Frage an Fabio De Masi von Jürgen L. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr De Masi,
das Freihandelsabkommen TTIP mit den USA wird heftig diskutiert. Mich interessiert Ihre Meinung zu folgenden Punkten:
- Ist es mit Demokratie vereinbar, dass die EU-Kommission diese Verhandlungen unter strikter Geheimhaltung der im Verhandlungsmandat formulierten Ziele und unter Geheimhaltung der Verhandlungsprotokolle führt und dass diese Geheimhaltung gegenüber den Bürgern und – mit wenigen Ausnahmen – gegenüber den Abgeordneten des Parlamentsaufrechterhalten wird?
- Ist es mit Demokratie und den Rechten der Parlamentarier vereinbar, dass ein Sondergericht installiert werden soll, vor dem Industriekonzerne eigentlich souveräne Staaten verklagen können, wenn diese Konzerne glauben, dass eine Gesetzgebung ihre Gewinninteressen schmälert.
Ist es mit Demokratie und Rechtsstaat vereinbar, dass dieses Sondergericht
* geheim tagt?
*seine Beschlüsse bzw. Beschlussbegründungen geheim hält?
* die Richter in einem intransparenten Verfahren aus den Rechtsanwälten großer Wirtschaftskanzleien rekrutiert werden?
* es nur eine Instanz gibt und eine Berufung gegen ein „Urteil“ nicht möglich ist?
und
* dass zwar Industriekonzerne vor diesem „Gericht“ souveräne Staaten verklagen können sollen, nicht aber Staaten die Industriekonzerne?
- Halten Sie für richtig, dass nach Meinung der EU-Kommission das Verhandlungsergebnis den nationalen Parlamenten nicht vorgelegt werden muss, obwohl der Vertrag direkt in die Souveränität der einzelnen Staaten eingreifen würde? - Es erfolgt dann nämlich jede Gesetzgebung unter der Drohung, dass Konzerne sich geschädigt sehen und vom Steuerzahler Milliarden fordern könnten.
- Warum reicht die normale Gerichtsbarkeit nicht aus, um Rechtsstreitigkeiten über Investitionen zu klären?
Ich bin ich sehr an einer Antwort Ihrerseits interessiert und danke Ihnen für Ihre Mühe.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. J. Link
Sehr geehrter Herr Link,
vielen Dank für Ihre Zuschrift. Ich werde bewusst sehr ausführlich antworten, weil ich auf dieses Thema immer wieder angesprochen werde und auf die Antwort dann verweisen kann.
Vorab: Ich lehne sowohl das geplante Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) sowie das leider viel zu wenig beachtete Freihandelsabkommen mit Kanada (CETA) ab. Der transatlantische Handel ist bereits weitestgehend ungehemmt (mit wenigen Ausnahmen z.B. in der Textilindustrie sowie Landwirtschaft). Täglich werden Güter im Wert von fast 2 Milliarden Euro zwischen den USA und der EU gehandelt. Die Zölle in den USA betragen durchschnittlich nur etwa 3,5 Prozent, in der EU etwa 5,2 Prozent. Währungsschwankungen sind viel bedeutender für "Wettbewerbsverzerrungen". Alein zwischen 2010 und 2013 schwankte der Dollar zwischen 1,20 und 1,50 zum Euro. Die Waren eines deutschen Exporteurs konnten sich so im betrachteten Zeitraum um 25 Prozent verteuern. Das Problem der Währungsschwankungen wird aber gar nicht angegangen (etwa durch Kapitalverkehrskontrollen und Wechselkurszielzonen)
Es geht daher bei diesen Abkommen nicht um den Abbau von Zollschranken, sondern um Gesetze bzw. Regulierungen, die Profiterwartungen von großen Konzernen bremsen (sogenannte nicht-tarifäre Handelshemmnisse). Die US Konzerne wollen insbesondere Marktzugang in öffentlich regulierten Bereichen wie der Energieversorgung (Stichwort Fracking - Förderung von Gas mit giftigen Substanzen im Wasser), der Lebensmittelindustrie (Stichwort Gentechnik oder Hormonfleisch), der chemischen Industrie (Aufweichung des europäischen Vorsorgeprinzips, wonach bei Zulassung chemischer Verfahren oder Produkte zunächst die Unbedenklichkeit nachgewiesen werden muss), der audiovisuellen Medien (Wettbewerbsverzerrung durch staatliche Filmförderung gegenüber Hollywood, wo Filme durch den großen Markt sogar durch Hedge Fonds finanziert werden) sowie den kommunalen bzw. öffentlichen Diensten (Müllabfuhr, Wasser, Transportwesen) erzwingen, während europäische Konzerne und Banken schärfere US-Regulierungen im Bereich der Pharmaindustrie (Medikamentenzulassung), im Finanzbereich (Eigenkapitalanforderungen für ausländische Banken) sowie "buy american" Klauseln bekämpfen. Allein die öffentlichen Aufträge machen in der EU etwa 19 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus und erklären das Interesse der Konzerne.
