten Abkommen müssen alle nationalen Parlamente der 28 EU-Mitgliedsstaaten befasst werden.

Dies ist eine große Chance, die Abkommen über öffentlichen Druck in den einzelnen Mitgliedsstaaten zu stoppen. Denn dies würde bedeuten, es gäbe notwendigerweise eine Abstimmung im Deutschen Bundestag, zudem nahe des Termins der nächsten Bundestagswahl. Wer (wieder)gewählt werden möchte, hebt eventuell nicht die Hand für diese Abkommen. Außerdem ist die nationale Öffentlichkeit stärker ausgeprägt als die europäische Öffentlichkeit. Schließlich können sich die Bürgerinnen und Bürger zum Demonstrieren nicht ständig eine Zugfahrkarte nach Brüssel kaufen.

Bzgl. der Handelsgerichte: Dabei handelt es sich um eine Idee für eine Reform der Schiedsgerichte mit Revisionsmöglichkeiten, etwas transparenterer Auswahl der Schiedsrichter sowie der Möglichkeit den Ausschluss der Öffentlichkeit auszuheben. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass der Investorenschutz in den USA sowie der EU hinreichend ist und es insofern keiner Sondergerichte jenseits der nationalen Gerichtsbarkeit bedarf. Zudem stehen die Schiedsgerichte in CETA in unveränderter Form drin. Es ist dann hinreichend, dass europäische oder amerikanische Konzerne eine Zweigniederlassung in Kanada unterhalten, um diese Schiedsgerichte zu nutzen. Es gibt laut UN auch keinen Hinweis, dass Schiedsgerichte positiv auf Direktinvestitionen wirken. Derartige Kapitel in Handelsabkommen werden vermehrt von Staaten wegen schlechter Erfahrungen gekündigt.

Der öffentliche Sektor wäre von diesen Abkommen betroffen. Daran ändert auch ein "right to regulate" (Recht auf Regulierung) und ähnliche Formulierungen nichts. Denn es dürften nur sehr schwache Regulierungen Bestand haben, welche die "Investitionsfreiheit" nicht unnötig beschränken. In der Regel wird sich über die wechselseitige Anerkennung von Standards (wie im EU Binnenmarkt) der niedrigere Standrad bei Umwelt-, Verbraucherschutz oder Arbeitnehmerrechten durchsetzen. Die letztliche Entscheidung welche Bereiche dem Abkommen unterworfen sind, erfolgen etwa bei CETA über den Negativlistenansatz. Dies bedeutet: Was nicht explizit als Ausnahme genannt wird, ist automatisch betroffen. Und häufig ist noch gar nicht abzusehen was etwa in Zukunft durch neue Technologien u.ä. reguliert werden muss. Die Abkommen sind sogenannte lebendige Abkommen, die ständig auf neue Bereiche ausgedehnt werden.

Zu den möglichen Auswirkungen empfehle ich etwa diese Broschüre: https://www.campact.de/ttip/hamburg/studie/

Beste Grüße,
Fabio De Masi

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