Frage an Eva Högl von Reinhard G. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrte Frau Dr. Högl,
der ESM Vertrag soll „unkündbar“ sein. (Ich halte es grundsätzlich für einen Fehler und außerdem für undemokratisch, überhaupt solche Verträge zu unterzeichnen) Was passiert, wenn ein Land zuerst den ESM-Vertrag unterzeichnet und dann aus der Währungsunion austritt? Kommt es damit auch aus dem ESM-Vertrag raus?
Finden Sie es nicht undemokratisch, wenn beim ESM nur Vertreter aus denjenigen Ländern mit abstimmen dürfen, die in der Lage sind, bestimmte Auflagen zu erfüllen?
Wird nicht Deutschland, wenn es den ESM-Vertrag unterzeichnet, nicht bald von den Rating-Agenturen herab gestuft werden, da die „Zahlungsfähigkeit“ dadurch sinkt? Was passiert, wenn Deutschland auch unter den „Rettungsschirm“ muss?
Mit freundlichen Grüßen
R.G.
Sehr geehrter Herr Großmann,
vielen Dank für Ihre Frage.
Am 29. Juni 2012 habe ich dem ESM-Rettungsschirm und dem Fiskalpakt zugestimmt.
Der ESM ist Ausdruck der innereuropäischen Solidarität. Diese Solidarität ist selbstredend keine Einbahnstraße. Der ESM kann harte Auflagen und Bedingungen für die betroffenen Länder vereinbaren und auch Wachstum befördern. Der ESM kann notleidenden Staaten Darlehen gewähren oder deren Staatsanleihen aufkaufen. Hierfür stehen dem Rettungsschirm Garantien und Eigenkapital zur Verfügung.
Die betroffenen Staaten müssen dennoch ihrer Verantwortung gerecht werden und Schulden abbauen. Dazu gibt der Fiskalpakt entsprechende Mechanismen vor. Durch ihn werden die unterzeichnenden EU-Länder angehalten, ihre Staatshaushalte solide und nachhaltig zu gestalten. Daher haben wir sowohl im Bund als auch in einigen Ländern dazu beigetragen, Schuldenbremsen verfassungsrechtlich zu verankern.
Eine notwendige Haushaltskonsolidierung kann ohne wirtschaftliche Belebung nicht gelingen. Für mich ist es daher ebenso wichtig, dass auch Wachstum und Beschäftigung gefördert werden. Fest steht, dass sich noch nie ein Land mitten in einer Rezession aus einer Krise heraus gespart hat. Aus dieser Überzeugung heraus hat sich die SPD in den Verhandlungen mit der Bundesregierung für das Wachstumspakts stark gemacht. Mein Ziel ist es, die betroffenen Länder wirtschaftlich zu unterstützen. Wir haben gegenüber der Bundesregierung durchsetzen können, dass ein Europäischen Sofortprogramm gegen Jugendarbeitslosigkeit aufgebaut wird. Zudem sollen Europäische Aufbau- und Investitionsfonds zur Stärkung der Binnennachfrage beitragen. Ohne Wachstumsimpulse gibt es keine Steuereinnahmen und ohne Steuereinnahmen bleiben die EU-Staaten weiterhin hoch verschuldet.
Vor allem muss aber der Finanzsektor reguliert und an den Kosten der Krise beteiligt werden. Als Sozialdemokratin lehne ich es ab, in erster Linie die Steuerzahler/-innen und nicht die Krisenverursacher die Zeche zahlen zu lassen. Deshalb hat die SPD die Einführung einer Finanztransaktionssteuer gefordert. Mittlerweile ist die schwarz-gelbe Bundesregierung dieser Forderung gefolgt und hat eine zeitnahe Einführung der Finanztransaktionssteuer auf europäischer Ebene zugesagt.
Gleichzeitig engagiere ich mich energisch dafür, dass nicht alleine die Staats- und Regierungschefs über Hilfsmaßnahmen und Anpassungsprogramme entscheiden. Die Gemeinschaftsinstitutionen, insbesondere das Europäische Parlament und auch die nationalen Parlamente sind zu stärken, um die demokratische Legitimation zu sichern.
Unsere Verfassung gibt zu Recht vor, dass der Deutsche Bundestag regelmäßig und intensiv an europapolitischen Entscheidungen beteiligt wird. In seinem wegweisenden Urteil vom 19. Juni 2012 hat das Bundesverfassungsgericht erneut die starke Rolle des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union bestätigt. Nur durch die umfassende Einbindung des Bundestages können finanzwirksame Entscheidungen zur Rettung notleidender Staaten demokratisch legitimiert werden. Den Bundestagsabgeordneten wird durch die Bundesregierung fortlaufend Informationen zu allen Entscheidungen, die durch oder aufgrund des Fiskalpakts oder des ESM auf europäischer Ebene vorgenommen werden, zur Verfügung gestellt. Zusätzlich wird bei besonders wichtigen Entwicklungen, wie die Aufnahme eines Mitgliedstaates unter den ESM-Rettungsschirm, die Zustimmung des gesamten Bundestages erforderlich. Diese Verfahren sind ein wichtiger Teil der öffentlichen Meinungsbildung und garantieren, dass die Abgeordneten diese Entscheidungen kritisch hinterfragen.
Auch wenn die Lösung zur Bewältigung der Eurokrise nicht innerhalb weniger Wochen umsetzbar ist, ist dieser Weg ein nachhaltiger Beitrag zur Krisenbewältigung und eine europäische Antwort. Um die derzeitigen Probleme zu meistern, brauchen wir nicht weniger, sondern mehr Europa. Nur mit einer starken Europäischen Union wird Deutschland in einer immer stärker globalisierten Welt auch in Zukunft wirtschaftlich und politisch eine Rolle spielen.
Man darf in der aktuellen Debatte über die mit der Euro-Rettung verbundenen Kosten auch keineswegs den ungemeinen Mehrwert der Euro-Mitgliedschaft für Deutschland vergessen. Denn Deutschland ist nicht der "Zahlmeister Europas", sondern der größte Gewinner der Währungsunion. Die Stabilität des Euros und unserer Partnerländer liegt daher vor allem im deutschen Interesse, weil uns ein Zusammenbruch der Währungsunion am härtesten treffen würde. Der Exportnation Deutschland kann es auf Dauer nicht gut gehen, wenn die Wirtschaft im Rest Europas am Boden liegt. Wenn es uns also nicht gelingt, diese Länder dauerhaft zu stabilisieren, dann droht die Krise auch auf Deutschland überzugreifen. Wir retten somit nicht Griechenland oder Spanien, sondern retten letztlich auch den Wohlstand und die Arbeitsplätze in Deutschland!
Ihr Sorge, dass die Bundesrepublik Deutschland zahlungsunfähig wird und ebenfalls unter den Rettungsschirm muss, teile ich nicht. Wir sollten uns vielmehr auf den Gedanken der europäischen Solidarität zurück besinnen und den Einfluss von Ratingagenturen reduzieren.
Aus diesem Grund habe ich am 29. Juni 2012 für den Fiskalpakt und den ESM gestimmt.
Mit freundlichen Grüßen,
Dr. Eva Högl, MdB