Ich bezweifle aus der Erfahrung mit anderen Freihandelsabkommen das Wachstum- und Jobversprechen der EU-Kommission sowie der Bundesregierung. EU Handelskommissar de Gucht hat die ohnehin bescheidenen Prognosen hinsichtlich der positiven Effekte von TTIP auf Wachstum und Jobs - etwa durch die Bertelsmann-Lobby - in einer internen Sitzung des Handelsausschuss des Europäischen Parlaments selbst als "wild" bzw. unseriös bezeichnet. Eine methodisch ohnehin umstrittene Studie des Center for Economic Policy Research (London) errechnete einen Wachstumsimpuls für Europa von 0,5 Prozent bis 2027. Das wären jährlich nur 0,036 Prozent. Auch die angeblichen Beschäftigungseffekte fallen in den Prognosen moderat aus (zwischen 110 000 und 181 092 Arbeitsplätze in Deutschland innerhalb von 15 Jahren, was maximal knapp 12.935 000 Jobs jährlich wären). Dabei weiden etwa in einer Prognose des Münchener Ifo-Instituts Annahmen gemacht, die einen faktischen vollständigen Beitritt der EU zu den USA bzw. ihrer Gesetzgebung unterstellen. Die EU Kommission geht selbst von Jobverlusten in vielen Bereichen aus, aber unterstellt, dass Arbeitnehmer in Bereichen und Ländern der EU - die laut Prognosen von TTIP profitieren würden - trotz Sprach- und Qualifikationsbarrieren Jobs finden. Zugespitzt unterstellen die Prognosen, dass etwa ein deutscher Müllmann in der französischen Pharmaindustrie oder bei einer Londoner Investmentbank nahtlos einen Job findet und wenn nicht soll dies von den Steuerzahlern über den europäischen Globalisierungsfonds aufgefangen werden.
Kurz zu CETA: Die Verhandlungen zu CETA sind sehr weit fortgeschritten, dienen als Blaupause für TTIP und hätten durch das regionale Freihandelsabkommen NAFTA zwischen den USA, Kanada und Mexico und unabhängig von der konkreten Ausgestaltung von TTIP auch erhebliche Auswirkungen auf die EU. So könnten Konzerne mit einer Zweigniederlassung in Kanada (vereinfacht reicht ein Briefkasten und ein wenig Papierkram)- selbst für den Fall, dass das Klagerecht der Konzerne (Investitionsschiedsgerichtsbarkeit) bei TTIP fällt - über CETA die dort verankerten Klagerechte nutzen, um gegen Gesetze zu klagen, die ihre Profite hemmen. Der kanadische Jurist Howard Mann, der seit über 15 Jahren Investitionsschutzabkommen begleitet und diesbezüglich mit über 75 Regierungen zusammen gearbeitet hat, nannte CETA im Dezember 2013 in einer vernichtenden Stellungnahme vor dem kanadischen Parlament den "investorenfreundlichsten Vertrag", den eine kanadische Regierung jemals ausgehandelt habe.
Nun zu ihren konkreten Fragen:
Geheimhaltung:
Nein, diese ist nicht gerechtfertigt. Denn es handelt sich nicht um einen privaten Vertrag, sondern um einen völkerrechtlichen Vertrag, der einseitig durch Deutschland oder andere EU-Staaten auch nicht mehr kündbar ist. Zumal über 600 Wirtschaftslobbyisten Zugang zu geheimen Verhandlungsdokumenten haben. Nur wenige Parlamentarier erhalten Informationen und unterliegen Schweigepflichten. Die Begründung der EU-Kommission für die Geheimniskrämerei mutet auch sonderbar an. Denn sie begründet dies damit die Verhandlungsstrategie vor den USA schützen zu wollen. Mal abgesehen, dass diese den USA durch ihre NSA-Spionageaktivitäten ohnehin bekannt sein dürfte widerspricht dies auch der Begründung von Freihandelsabkommen, diese seien im beiderseitigen Vorteil. Die EU-Kommission behauptet also Geheimhaltung seit nötig, um die USA über den Tisch zu ziehen. Eine doch etwas gewagte Hoffnung.
zu den Schiedsgerichten: Die nicht-öffentlichen Schiedsgerichte sind eine Gefahr für die Demokratie. Investorenschutz ist eigentlich dazu gedacht Diskriminierungen ausländischer gegenüber inländischen Unternehmen auszuschließen bzw. ungerechtfertigte Eingriffe in das Eigentumsrecht. Mit den privatenSchiedsgerichten bekommen ausländische Konzerne aber sogar mehrr Rechte, weil sie sowohl nationale Gerichte als auch die internationalen Schiedsgerichte nutzen können, die in der Regel sehr investorenfreundlich urteilen und vor denen keine Revisionsmöglichkeit besteht. Zumal in der EU sowie den USA hinreichender Investorenschutz durch die nationalen Gesetzgebungen gewährleistet ist. Ecuador, Australien, Brasilien und Südafrika verzichten auf derartige Investitionsschutzabkommen in Handelsverträgen bzw. schließen keine neuen Abkommen dieser Art mehr ab, nachdem sie sehr negative Erfahrungen damit gemacht haben (Ecuador musste etwa 1,77 Mrd. Dollar an den US-Ölkonzern Occidental entrichten, weil Ecuador im Sinne der Beteiligung der Bevölkerung an den Profiten und Verstößen gegen Umweltschutzauflagen Förderrechte neu ausschrieb. In Australien klagte Phillip Morris gegen Gesundheitshinweise auf Zigarettenschachteln wg. "entgangener Profite"). Mittlerweile existiert ein ganzes Geschäftsfeld der sogenannten litigation finance. Hedge Fonds und Kanzleien suchen und finanzieren Klagemöglichkeiten, um einen Teil der Schadensersatzsummen zu kassieren. So kaufte etwa eine slowakische Bank bewusst griechische Staatsanleihen, die bereits als Ramsch galten, in Erwartung eines späteren Schuldenschnitts, um Schadensersatz einzufordern. Der Investitionsschutz wirkt auch nach Kündigung solcher Abkommen oft 15 Jahre fort, Meistbegünstigungsklauseln im Handelsrecht sind zudem häufig unbefristet. Rund 31 Prozent derartiger Klagen gehen zu Gunsten der Konzerne aus. In rund 27 Prozent kommt es zu Vergleichen, die in der Regel mit stattlichen Abfindungen für Konzerne enden.
Abstimmung in nationalen Parlamenten: Das Europäische Parlament darf zu TTIP am Ende nur Ja oder Nein sage ohne Eingriffe in den Verhandlungsprozess. Der US-Kongress hat weitergehende Rechte sofern er dem US-Präsidenten keine fast track authority zur eigenmächtigen Verhandlungsführung verleiht. Bei gemischten Abkommen die etwa auch Portfolioinvestitionen (kurzfristiger Kapitalverkehr) u.a. Bereiche umfassen müssen eigentlich auch nationale Parlamente befasst werden. Das versucht die EU-Kommission über den Europäischen Gerichtshof zu verhindern. Ich streite für die Befassung auch der nationalen Parlamente, um den Druck auf die Politik zu erhöhen und TTIP zu stoppen.
Beste Grüße,
Fabio De Masi